Ruth Linhart | Reisen | Japan 2013 Teil 1 | Japan 2013 Teil 2 | Japan 2013 Teil 3
Grüner Tee und roter AhornJapan-Tagebuch 2013 | |
Im Herbst 2013 fuhr ich nach Japan, um das Herbstlaub zu bewundern, aber auch um Freundinnen wiederzusehen. Ich machte mir den Spaß, meine Reisenotizen mit Haiku anzureichern, angeregt durch die traditionelle japanische Literatur, in der oft Prosa mit Poesie vermischt wird. |
16.11.2013
Schon zehn Stunden
im Flugzeug. Draußen nur Nacht.
Ein Punkt im All.
17.11.2013
Im Narita Express vom Flughafen nach Tokyo.
Japan ist noch, was es war. Aus dem Lautsprecher ertönt mit sonorer Männerstimme auf Japanisch und zarter Frauenstimme auf Englisch alles, was man wissen muss. Wohin wir fahren, an welchen Stationen der Zug hält, dass alle Sitze reserviert sind und dass man überprüfen soll, ob man richtig sitzt. Jetzt auch auf Chinesisch! Das ist neu!
Und als ich die Frau beim Zeitungstand fragte, wo der Schalter der Japan Railways ist, kommt sie mir nach und ist besorgt, dass ich in die falsche Richtung gehe.
Nach seiner Ankunft am Terminal 1 des Flughafens steht der Narita Express eine Viertelstunde in der Station. Eine Truppe von Aufräumerinnen wischt den Boden, staubt die Sitze ab, legt frische weiße
Tücher auf die Sessel,
dreht die Sitze in Fahrtrichtung. Das alles in Akkordgeschwindigkeit.
Perfektes Japan.
Sitze in Fahrtrichtung gedreht.
Service total.
Kaum abgefahren kommt schon ein Mädchen mit Kaffee und Sandwiches auf ihrem Handwagen.
Blauer Himmel und feuchte Luft, auch das typisch japanisch.
Und eine Aufforderung an die Passagiere: „Bitte halten sie sich zurück, das Handy zu benützen!“
Wenn es sein muss, soll man sich bitte ans Ende des jeweiligen Wagons begeben.
Viele Erinnerungen steigen auf. Wie oft fuhr ich schon mit dem Narita Express zum Bahnhof Tokyo? Wir brausen durch die Station Narita. In die Stadt mit dem schönen Tempel aus der Heian Zeit kam ich vor Ewigkeiten. Kalt war es
damals. Kurz taucht die Pagode des Tempels auf.
Weiße Dolden von Suzukigras. Typisch für den Herbst in Japan.
Grüne Reisfelder. Das muss eine Zwischensaat sein, denn der Reis ist schon abgeerntet. Und die japanischen Einfamilienhäuser mit ihren Pagodendächern. Viele mit blauen Ziegeln gedeckt.
Tokyo-Bahnhof. Menschen, Menschen, Menschen, aus allen, in alle Richtungen. Heute ist Sonntag und viele sind unterwegs. Die meisten tragen Säcke irgendwelcher Firmen mit Schachtel von Mitbringseln – Omiyage. Die – meistens Naschereien – gibt es hier am Bahnhof überall zu kaufen. Ich sitze im Warteraum. Schräg gegenüber eine füllige junge Frau. Ihre Füße stecken in schwarzen Stiefletten. Um jeden Schaft ist eine breite rosa Schleife zur einer großen Masche gebunden. Das wäre ein Fotomotiv! An den Wänden und Säulen Plakate mit Vorsichtsmaßregeln. Man solle beim Handy-Telefonieren nicht gehen, das sei gefährlich. Mit Gepäck solle man auf die anderen aufpassen und nicht plötzlich stehen bleiben ohne auf die anderen zu achten. Bei diesen Menschenmassen angebrachte Warnungen!
Tokyo-Bahnhof.
Omiyage überall.
Tausende Menschen.
Die rosa Putztrupps im Shinkansen gibt es auch noch immer. Die Frauen hetzen sich wie die Wahnsinnigen. Auch hier auf jeden Sitz ein frisch gestärktes weißes Tuch. Jede Lehne wird gewischt.
Jetzt sind wir gerade am Fuji san vorbei gefahren!
Von solcher Reinheit,
umspielt von weißen Wolken,
ist nur der Fuji.
Nachts. Im Hamamatsu wurde ich abgeholt, von Kyôko und Noriyuki, von Tomie und Toshiko. Sie schleppten mich samt Gepäck in die Sky Lounge im 30. Stockwerk des Act-City-Gebäudes. Weiter Blick über die Stadt – ein Konglomerat aus größeren und kleineren Betonkuben mit niedrigen Holzbauten dazwischen. Stadtautobahnen auf Stelzen schlängeln sich durch.
Beim Kräutertee – die anderen tranken Kaffee – füllte ich meine Wissenslücken auf. Kyôko und Noriyuki haben schon zwei Enkelkinder. Das ältere ist drei Jahre und geht bereits in den Kindergarten. Der zweite Enkel wurde im Juli geboren. Tomie hat auch einen Enkel und Toshiko bereits drei, 14, sechs und vier Jahre alt.
Kyôko san ist 56 und sagt, sie gehe in drei
Jahren in Pension. Sie ist Lehrerin für Hauswirtschaft an einer Oberschule. Dort unterrichtet sie Buben und Mädchen. Noriyuki, der buddhistische Priester, verabschiedet sich schnell. Zwei Begräbnisse von Gläubigen seines Tempels seien „herein gekommen“. Er muss zur Totenwache, O-tsuya.
Toshiko, 68, arbeitet seit ihrer Pensionierung – sie war Ernährungsberaterin in einer Schule - als eine Art Pflegekordinatorin. Sie bespricht mit den Leuten, welche Pflegedienste sie brauchen und welche sie mit der jeweiligen Pflegestufe bezahlt bekommen. Der japanische Staat müsse sparen, und im Parlament wird derzeit gerade über die Pflegeversicherung und die davon bezahlten Leistungen beraten. Anscheinend zahlen die Menschen für die diversen Dienste einen kleinen Beitrag und der Großteil
wird von der Pflegeversicherung gedeckt. Für Menschen mit großer Pension solle dieser Beitrag in Zukunft verdoppelt werden. Ich erfahre auch, dass in Japan 40 Prozent der über Achtzigjährigen dement sind.
Tomie, ebenfalls 68, hat den Unterricht in der Oberschule und der Pädagogischen Universität aufgegeben und unterrichtet im Rahmen eines Projekts des Unterrichtsministeriums brasilianischen Kindern Japanisch. Es sind dies Kinder der Abkömmlinge japanischer Auswanderer nach Brasilien, die in wirtschaftlich guten Zeiten als Arbeiter zu Suzuki, Honda, Yamaha etc. strömten.
Derzeit kochen Tomie und Toshiko in der Küche und der Hausherr hat sich ins O-furo, das Bad, zurückgezogen. Auf dem Weg vom Bahnhof hierher fuhren wir bei Toshiko vorbei. Sie ist geschieden
und wohnt allein in einem kleinen Haus mit verwildertem Vorgärtchen. Tomie pflückte einen Strauß lila Blumen. Sie heißen Hototogisu, sagte sie. Ich kenne das Wort „hototogisu“ nur für den japanischen Kuckuck. Im Wörterbuch finde ich die Übersetzung „Krötenlilie“.
Das Haus der O.s, in das ich eingeladen bin, ist ein geräumiges Einfamilienhaus auf einer Anhöhe. Als ich vor Jahren zum ersten Mal herkam, blühten am Ufer des nahen Sanaru Sees die Kirschbäume.
Leider funktioniert die Heizung im Gästezimmer nicht, sie kühlt nur! Ich habe gebeten, sie auszuschalten.
Toshiko brachte alle Lebensmittel für das Abendessen mit. Während die Frauen in der Küche das Essen vorbereiteten, spielte Herr O. nach dem Baden Gitarre und sang leise dazu. Es gab
„kamo-nabe“, einen Wildenten-Eintopf. Nabe-Gerichte werden wie Sukiyaki auf dem Tisch gekocht. Der Tisch war übersät mit Köstlichkeiten. Besonders gewürdigt wurde außer dem Wildentengericht das Gemüse namens „gobo“, japanische Schwarzwurzel, und die kleinen Krebse, die Verwandte Toshikos aus Hokkaidô geschickt hatten. Die Trinksitten sind anders. Herr O. bediente sich an einer Dose Bier. Uns Damen wurde nichts angeboten. Am Ende des Essens brachte die Hausfrau eine kleine Schale mit dem obligaten grünen Tee.
Rund um mich ein japanisches Zimmer mit Tatami, Tokonoma – die Ziernische - mit Vase und Puppen, Shôji – die papierbespannten Schiebetüren - und Oshiire – Wandschrank, in dem die Futon verstaut werden. Auch Toshiko wurde als Kind zur Strafe in den Oshiire gesperrt, so wie mir meine Freundin Yasuko Imai aus ihrer Kindheit erzählt hat.
Ein Tag voll Lächeln.
Jetzt schlüpf ich in die Futon.
Japanischer Anfang.
18.11.2013
In Wien ist noch der 17. Es ist halb vier Uhr nachts. Ich kann nicht schlafen. Wegen des Zeitunterschieds bin ich durcheinander. Ich telefonierte mit H. und las ein bisschen im Buch „Before the Dawn“, japanisch „Yoake mae“, ein berühmter Roman über die Meiji-Zeit von Shimazaki Tôson.
Morgen, halb neun Uhr.
Auf den Tatami
mit bloßen Füßen laufen.
Wirklich in Japan.
Gerne würde ich die Rollos hinaufziehen, aber ich weiß nicht, wie das geht.
Später, im mollig warmen Wohnzimmer. Die Sonne scheint. Der Fernseher läuft. Im Garten Zitronen und Orangen. Tomie hat rund um den Zitronenbaum drei große Löcher gegraben und alle Küchenabfälle hinein geleert. Effekt: 200 Zitronen Ernte. Sie macht Eiswürfel aus Zitronensaft.
Im Garten Flieder
Und zweihundert Zitronen.
Spanisch im kyôshitsu.
Tomie hat mich ins „kyôshitsu“ mitgenommen, ins „Klassenzimmer“. Es befindet sich im Haus des Ehepaars Y., enge Freunde. Herr. Y. hat nach seiner Pensionierung die „Y. heart clinic“ eingerichtet, wo Ausländer auch umsonst behandelt werden. Im ersten Stock befindet sich die Japanisch-Klasse für die brasilianischen Kinder. Auf Japanisch, Englisch,
Spanisch und Portugiesisch ist angeschrieben, dass man die Schuhe ausziehen soll. Ein mit Tischen, Sesseln, Schulsachen und freien Ecken ausgestattetes Zimmer. Drei oder vier junge Frauen, die unterrichten und portugiesisch können. Sechs oder sieben Kinder. Ein großer Bub sitzt mit einer Lehrerin am Tisch und lernt. Tomie erzählt später, dass er sehr gescheit und Schüler der zweiten Klasse Mittelschule sei. Aber weil ihn die Mitschüler quälten, wollte er nicht mehr in die Schule gehen und wird nun hier unterrichtet. Die anderen Kinder sind fünf oder sechs Jahre alt und werden auf den Schuleintritt vorbereitet. Sehr herzige Kinder, die natürlich, da sie japanischer Abstammung sind, äußerlich ganz japanisch aussehen.
Sie singen mir ein Lied vor: „Arukô arukô, watashi ha
genki….“ „Gehen wir, gehen wir, mir geht es gut …“ Die meisten haben keine japanischen Vornamen. Gabriela ist heute zum ersten Mal hier. O. san erklärt, dass ich aus Austria komme. Sie zeigt Österreich auf der großen Weltkarte, die an der Wand hängt. Austria, so winzig, dass man es auf der Karte kaum erkennt, und so weit weg von Japan und Brasilien!
Ich muss mich vorstellen. Was ich so mache? „Ich kümmere mich um die Blumen in meinem Garten.“ Was ich gerne esse? „Fisch und Reis.“ Die Kinder erzählen dies und das. Eine der jungen Frauen übersetzt. Die Atmosphäre ist locker und liebevoll. Es dürfe keinen Druck geben, sagt Tomie Die Kinder müssen freiwillig kommen.
Nach dem „Lehman-Schock“, wie hier die Bankenkrise von 2008 heißt, seien viele brasilianische
Arbeiter entlassen worden und die brasilianische Community hatte kein Geld mehr zur Weiterführung der brasilianischen Schule. Die Kinder können aber auch nicht genug Japanisch, um in japanische Schulen zu gehen. In der Folge wurde ein mehrjähriges Projekt zur Schulvorbereitung bzw. schulischen Betreuung von Kindern eingerichtet, die nicht in die japanische Schule gehen wollen oder können. In ganz Japan gibt es zahlreiche solche Projekte. Hier in Hamamatsu werden zirka 20 Kinder betreut.
Tomie hat sich heute für mich frei genommen, aber sie führte den ganzen Tag zahlreiche Telefongespräche und ist auch jetzt gerade in ihrer „Klasse“. Es gibt einen Problemfall.
Der Ahorn noch grün.
Still sind die weiten Räume.
Tempel im Norden.
Nach dem Besuch im kyôshitsu besuchten wir das Grab von Imai sensei am Städtischen Friedhof. Dann führten mich Tomie und Toshiko zu zwei schönen Tempelanlagen im Norden von Hamamatsu.
Jetzt ist es Abend und bald gehen wir französisch essen. Kyôko und Noriyuki haben eingeladen. Im Fernsehen sehe ich eine Sendung über „shirasu“, das sind „die Kinder der Sardinen“. Der Beitrag stammt aus der Stadt Shizuoka in der Nähe von Hamamatsu. Jetzt im Spätherbst ist gerade Fangzeit für die winzigen weißen Fische. Wir sehen einen jungen Mann und eine junge Frau, die mit Vergnügen eine Schale mit Reis und shirasu vertilgen. Shirasu werden roh und gedünstet verspeist. Die rohen zucken noch in der Reisschale.
Es ist elf Uhr nachts. Ich sitze in Nachthemd, Schlafrock, Wolljacke, Anorak und Umschlagtuch auf den dunkelblauen Zabuton im Gästezimmer. Im Walkman höre ich Elina Garança.
Auch Toshiko denkt daran, dass wir alt werden und uns vielleicht nicht wieder sehen. Und hofft, dass es doch der Fall sein wird und wir dann halbwegs gesund sein werden. Immerhin hat sie eine Krebsoperation hinter sich.
Schon hat wieder der Abschied begonnen. Kaum haben wir uns getroffen, sagen wir schon wieder: „O-genki desu ne“ – Bleib gesund!“
Toshiko war heuer auf der Durchreise nach Polen in Wien. „Das nächste Mal kontaktierst du mich aber bitte!“
Kyôko und Noriyuki wollen nach Wien kommen, wenn der Sohn den Tempel übernimmt. Er will das aber noch lange nicht machen, sagten beide lachend.
Das Gespräch drehte sich ums Essen und ums Tanzen. Das Ehepaar O. besucht bereits seit neun Jahren eine Tanzschule, in der westliche Tänze wie Tango, Langsamer Walzer, Rumba, Samba, Chachacha, Quick Step etc. gelehrt werden. „Social dance“ heißt das in Japan.Toshiko, Tomie und Yûko Y. sind alle
wie ich Jahrgang 1945. Tomie ist im Jänner geboren, Toshiko im Oktober, Yûko im Dezember. Das französische Essen, zu dem uns Kyôko und Noriyuki einluden, war besonders fein. Es gab ein vielgängiges Menu. Eine Vorspeise mit Pasteten, Rohschinken und Gemüse. Dann eine köstliche Gänseleber. Krebse mit einer ausgezeichneten Sauce, ein Sorbet, zwei dünne Scheibchen Beefsteak, eine Maronicreme mit Eis … Alle tranken Wasser, außer mir – ich trank ein Glas Wein. Yûko erschien im Kimono - mir zu Ehren, sagte sie.
Yûko hat in ihrem Leben sehr viele verschiedene Dinge gemacht. Zuletzt war sie Gemeinderätin in Hamamatsu. Jetzt hat sie ein Projekt in Nepal. Ich fragte leider nicht, wer es finanziert, aber wahrscheinlich die japanische Regierung. Im Rahmen dieses Projektes lernen
Frauen in Pokhara Kleider zu nähen, die vorwiegend an Touristen und Touristinnen verkauft werden.
Die Frauen bekommen die Stoffe und ein bisschen Geld. Die Nähmaschinen dürfen sie behalten, habe ich verstanden. Der Kurs dauert einige Monate und es unterrichten Nepali, die Japanisch können, weil sie in Japan waren. Yûko kommt alle drei Monate hin und hat die Aufsicht und die Organisation inne. Aus Japan verkehrt sie per Email mit den Leuten in Nepal. Sie schreibt in Hiragana (der einfachen Silbenschrift) und die Nepali antworten in Romaji – lateinischer Schrift. Herr Y. hatte bis vor kurzem eine Klinik im selben Ort Pokhara, das ein Fremdenverkehrsort am Fuße des Annapurna ist.
In dieser Runde wird immer offen und auch über tiefe Themen gesprochen. Alle kennen
sich seit Jahrzehnten und haben gemeinsam mit Yasuko Imai seit den siebziger Jahren für die Emanzipation von Mädchen und Frauen gekämpft. Heute gelangen wir zum Thema „life work“. Yûko sagt, jetzt sei das nepalesische Projekt ihr „life work“. Kyôko erzählte über soziale Probleme in der Schule.
Während die anderen in der Runde mich im Gespräch ziemlich in Ruhe ließen, wendete sich Yûko immer wieder an mich. Daher redete ich auch mehr als sonst. Zum Beispiel erzählte ich, dass ich 1958 ein halbes Jahr in Nepal war. Sie fragte mich auch, warum der Dichter Ishikawa Takuboku, der so einfach schreibt, als großer Dichter angesehen wird. Weil er mit seinen Worten die Herzen der Menschen berührt, bemühte ich mich zu antworten.
Ich fragte nicht nach dem Thema Fukushima
und Atomkraftwerke. Ich weiß, dass dieses Thema alle Menschen in Japan bedrückt.
Aber immerhin fragte ich, ob sie Haiku oder Tanka dichten. Auf meine Frage lachte Kyôko lauthals auf und Noriyuki, müde von der Totenwache, war weg gedöst. Toshiko und Tomiko meinten, sie dichten nicht. Aber Yûko schreibt manchmal Tanka. Zum Beispiel wenn sie mit ihrem Mann gestritten hat. So könne sie sich besser ausdrücken. Er lese die Zeilen und sage dann „Entschuldigung!“
Nachdem sie über ihre Tätigkeiten erzählt hatten, fragten mich Toshiko, Tomie und Yûko , womit ich mich beschäftige, was mein „life work“ sei. Ich gestand, dass ich noch immer an dem Buch über Imai sensei und die japanischen Frauen arbeite. Sie wunderten sich nicht darüber oder zeigten es zumindest nicht!
Der Abschied von Toshiko, Yûko, Kyôko und Noriyuki war wieder einer für viele Jahre. Über dem Sanarusee hing der Vollmond.
Wir sehen uns wieder!
Der Sanaru-See glitzert.
Abschied unterm Vollmond.
19.11.2013
Buri zum Frühstück.
Weil Ruto san gern Fisch isst.
Das ist Gastfreundschaft.
Der Buri heißt auf Deutsch Gelbschwanz.
Zehn Uhr nachts. Heute morgen eilte Tomie schon früh in das Klassenzimmer. Davor bereitete sie mir ein Stück Gelbschwanz zum Frühstück, weil ich gestern gesagt hatte, dass ich gerne Fisch esse. Später erzählte sie mir, dass ihr Haus auf prähistorischem Grund steht und zeigte mir Scherben, die beim
Hausbau ausgegraben worden waren. Ich durfte mir eine aussuchen.
Gegen Mittag fuhr Hiroko vor. Tomie bewirtete sie mit Hojicha, geröstetem Grüntee, der derzeit sehr beliebt ist. Hiroko nahm mich und mein Gepäck mit.
Der nächste Abschied, diesmal von Tomie und ihrem Mann. „Vielen vielen Dank und kommt doch bitte nach Wien!“
In Hirokos Haus habe ich schon öfters wohnen dürfen, am längsten 2003, als ich vier Wochen lang Yasuko Imai interviewte. Hiroko fuhr mit mir in ein Kaufhaus. Hier erstanden wir „nemaki“, tradtionelle japanische Nachtgewänder im Kimonoschnitt. Wir sagen dazu „yukata“, und sie sind als Mitbringsel aus Japan äußerst beliebt. Mir, meinen Söhnen und im Freundeskreis dienen sie als Morgenmantel. Hiroko kaufte für das Gästeklo
eine wärmende Auflage für die Klobrille, damit ich nicht frieren muss. Die meisten japanischen Klos haben sowieso eine beheizte Klobrille. Ich nahm ebenfalls drei geblumte Klobrillenauflagen mit, als Geschenke aus Japan.
Anschließend führte mich Hiroko in ein Running Sushi-Restaurant. Solche Restaurants gibt es auch in Wien. Neu war für mich der Automatisationsgrad. Alleine hätte ich mich nicht zurecht gefunden. Elektronisch wird dem Gast ein nummerierter Platz an der Theke zugewiesen – sobald einer frei wird. Denn wie in vielen japanischen Restaurants ist auch hier ein „Wartebankerl“ für die Gäste normal. Die Sushi, die sich auf dem Laufband vorbei bewegen, sind mit Schnitzel und Gemüse belegt, die wenigsten mit Fischen. Aber man kann sich, wieder elektronisch, die gewünschten
Sushi bestellen.
Zu Hause bei Hiroko verpackten wir die vier Yukatas und drei Klobrillenauflagen und brachten sie zur Post. Zum Sonnenuntergang waren wir am Nagatajima-Strand. Hamamatsu ist berühmt für seinen breiten Sandstrand und die Schildkröten, die hier ihre Eier ablegen. Der Wind wehte schneidend kalt um unsere Gesichter. Wir stapften durch den feinen Sand bis zum Pazifik, der sich blaugolden unendlich bis nach Amerika dehnt. Der riesige Himmel mit seinen Wolkengebirgen war in rotes Gold getaucht. Subarashii – herrlich!
Die Sonne versinkt.
Scharf brennt Sand auf den Wangen.
Pazifik – endlos.
Wieder zurück wird mir Kae san vorgestellt, die „Braut“. Hirokos jüngerer Sohn hat im Juni geheiratet.
Beide lernten sich beim Laufen kennen, das sie professionell in der Laufmannschaft von Firmen ausübten. Kae erzählt, dass sie im Winter auf Okinawa trainierten und im Sommer im nördlichen Hokkaidô. Sie kamen über den Beruf in Kontakt und hätten eigentlich privat nicht miteinander verkehren dürfen. Dann waren die Eltern gegen die Heirat, weil Hamamatsu so weit von Ôtsu am Biwasee weg ist. Drei Stunden mit dem Auto! Aber letztlich kamen sie doch zusammen. Jetzt arbeitet Kae stundenweise in einem Restaurant für Ramen-Nudeln und der Sohn in der Firma des Vaters.
Hiroko ist sehr glücklich über ihre Schwiegertochter, eine schmale etwa dreißigjährige Frau. Ich sehe unzählige Fotos von der Hochzeit, die in Hamamatsu stattgefunden hat. Gemeinsam mit dem jungen Paar beschließen
wir den Abend in einem Restaurant namens Dororo-ya. Die Spezialität dieses Lokals ist ein schlutziger Brei aus der Jamswurzel, der jedem Gericht beigegeben wird.
Ruth Linhart | Reisen | Japan 2013 Teil 1 | Japan 2013 Teil 2 | Japan 2013 Teil 3 | Email: ruth.linhart@chello.at |