Ruth Linhart | Reisen | Donau Teil 1 | Donau Teil 2 | Donau Teil 3

bei Jaipur

Die Donau, vom Delta nach Wien


„Die Donau ist ein österreichischer Fluss“, schreibt Claudio Magris in seiner „Biographie eines Flusses“, und bezieht sich dabei auf die Lebenseinstellung des alten Österreich. Weniger tiefgründig als Magris dachte auch ich bisher immer: „Die Donau ist ein österreichischer Fluss“. Und der Donauwalzer „unseres“ Johann Strauß besiegelt quasi als „Nationalhymne“ der Donau diesen Besitzanspruch. Erst auf der Reise von Tulcea in Rumänien über Bulgarien, Serbien, Kroatien, Ungarn und die Slowakei an den Handelskai in Wien wurde mir bewusst, dass „wir“ nur einen kleinen Anteil dieses zweimächtigsten Stromes in Europa „besitzen“. Eher ist die Donau ein rumänischer Fluss, oder auch ein deutscher, ungarischer, serbischer oder  ein bulgarischer. Tatsächlich gehört die Donau aber niemandem, sondern ist internationales Gewässer.

28.6. 2011 Auf der MS Nestroy

Landkarte des Donaudeltas
Wir fahren leicht nach Nordwesten, das linke Donauufer ist ukrainisch und ein Ministückchen moldawisch, das rechte rumänisch. Knapp nach der Abfahrt von Tulcea, dem Tor zum Donaudelta. Ich sitze in der Kabine, das Fenster ist offen, und die Donau rauscht unter uns hinweg. Sie ist hier sehr breit, sehr mächtig, sehr malerisch. Vorher, in der Panorama-Bar der Nestroy, genoss ich den weiten Blick nach vorne, viel Wasser, begrenzt von grünen Uferwäldern, und darüber der riesige Himmel mit ausdrucksstarken Wolkengebirgen.


29.6. 2011

Ich wachte auf, die Sonne schien durch die französischen Fenster unserer Kabine, das Ufer und der Fluss zogen vorbei. Glücksgefühl. Zirka 50 km nach der Abzweigung des „Canalul Dunarea - Marea Neagra“. Dieser Kanal verkürzt den Weg von der Donau zum Schwarzen Meer um zirka 240 Kilometer. Die ersten Ideen dazu reichen bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück, fertig gestellt wurde er erst in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Jetzt steht das Schiff – oder fährt es ganz langsam?
Es ist ¾ 8 am Morgen und still. Der Motor rauscht leise. Vogelstimmen vom Ufer sind zu hören, alles sehr diskret. Ich war gerade oben auf dem Sonnendeck. Es ist zum Weinen schön. Das große Wasser, umgeben von den niedrigen bewachsenen Ufern und Himmel. Sonst nichts. Ich dachte nie, dass etwas so Einfaches so schön sein kann, dass es Tränen in die Augen treibt. Die Sonne scheint. Im braunen Wasser spiegeln sich Wolken. Wir sitzen gegenüber auf den schmalen Sofas unserer Kabine, unter denen wir die Koffer verstauen konnten. „Dass es da so lauschig ist!“, sagt Hans. Bei 180 Passagieren an Bord und Dutzenden Personal und vielen – wie vielen? – PS im Motor. An der Kabinenwand das Schattenspiel der Wellen. Jetzt braust ein Motorboot daher und macht Lärm. Hier ist die Donau glatt wie ein großer See.

Donau
Vorne und hinten nahen Schubverbände, lang gestreckte beladene Schiffe. Hier sei die Donau zirka ein Kilometer breit, sagt Hans, hätte der cruise director Niki R. Nikolaus gesagt. Das ist ein großer Mann von imposanter „Körperarchitektur“ (ein Wort, das ich aus seinem Mund zum ersten Mal bewusst wahrnahm), zirka 40 bis 45 Jahre alt. Ein Mann mit sonorer Stimme, der viele Witze macht, aber die Sache sehr gut im Griff zu haben scheint.
„Die Sache“ ist die Organisation von allem und jedem, was unseren Aufenthalt auf dem Schiff betrifft. Ihm zur Seite steht der „Hoteldirektor“ und über allen steht der Kapitän, ebenfalls ein großer Mensch, der gestern die Passagiere zu einem Begrüßungstrunk einlud. Das ist wohl ein Ritual auf so einer Schiffsreise. Der Kapitän posierte am Eingang zur weitläufigen Panoramabar auf dem Goethedeck – ein Stock über uns ist das, wir logieren auf dem Schillerdeck, unter uns gibt es noch das Grillparzerdeck, wo die Kabinen nur kleine Fenster haben und keine Glasfront und wo auch das Personal wohnt. Jedenfalls stand der Kapitän in seiner dunkelblauen Uniform ziemlich bewegungslos neben dem Tisch mit Sektgläsern am Eingang der Panoramabar, und die herbeiströmenden Schiffsgäste konnten sich mit ihm gemeinsam fotografieren lassen.
Der Kapitän ist ein Ungar, der „cruise director“ ein Salzburger. Er stellte die leitenden Kräfte vor: eine junge Deutsche, die für das Restaurant zuständig ist, eine andere junge Frau, die für den Reinigungsbetrieb sorgt, ein junger Mann, der die Rezeption unter sich hat. Jeder stammt aus einem anderen Anrainerstaat der Donau. Und auch das übrige Personal scheint bunt gemischt zu sein. Wie Niki Nikolaus bereits launig erzählt hat – er liebt es, über das Mikrofon seine durchaus beeindruckende Stimme erschallen zu lassen – wurde er von Passagieren angeredet: „Da sind ja so viele Ausländer!“ Worauf er sinngemäß reagierte, dass die Donau zehn Länder durchfahre, der Inbegriff eines internationalen Flusses sei, das spiegle sich eben auch in der Zusammensetzung des Personals und das sei ja gerade das Schöne. Es ist übrigens so, sagte Direktor Niki auch, dass auf der Donau, da sie ein internationales Gewässer sei, Angehörige jeder Nationalität ohne Arbeitserlaubnis arbeiten können. Auch Moldavier, die nur ein paar hundert Meter Donaustrand haben.
Das Schiff, das gerade vorbei brummte, ist ungarisch, meldet Hans.

Donau von Serbien bis
            Bukarest
Die Donau - ein beeindruckend internationaler Fluss. Sie ist 2858 km lang und durchfließt 10 Länder: Von der Quelle an Deutschland, Österreich, die Slowakei, Ungarn, Serbien, Kroatien, Rumänien, Bulgarien, Moldavien und die Ukraine. Wobei „durchfließen“ nicht immer stimmt. Von Kroatien bildet sie 137 km lang die Grenze zu Serbien, von Bulgarien 471 km lang die Grenze zu Rumänien. Moldavien besitzt nur ein paar hundert Meter Ufer knapp vor dem Delta, die Ukraine ungefähr 54 km am obersten Mündungsarm, dem „brațul Chilia“ (gesprochen „bratschul“). Am weitaus längsten begleitet sie Rumänien, nämlich 1275 Stromkilometer lang.

Das erfuhren wir und noch viel mehr beim ersten Vortrag unseres cruise directors bald nach dem Start unserer Reise. Die Donau heißt natürlich auch je nach der Sprache des Landes, das sie durchfließt, anders. Die Donau ist sie in Österreich und in Deutschland, in der Slowakei und in Ungarn wird sie zur Duna, in Serbien und Kroatien zu Dunav, um schließlich als Dunarea zwischen Rumänien und Bulgarien dem Schwarzen Meer entgegen zu fließen. Vor unserem Fenster wellt sich also die Dunarea. Nach dem äußerst reichhaltigen Frühstücksbuffet zwischen 7 und 9 Uhr folgt nun gleich wieder ein Vortrag: „Eine virtuelle Führung durch die MS Nestroy und eine Einführung zu Bukarest“. 

So, jetzt wissen wir einiges mehr über unser Schiff, unser schwimmendes Hotel, eine Woche unser „Zuhause“. Sie trägt den Namen eines österreichischen Dichters, wurde in den Niederlanden gebaut und fährt unter Schweizer Flagge. Einmal im Jahr muss sie nach Basel zur Überprüfung. Fertiggestellt wurde sie 2007, sie ist 124,85 Meter lang, 11,45 Meter breit und hat einen Tiefgang von 1,55 Meter.
Niki hat auch ein paar Worte über die DDSG verloren. Diese wurde als „Erste Donau Dampfschifffahrtsgesellschaft“ 1829 gegründet und war zur Zeit der Donaumonarchie die größte Binnenschifffahrtsgesellschaft der Welt. Der DDSG gehörten damals nicht nur Schiffe, sondern auch zahlreiche andere Betriebe. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie unter den Nachfolgestaaten der Monarchie aufgeteilt. Die österreichische DDSG wurde 1991 privatisiert. Die Passagierschifffahrt war stark defizitär, und es fand sich kein Käufer. „Einen Großteil der Fahrgastschiffe übernahm die DDSG Blue Danube Schifffahrt GmbH, die diesen Geschäftsbereich bis dato erfolgreich weiterführt,“ erfahre ich in Wikipedia. Seit 1995 gehört die „DDSG Donaureisen“ zu 50 % je dem Wiener Hafen und dem Österreichischen Verkehrsbüro. Sie konzentriert sich auf Ausflüge in die Wachau. Mit Partnerunternehmen werden aber auch die Strecken Wien-Passau, Wien-Bratislava und Wien-Budapest angeboten.

Vom Delta bis Bukarest

Nun aber eine kurze Schilderung des bisherigen Verlaufs unserer Reise:
Abflug gestern um 5.45 Uhr. Die härteste Bandage der Reise. Ich stand um halb zwei Uhr auf. Um halb vier Uhr mit dem Taxi zum Flughafen. Das war zu nachtschlafender Zeit. Schon hell, aber alles wie ausgestorben. Am Flughafen jedoch viel Leben. Unsere Freunde erwarten uns. Einchecken. Im Restaurant nur Wasser, obwohl ich sonst gegen Flugangst immer ein Glas Gespritzen trinke. Aber so früh wollten das meine Magennerven noch nicht. Gegen sechs Uhr Abflug. Eine Stunde fünfundzwanzig bis Constanța („za“ gesprochen). Ich lese erstaunt, dass die Römer hier waren – und die Griechen stießen auch vor bis zum Eisernen Tor!
Constanța ist jedenfalls eine der wichtigsten Städte Rumäniens und sein größter Handelshafen. Gegründet wurde es unter dem Namen Tomis von den Griechen, die hier Wein gegen dakisches Getreide eintauschten. Ihre Blütezeit erlebte die Stadt unter den Römern. Constanța war auch die Stadt, in die Kaiser Augustus den Dichter Ovid in die Verbannung schickte! Hier starb er 17 nach Christus und schrieb vorher die „Klagelieder“ „Tristia“ und die „Epistulae ex Ponto“, „Die Briefe vom Schwarzen Meer“. Obwohl im Reiseführer das milde Wetter der rumänischen Schwarzmeerküste erwähnt wird, klagt Ovid über das raue Klima, aber auch über rohe Barbaren, stete Kriegsgefahr und trostlose Einsamkeit. Anscheinend gibt es heute noch in Rumänien den Namen „Ovidiu“. Auf dem Piația Ovidiu in Constanța steht ein Denkmal des Dichters.
Wir sehen aber weder das Denkmal noch das Archäologische Museum mit einer „beachtlichen Sammlung griechisch-römischer Fundgegenstände“. Im Flughafengebäude – einem lang gezogenen niedrigen Bauwerk, das mich mit seinen großen Fensterscheiben an ein Palmenhaus erinnert – nimmt uns die reizende Reiseführerin Claudia in Empfang. Sie hat deutsch autodidaktisch gelernt, weil ihr die Sprache so gut gefällt. Sie lotst uns in den Bus Nummer 2 – alles in allem füllen die Passagiere der MS Nestroy vier Busse. Später wird sie uns nicht mehr betreuen, denn sie sei die einzige Reiseführerin hier, die italienisch kann, und muss sich daher um die Gruppe aus Triest kümmern, die an unserer Donaureise teilnimmt. Wie wir schon im Flugzeug gemerkt haben, sind die Passagiere unseres Schiffes zum Großteil Leute ab 60 (wie wir – abgesehen von Hans, der mit 55 zu den Jüngeren gehört). Ein paar noch jüngere sind auch dabei, zum Beispiel der Betreuer der älteren italienischen Herrschaften, jene fast alle Damen mit silbernem Haar.


Wir fahren mit dem Bus eineinhalb Stunden durch die Dobrudscha, einen Teil Rumäniens, der „nicht typisch für Rumänien ist“ – so die Reisebegleiterin, die uns später im Delta betreut. Ich bin sehr müde und schlafe immer wieder ein, obwohl ich mich bemühe, die Augen offen zu halten. Aber so viel bekomme ich mit, dass die Landschaft zuerst brettleben und später hügelig ist. Riesige gelbe Weizenfelder, grüne Maisfelder und blühende Sonnenblumenfelder ziehen sich bis zum Horizont. Ab und zu ein Örtchen. Eines heißt Babadag. Hier öffne ich gerade die Augen, als wir an einer Moschee mit Minarett vorbeifahren. Sie stammt natürlich aus der Zeit der türkischen Besetzung. Wie ich nachlesen kann, stammen die frühesten archäologischen Funde des Ortes aus dem 9.-7. Jahrhundert vor Christus. Heute leben etwa 10 000 Menschen hier, die sich von der Landwirtschaft, vom Fischfang und auch vom Tourismus ernähren. Babadag und die meisten anderen Orte, durch die wir fahren, wirken arm, von vielen Häuser bröckelt der Mörtel.

Rechts von uns glitzert ab und zu in der Ferne ein Silberstreifen, das Schwarze Meer. Näher kommen wir nicht heran. Bei der Schiffsreise in umgekehrter Richtung, also von Wien aus stromabwärts, fährt man bis zum Flusskilometer Null bei der Stadt Sulina am Schwarzen Meer.

Kabine der MS Nestroy
Jetzt sind wir bei Flusskilometer 406, verkündet Niki N. gerade über Lautsprecher, die natürlich auch in jede Kabine tönen. Er macht uns auf Pelikane auf einer Sandbank aufmerksam. Pelikane leben, sagt er, bis zum Stromkilometer 880.
Die Stromkilometer werden übrigens bei der Donau, anders als normalerweise, von der Mündung an „bergauf“ gemessen. Das hat damit zu tun, dass man sich, so sagt wenigstens Claudio Magris 1986, bisher über den Ursprung der Donau nicht einigen konnte. Die Quellen der Donau erschienen vergangenen Zeitaltern ebenso rätselhaft wie die des Nils, berichtet Magris. Niki zeigt uns in seinem Vortrag über die Donau ein Bild des Quellbeckens im Fürstenbergpark von Donaueschingen. Hier wird die Brigach gefasst, einen der beiden Quellflüsse. Der andere Quellfluss ist die Breg. An deren Quelle bei Furtwangen soll sich ebenfalls der Ursprung der Donau befinden. In Wikipedia liest man, dass die Donau eben zwei Quellflüsse habe, dass dies keine Seltenheit sei, und man verweist auf Rhein, Main, Elbe, Nil, Amazonas …
Jedenfalls, so erzählt Niki, konnte man sich ausgehend von der Quellenproblematik nicht auf die Länge der Donau einigen, und so habe Kaiser Franz Joseph sinngemäß gesagt: „ Messt sie halt von unten an.“ Daher die verkehrten Stromkilometer. Gemessen wird von Flusskilometer 0 bei der rumänischen Stadt Sulina bis zur Vereinigung von Breg und Brigach. 2810 km windet sie sich durch die Beckenlandschaften des nördlichen Alpenvorlands, des Wiener Beckens und der Pannonische Tiefebene, sie durchschneidet Engtäler wie die Wachau und das Eiserne Tor, und mündet schließlich offiziell bei Sulina ins Schwarze Meer. Davor aber verbreitet sie sich zum Donaudelta, durchzogen von vielen, vielen breiteren und schmäleren Flussarmen. Dieses ist „Weltnaturerbe“ und steht unter Naturschutz. 

Weltkulturerbe

MS Nestroy am Kai in Tulcea
Im Donaudelta auf kleineren Schiffen
In Tulcea – Tultscha ausgesprochen - liegt schon die MS Nestroy im Hafen. Auch Tulcea mit 92 000 Einwohnern hat eine weit zurückreichende Geschichte, schon Herodot hat sie im 3. Jahrhundert vor Christus erwähnt. Heute ist sie eine bedeutende Hafenstadt und vor allem das Tor zum Donaudelta.

Das Wetter ist halb sonnig, halb bedeckt, kühl, so wie heute. Wir besteigen kleinere Boote, die uns ins Delta bringen. Im Delta spaltet sich die Donau in drei Hauptarme auf: Der Chilia-Arm (Kilia-Arm) im Norden bildet fast auf der gesamten Länge die Grenze zwischen der Ukraine und Rumänien. Den Sulina-Arm in der Mitte benutzen die meisten Schiffe. Der Sfantu-Gheorge-Arm (St. Georgsarm) im Süden ist, so lese ich, der naturbelassenste der drei Flussarme.
In das 5000 km2 große Delta dringen wir nur ein ganz kleines Stückchen ein, obwohl wir drei Stunden unterwegs sind. Zum Vergleich, das Burgenland bedeckt zirka 4000 km2 Fläche. Unsere Reisebegleiterin, ein zartes lebhaftes Mädchen, verkauft uns Landkarten vom Donaudelta und zeichnet allen, die es wollen, unsere Strecke ein. Sie studiert an der Tourismushochschule in Bukarest und absolviert hier ein Praktikum.

Vogelschauen
            im Delta
Ein Seidenreiher
Zuerst gleiten wir auf dem breiten mittleren Arm dahin, dann biegen wir in die grüne Welt der schmäleren Arme ein. Viele Weiden, die Zweige bilden einen Vorhang fast bis zur silbrigen Wasseroberfläche. Die Vögel scheinen die Schiffe gewohnt zu sein, die immerhin 50, 60 Personen fassen dürften. Wir erfreuen uns an Seeschwalben, Möwen, Kormoranen, Seidenreihern, Graureihern, Fischreihern, Kranichen, Störchen, auch Nebelkrähen. Und natürlich Pelikanen. Auch kleinere Vögel flattern umher, aber wir haben nicht das Glück, einen Bienenfresser zu sehen oder gar einen Eisvogel, die ebenfalls im Delta zu Hause sind. Magris schreibt von einhundertzehn Arten von Fischen und dreihundert Vogelarten des Delta. Dazu noch die Tiere an Land, Wildschweine, Wölfe, Füchse, Wildkatzen. Hans glaubt mehrmals, Bisamratten im Wasser schwimmen zu sehen. Vielleicht waren es aber auch Fischotter, die hier ebenfalls vorkommen. Nicht jedoch Biber, erzählt die Reisebegleiterin. Das Weidenholz sei ihnen zu hart.
Von den 15 000 Menschen, die im Delta leben, sind die Mehrheit Lipowenen oder Lipowaner, Nachkommen altgläubiger Russen, die im 17. oder 18. Jahrhundert (je nach Quelle) aus religiösen Gründen Russland verlassen mussten, sich hier niederließen und von Schilfverarbeitung, Viehzucht und Fischfang leben.
Ein Kormoran
Während wir an der vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt vorbei gleiten, sitzen wir im Restaurant des Schiffes und verspeisen unsere Lunchpakete. Auf Deck ist es empfindlich kühl, aber die Luft ist schön, die Farben sind klar. Die Stimmung ist leicht. Alles andere ist weggeblasen von dem frischen Wind, nur die flatternden weißen Vögel, die schwankenden Zweige am Ufer, die leuchtenden Wolken am Himmel sind von Bedeutung. Und die riesigen leer gefressenen Muschelschalen, die wir mit dem Fernglas am Ufer entdecken können.

Die funktionelle Kabine in
            der MS Nestroy
Rückkehr nach Tulcea, Einschiffen. Alles klappte, wenn sich auch beim Einchecken eine lange Warteschlange bildete. Auch die Tischreservierung im Speisesaal geht klaglos über die Bühne. Tisch Nummer 53 am Fenster ist schon für uns reserviert. Das Schiff ist sehr gepflegt. Unsere Kabine ist klein, aber äußerst funktionell. Und alles ist sehr sauber. Ich räume die Koffer aus, schlichte unsere Sachen in die vorhandenen Kästen und Fächer, und schiebe sie dann unter die Sofas rechts und links. Es gibt Klappbetten und über ihnen eine breite Ablage für Bücher, Sonnenhüte, Wecker und allen anderen Krimskrams, der auf die Reise mit musste. Während wir beim Abendessen sind, wir das Bett aufgeklappt. Als wir zurückkommen, brennt diskretes Licht, die Bettdecke ist zurückgeschlagen, auf dem Kopfkissen liegt eine kleine Schokolade.
Aber ja nicht die Fenster öffnen in der Nacht, wenn wir das Licht offen haben, warnt Niki Nikolaus. Denn der Grund, warum so viele Vögel sich von der Donau angezogen fühlten, seien unter anderem die Millionen Insekten, die uns umschwirren. 

Reise bergauf

Die Weite der Donau in Rumänien
Kaum an Bord legen wir ab und beginnen die rund 1800 km lange Reise die Donau „bergauf“. Ich bin sofort überwältigt von der Schönheit, die uns umgibt. Von der Weite des Himmels, der Weite der Wasseroberfläche, den sanften spiegelnden Wellen, den fernen Ufern, den vielgestaltigen Wolken, der klaren Luft, den sich ständig wandelnden Stimmungen, den Licht- und Schattenspielen. So fahren wir durch den späteren Nachmittag und die einbrechende Dämmerung in die Nacht.

Bald nach der Abfahrt beginnt das ukrainische Nordufer mit der Stadt Reni bei 128 Stromkilometern, ein wichtiger ukrainischer Handelshafen. Auch das Stückchen Moldawien passieren wir hier irgendwo. Vor dem Dunkelwerden, das jetzt im Sommer erst gegen zehn Uhr eintritt, fahren wir an den Städten Galați (gesprochen „zi“) und Brȃila vorbei. Städte am fernen Ufer, in einer anderen Welt, Städte mit in den Himmel ragenden Kränen und Werften. Galați bei Flusskilometer 150 wurde 1445 erstmals erwähnt und hatte ein historisches Zentrum, das aber im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört wurde. Bewohnt wurde es schon viel früher von den Dakern und den Römern. Die Daker, lese ich, lebten schon im 5. Jahrhundert vor Christus in den westlichen Schwarzmeergebieten, im ersten Jahrhundert vor Christus vereinten sie sich mit den Geten. Der römische Kaiser Trajan unterwarf dann die ganze Gegend und machte sie zur römischen Provinz Dacia. Diese reichte aber weit über das heutige Rumänien hinaus und schloss Teile der heutigen ungarischen pannonischen Tiefebene, des heutigen Moldavien und Bulgarien ein. Jetzt ist die Stadt Galați mit rund
300.000 Einwohnern von der Schwerindustrie geprägt, unter anderem ist hier die größte Eisenhütte Rumäniens und die größte Schiffswerft. Der Hafen von Galați gilt als der größte Binnenhafen Rumäniens. Und es gibt auch Fährverkehr zum rechten Donauufer.
Bei Galați macht die Donau eine mächtige Kurve und in unserer Fahrtrichtung, also stromaufwärts gesehen, ändert sie ihre Richtung vom Osten steil nach Süden.
Bald folgt Brȃila. Auch dies eine antike Handelsniederlassung – die ältesten archäologischen Funde stammen aus der Zeit um 5000 vor Christus - , die heute ein großes Industriezentrum ist. Metallverarbeitung und Schiffsbau sind ihre Schwerpunkte. Die Kräne und Gebäude am Ufer betrachte ich eher als Störung der stimmungsvollen Landschaft.
Magris ist im Unterschied zu uns in Brȃila selbst gewesen, hat die historische Altstadt besucht und schreibt, dass es im 19. Jahrhundert ein Sammelpunkt bulgarischer Emigranten war, die von hier aus die Revolution vorbereitet haben. Welche Revolution? Ich bin verwirrt über die verschlungene und vielfältige Geschichte dieser Region, wie sie mir schon in den ersten Stunden der 1880 Kilometer langen Schiffsreise begegnet.
Vor allem konzentriert sich Magris in der Stadt Brȃila auf Panait Istrati, Sohn eines griechischen Schmugglers und einer Wäscherin, der hier geboren und später in Frankreich ein weltberühmter Dichter wurde. Wobei ich gestehen muss, dass ich ihn bisher nicht kannte. Er lebte von 1884 bis 1935 und führte ein abenteuerliches Leben. Romain Rolland nannte ihn einen „Gorki der Balkanländer“. Seine Bücher wurden in fünfundzwanzig Sprachen übersetzt. Am berühmtesten sei sein Buch „Auf falscher Bahn“, lese ich. Darin kritisierte er die stalinistische Sowjetunion.
Aber auch Brȃila verschwindet bald, denn wir bewegen uns, langsam zwar, im Durchschnitt 22 Kilometer die Stunde, unaufhaltsam vorwärts, die Donau bergauf, und so gleiten wir auch vorbei an der 60 Kilometer langen Donauinsel Brȃila.

Panoramabar
Nun ist schon der nächste Tag. Nach dem Vortrag sitzen wir auf dem Sonnendeck.
Von allen Seiten wird man verwöhnt. Heute zum Beispiel war ich schon um sechs Uhr früh hier heroben. Um diese Zeit, vor dem eigentlichen Frühstück, warten in der Panoramabar bereits Kaffee und Croissants auf die Frühaufsteher.
Bei Kilometer 376 sind wir an der Stadt Silistra vorbeigekommen, diese Stadt auf dem rechten Donauufer liegt schon in Bulgarien, nur ein paar hundert Meter von der bulgarisch-rumänischen Grenze entfernt. Sie wurde im 2. Jahrhundert nach Christus von Kaiser Trajan gegründet, ein römisches Grabmal mit schönen Wandmalereien und die türkische Festung sind bis heute erhalten. Wahrscheinlich wäre auch eine Reise am Ufer der Donau entlang bis zum Schwarzen Meer ein großer Gewinn.

Quellen:

Claudio Magris, Donau – Biographie eines Flusses, erstmals 1986 in italienischer Sprache in Mailand erschienen. Die verwendete Taschenbuchausgabe: Deutscher Taschenbuchverlag, München, 7. Auflage 2010.
Martin Gostelow und Elke Frey, Die Donau, JPM Guides, Lausanne, Ausgabe 2011

http://de.wikipedia.org/wiki/Donau

http://de.wikipedia.org/wiki/Donauquelle

http://de.wikipedia.org/wiki/DDSG_Blue_Danube

http://de.wikipedia.org/wiki/Babadag_%28Rum%C3%A4nien%29

http://de.wikipedia.org/wiki/Constan%C8%9Ba

http://de.wikipedia.org/wiki/Dobrudscha

http://de.wikipedia.org/wiki/Sulina

http://de.wikipedia.org/wiki/Tulcea

http://de.wikipedia.org/wiki/Lipowaner

http://de.wikipedia.org/wiki/Daker

http://de.wikipedia.org/wiki/Gala%C8%9Bi

http://de.wikipedia.org/wiki/Panait_Istrati

http://de.wikipedia.org/wiki/Br%C4%83ila


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