Ruth Linhart | Reisen | Japan 2013 Teil 1 | Japan 2013 Teil 2 | Japan 2013 Teil 3
Grüner Tee und roter AhornJapan-Tagebuch 2013 | |
Im Herbst 2013 fuhr ich nach Japan, um das Herbstlaub zu bewundern, aber auch um Freundinnen wiederzusehen. Ich machte mir den Spaß, meine Reisenotizen mit Haiku anzureichern, angeregt durch die traditionelle japanische Literatur, in der oft Prosa mit Poesie vermischt wird. |
20.11.2013
Vollmond am Morgen
In einem Himmel weißblau.
Heute nach Kiso.
„Vollmond“ heißt „mangetsu“ auf Japanisch.
Nachts. Im Ryokan Tatsuya in Kisofukushima. Heute kann ich nicht mehr lange schreiben, denn Hiroko san liegt nur durch Papiertüren getrennt im Nebenzimmer.
Grüner Tee, heiß. Und
Tôson beginnt seinen Roman,
im Tokkuri-ya..
Die nächste Station: Das Museum für Kiso Yoshinaka und seine kriegerische Gefährtin Tomoe Gozen. Kiso Yoshinaka ist eine der Helden des japanischen Kriegsepos „Heike Monogatari“ aus dem 13. Jahrhundert und für mich interessant, weil Imai Shiro Kanehira Milchbruder und Vasall dieses Kiso Yoshinaka war. Imai Shiro Kanehira wiederum soll der Überlieferung nach ein Ahnherr meiner Imai san gewesen sein, an deren Biographie ich werke. Vor dem Museum thronen auf einem Podest die lebensgroßen Statuen von Yoshinaka und Tomoe.
Und im Museum konnte ich weitere realistische Darstellungen
dieser drei Personen bewundern. Tomoe Gozen ist eine der wenigen Kriegerinnen der japanischen Geschichte. Sie soll sehr schön und eine gefürchtete Kämpferin gewesen sein und Yoshinaka bedingungslos ergeben.
Im Pamphlet des Museums ist zu lesen, dass sie die Schwester des Imai war, historisch belegt ist das, glaube ich nicht. In der Schlacht von Awazu 1184 starb Kiso Yoshinaka. Tomoe wollte mit ihm in den Tod gehen, aber Kiso Yoshinaka lehnte das ab. Und zwar, weil es eine Schande gewesen wäre, sich von einer Frau in seinem letzten Kampf begleiten zu lassen. Er nahm stattdessen Imai Shiro Kanehira mit. Als dieser die Kunde von Yoshinakas Tod vernahm, soll er sich umgebracht haben, indem er von seinem Pferd sprang und sich dabei das Schwert in den Mund stieß.
Blumen auf dem Futon.
Blumen auf Yukata und Socken.
Ryokan Tatsuya.
Unser Ryokan ist blitzsauber. Wir bezogen das kleine, aber nette zweigeteilte Zimmer und wärmten uns anschließend im heißen Wasser des O-furo. Dann genossen wir ein kaiseki ryôri oder Festessen mit Köstlichkeiten der Gegend und der
Jahreszeit: Pilze, Äpfel, Schwarzbeeren, Bohnen. Natürlich gab es alles von Sashimi über Chawan mushi, Gedünstetes und Gebratenes, Fleisch und Fisch und viel Gemüse. Aber in mehr oder weniger homöopathischen Portionen. Wir tranken auch ein Fläschchen Sake dazu.
Draußen ist es bitterkalt und schneit leicht. „Heuer ist der Winter besonders früh dran“, sagte die in einen Kimono gekleidete Wirtin. „Sonst schneit es immer erst im Dezember.“
21.11.2013
Guten Morgen – kalt!
Bald geht es ins O-furo.
Kisofukushima.
Es ist zehn Uhr nachts und wir sind wieder zurück in Hamamatsu. Hier ist mir immer zu kalt. In Tsumago gab es ärmellose Jacken zu kaufen, die am Rücken gefüttert sind.
Die traditionelle Heizung ist ja der kotatsu, eine Heizung unter dem Tisch. Da wird einem nur vorne warm. Wenn man eine dieser Jacken erstand, bekam man einen Papiersack mit einer herzigen Katze aufgedruckt. Die Säcke allein konnte man nicht kaufen, die Jacke brauche ich nicht. „Dort, wo Ruto san daheim ist, ist es drinnen warm, auch wenn es draußen kalt ist,“ sagte Hiroko zur Verkäuferin. „So wie in Hokkaidô“, antwortete diese.
Licht im Suzukigras.
Orange trocknen die Kaki.
Brennendes Kiso-Tal.
Anschließend fuhren wir durch die herrliche Landschaft nach Tsumago. Hohe Hügel, steil aufsteigend vom Tal und mit buntem Herbstlaub gesprenkelt. Es sah aus, als ob es brennen würde. Der Fluß Kiso windet sich durch, grün und schäumend. Die Ufer sind von kleineren und größeren Felsbrocken bedeckt. Immer wieder die weißen Wedel des Suzukigrases und Bäume ohne Blätter, aber dafür voller roter Kakifrüchte. An einer Stelle der Ausblick
zum Berg Ondake, der 3000 Meter hoch ist. Leider verdeckten ihn dichte Wolkentürme. An einer anderen Stelle zeigte sich uns der mächtige Schneeberg Ena, 2000 Meter hoch.
In Tsumago hielten wir uns kurz auf. Ein traditioneller Ort wie Narai. Viele Andenkengeschäfte, aber eher diskret in den alten Häusern einquartiert.
Die Hauptattraktion des Kiso-Tales ist sicher Magome, der Heimatort von Shimazaki Tôson. Zwischen Tsumago und Magome gibt es einen beliebten Wanderweg, der in zirka drei Stunden zu bewältigen ist. Nach Magome geht es steil bergauf. Die Kiso-Straße mit ihrem bergauf-bergab war für die Lastenträger der alten Zeiten sicher nur mit großer Mühe zu bewältigen. Auf dieser Route wanderten ja nicht nur einzelne Reisende und kleine Gruppen, sondern mehr hunderte
oder gar tausende Träger umfassende Reisezüge der Adeligen, die zwischen Edo und ihren heimatlichen Fürstentümern verkehrten. Während der Zeit des abgeschlossenen Landes mussten die Lokalfürsten jeweils ein halbes Jahr in Edo verbringen und ihre Frauen dort lassen.
Ein Stern am Himmel.
Hamana-See und Dämmerung.
Wie köstlich der Aal.
Später zeigte sie mir den Plan für ihr neues Haus. Sie und ihr Mann sind schon erstaunlich. Herr S. wurde ein halbes Jahr vor seiner Pensionierung bei der Aufzugsfirma Schindler gefeuert. Daraufhin kaufte er einem alten Bekannten eine Firma für Aufzugreparaturen ab. Der Hauptsitz ist in Nagoya, in Hamamatsu ist eine Zweigstelle. Herr S. ist 68, Hiroko ist 64. Der Sohn, 34, wird als Nachfolger aufgebaut. Auch der ältere Sohn, der in Tokyo lebt und in der Computerbranche arbeitet, wird mitmachen.
Die Firma geht gut und das Ehepaar baut sich ein neues Haus, größer als das jetzige. „Dort
kannst du auch wohnen“, sagte sie, denn ein Zimmer mit Tatami für Gäste sei geplant. Das junge Paar, der Sohn und die Braut Kae, sollen in das bisherige Haus der Eltern übersiedeln. Ich frage, ob sich die Jungen darüber freuen. „Wir haben sie nicht gefragt,“ antwortet Hiroko.
22.11.2013
Ein Pagodendach
auf dem Haus gegenüber.
Sonnenaufgang.
Heute letztes Frühstück mit Hiroko. Dann wieder Abschied. Aber Hiroko möchte in zirka zwei Jahren mit ihrem Enkelsohn nach Wien kommen. Kae brachte mich zum Bahnhof, weil Hiroko einen Vortrag halten musste, soviel ich verstehe bei der Polizei. Ich fragte nicht worüber.
Männer in Grau und Blau
blättern in einer Zeitung.
Hikari fährt ein.
Im Shinkansen saß eine kleine Dame neben mir, zart, graue Löckchen hochgesteckt, unjapanisch weiß und blitzblau angezogen, rosa Gesichtchen. Wahrscheinlich eine Mischung zwischen Japan und Okzident. In Kyoto fuhr ich mit dem Taxi zum Hotel Via Inn Shijo Muromachi. Einchecken erst um 15 Uhr – wie meistens in Japan.
Ein Anruf für mich sei hereingekommen, erklärte mir die Rezeptionistin. Fumi san! Auf ihren Anruf hatte ich gewartet, aber mein japanisches Handy ausgeschaltet! Ich solle nach Nara kommen. Sie
übermittelte mir auch die Uhrzeiten der Züge. Aber bitte, wie soll ich mit ihr in Kontakt treten, ich habe ihre Telefonnummer in Nara nicht.
Bunte Geschäfte.
Tee, Austern, Bohnen, Geschirr.
Nishikikoji dori.
Zurück im Hotel hatte Fumi wieder angerufen und ihre Telefonnummer hinterlassen. Für eine Fahrt nach Nara war es nun zu spät, aber Fumi werde ihrerseits nach Kyoto kommen, ließ sie mir ausrichten. Und bald darauf erschien sie tatsächlich in der Lobby. Sie hätte mit mir einen zirka zweistündigen Spaziergang in Nara, der uralten Kaiserstadt mit den vielen schönen Tempeln und
Schreinen,
geplant. Die momiji, das verfärbte Herbstlaub, sei gerade wunderschön. Wie schade!
Fumis Mann war vor einigen Jahren Gastprofessor an der Wiener Universität und wir übten im Tandem Deutsch und Japanisch. Sie liebt Blumen, Reisen und die Oper wie ich und wir freundeten uns an. Sie ist auch schon über 60, aber hat kaum Falten, lange dunkelrot gefärbte Haare. Immer ist sie geschmackvoll und besonders angezogen, so auch heute mit dunkelroter Kappe, Schal und Handschuhen. Aber sie hat Probleme beim Gehen. Ihr Mann, seit einigen Jahren in Pension, hält an sechs Privatuniversitäten in Tokyo Literaturvorlesungen. Sie pendeln zwischen Nara, wo sie ein Haus haben und ihrer Mietwohnung in Tokyo. Früher sang sie bei der „shimin-opera“ – Bürgeroper – in Tokyo mit. Sie hat mir einmal
auch DVDs der Aufführungen geschenkt, zum Beispiel sang sie im Chor von „I Pagliacci“ und „Cavalleria Rusticana“. Aber zum Singen komme sie jetzt nicht mehr. Ihre Mutter ist 93 und dement. Sie lebt bei der jüngeren Schwester auf Shikoku.
Wir saßen in der Lobby nebeneinander und erzählten uns hastig ein bisschen aus unserem Leben. Dann begleitete ich sie zur U-Bahnstation an der Shijo-dori. Leider kann sie nicht mit mir essen gehen, sagte sie, weil sie am Abend zurück in Nara sein muss. Kurz, zu kurz, dieses Wiedersehen! Aber doch besser als gar kein Wiedersehen.
Ich spazierte dann allein durch die engen Gassen hinter der belebten Hauptstraße und kehrte in einem Lokal ein, in dem auch andere Personen alleine saßen. Ich aß kaki furai, panierte Austern, eine meiner
Lieblingsspeisen. Sieben Uhr abends und in der Nishikikoji-Straße ließen die Geschäfte schon die Rollläden herunter. In den Teramachi-Arkaden war aber noch high life. Auf der belebten Shijo-dori schlenderte ich bis zur Brücke über den Kamo-Fluss und zum hell erleuchteten Theater Minami-za.
Nächtlicher Spaziergang.
Im Kamo-Fluß spiegeln Lichter.
Erinnerungen.
23.11.2013
Momiji rot, gelb.
Die Stadt im Morgenlicht.
Kiyomizu-dera.
Schließ die Augen.
Pagoden, roter Ahorn.
Das ist kein Traum.
Räucherstäbchen.
Vor den gelben Lampen.
Opa mit Enkel.
Überraschend still
am Fuß der großen Bühne.
Da, ein Laubbläser!
Abends. Ich habe 16 Karten geschrieben, die CD mit Jonas Kaufmann angehört und ein bisschen den Stadtplan von Tokyo studiert.
24.11.2013
Kalte Tatami.
Kimonos der Taisho-Zeit.
Mit Mitsuko san.
Heute früh noch Kyoto. Ich machte einen Spaziergang durch die Muromachi-Straße bis zum Kaiserpalast. Dann kam Mitsuko ins Hotel, im Seidenkimono. Sie studierte neuere Literatur bei Imai
sensei und
lebt als „freie Wissenschaftlerin“. Sie scheint sich so recht und schlecht durchzubringen und unterrichtet an vier Universitäten in Osaka und Himeji. Sie lehrt „Aufsatz schreiben“ und über die beiden Dichter Miyazawa Kenji und Akutagawa Ryunosuke.
Kabuki ist zu teuer. Tokyo ist zu teuer. Und eine Auslandsreise nach Wien erst recht. Sie schaut total unverbraucht aus. Zirka um die 50 muss sie sein und hat keine Falte. Vor fünf Jahren beim letzten Rendezvous durchzogen einige Silberfäden ihr kurzes Haar. Jetzt sind sie ganz schwarz.
Wir tranken Kaffee und besichtigten dann eine wunderschöne japanische Villa in der Nähe des Hotels, das Shiorian-Museum. Das Gebäude wurde laut Prospekt um 1880 erbaut und später umgebaut und ergänzt. Heute ist es ein „tangible cultural
property of Kyoto“ und ein „Historic Medical Research Institute“. Von letzterem merkten wir nichts. Ich hätte eher von einem Kimono-Museum gesprochen. Wir kamen durch zwei westlich eingerichtete und großzügige japanische Räume. Von einer Terrasse aus kann man das Gionfest im Sommer beobachten. Die Kimonos sind, wie ich verstand, aus der Taishô-Zeit und haben zum Teil sehr extravagante Muster: Autos, Zigaretten, westliche Gegenstände, Waffen, aber auch edle traditionelle Blumenmuster. Zum Abschluss wurde uns in einem der westlichen Zimmer Matcha und Bohnenkuchen – yôkan – serviert.
Anschließend lud ich Mitsuko in das Restaurant ein, in dem ich unlängst kaki furai gegessen hatte. Mitsuko konnte nicht aufessen. Sie deutete auf den breiten Obi
ihres Kimono. Dann wartete sie mit mir bis das Taxi kam. „Tanoshikatta“ – etwa, „Es war sehr nett“ – sagte sie zum Abschied.
Ich war eine Stunde zu früh am Bahnhof! Dort war die Hölle los. Alle, die das Wochenende in Kyoto verbracht hatten, wollten heim! Der Nozomi war bummvoll. Ich fuhr zum ersten Mal mit diesem schnellsten der Shinkansen-Züge, denn mit dem Japan Rail Pass darf man ihn nicht besteigen. Dieses Mal hätte sich aber ein Japan Rail Pass, der doch ziemlich teuer ist, für mich nicht rentiert und so kam ich in den Genuss des Nozomi, was zu deutsch „Wunsch“ oder „Hoffnung“ bedeutet. Der einzige Unterschied zum Kodama (Echo) und Hikari (Licht) ist, dass er zwischen Kyoto und Tokyo nur einmal hält und zwar in Nagoya. Ich wollte die Fahrt mit meiner Kamera dokumentieren, aber nach dem zweiten oder dritten Foto wurde sie heiß und rührte sich nicht mehr. Dabei sah man so schön den Kamo-gawa und vor allem den Fuji. Überwältigend in dieser Tagesendstimmung. Zu schade, dass die Kamera steckte. In Tokyo angekommen hatte sie sich wieder beruhigt und zog locker das Objektiv ein.
Verbeugt sich höflich:
Fahrkarten bitte sehr.
Schaffner im Nozomi.
Blau spiegelnd im Licht
Mit weißen Steinen garniert.
Der Kamo-gawa.
Grüne Terrassen.
Rund, dunkel, verheißungsvoll.
Tee in Shizuoka.
Mit 300 kmh
rasend durch die Landschaft.
Ein Reiher im Fluss!
Orange leuchtend
im dunklen Grün der Bäume.
Mikan-Plantage.
Ein Hauch von Fuji
Im weiß-grau-blauen Himmel.
Schon die Dämmerung.
Fuji in voller Pracht.
Bleibt nur das innere Auge.
Die Kamera streikt.
Der Schnee geschmolzen.
Um die Mitte ein Wolkenband.
König der Berge.
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