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Das weisse Haus Gol Baithak23.2.1995, Wiedersehen mit Kathmandu |
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Regen. Schock. Geradezu Verzweiflung. Aber
vielleicht gewöhnen wir uns. Mein Nepal! Mein Kathmandu ist zerstört.
Eine Ruine. Der Durbar Platz ist noch schön. Aber dort vergeht keine
Minute, ohne daß nicht jemand unsere Geldquellen, die ja wirklich
märchenhaft groß, fast unerschöpflich scheinen müsen,
anzapfen möchte.
Nach dem Frühstück, es regnete, gingen wir in die
"East-West Library" des Hotels. Gespendet vom "Institute of Ecotechnics". In
der Bibliothek spricht uns ein alter Mann an, langes weißes Haar,
weißer Bart, weißes loses Gewand, Sandalen. Er heißt Swami
Dharmajyoti. Er stammt aus der Gegend von Janakpur, im Terai, wo es viele
Schlangen gibt. Er hat uns eine Frauenmalerei um 60 Dollar verkauft. In der Bibliothek habe ich auch in einem Buch von 1983
geblättert, Sharade Press, Kathmandu, mit vielerlei Informationen. Unter
dem Schlagwort "Afforestation" hieß es, daß es alljährlich
eine "Forest Week" gibt, jedes Jahr im Monat des Asar (Mitte Juni bis Mitte
Juli), es gibt ein afforestation office und afforestation programs. Jetzt
schreiben wir das Jahr 2052 V.S. Afforestation programs existieren seit 2023 -
also 1966. Zuständig war damals, 1983, als das Buch erschien, ein gewisser
Mr. Prallad Krishna Manandhar. Ich notiere den Namen, vielleicht habe ich Lust,
ihn zu kontaktieren. Karachi beim Anflug - ein unübersehbares nächtliches Lichtermeer. Karachi beim Abflug - Betonsilos, so weit das Auge reicht. Dann ein Wassergewirr, das der Run of Catch gewesen sein könnte. Sonst fast nur Wolken. Beim Anflug auf Kathmandu auf der linken Seite des Flugzeugs ein bißchen über den Wolken sichtbar die Gipfel hoher Berge. Wir saßen rechts! Anflug über die fast 3000 Meter hohen zerklüfteten und doch bis oben hinauf bewirtschafteten "Vorberge". Ich fürchtete mich und schaute wenig hinaus, weil wir ja zunehmend unterhalb der Bergspitzen dahinflogen mit unserem riesigen Airbus. Das Kathmandutal, braun, Ziegeleien, kleine Leute, kleine Häuser bis direkt neben die Flugbahn. Bewölkt. Grau. Der Flughafen ziemlich leer, braungrau, neonartiges Licht. Das Visum kein Problem. Auch das Taxi kein Problem. Wir fragten bei der Information, ein Mann nahm sich unser an, brachte uns zu einem etwas heruntergekommenen Auto, welches das Taxi war. Leute bedrängten uns um Geld. Ich: "Nein". Hans will Geld hergeben. Der Taxifahrer lenkt uns durch die Stadt. Ein goldenes Dach, könnte das Pashupatinath sein? Drüben, inmitten von Betonhäusern. Seinerzeit auf dem freien Land! Ich erkenne den Royal Palace. Es ist unbeschreiblich, was wir sehen. Staub und Schmutz. Viele Menschen an der Straße in diesem Staub und Schmutz. Die Häuser schauen aus wie Ruinen. Die Autos und Motorräder fahren direkt aufeinander zu und weichen im letzten Augenblick erst aus. Dieser Weg vom Flughafen zum Hotel war noch fast schön gegen den Spazierweg vom Hotel zum Durbar Platz. Da wurde mir übel. Ich könnte nur weinen. Das Hotel ist eine ziemliche "Dschunke" wie Hans sagt. Aber inmitten des Abfallhaufens rundherum doch eine Oase der Ästhetik. Die Zimmer sind bunt, mit Ölfarbe gestrichen, die Decke gelb, türkis und blau umrahmt. Sehr viel rot, dunkelrot, auch die Bettwäsche. Ich schlage die Decke zurück, sehe Flecken, bitte die nepalesische Aufräumefrau um frische Bettwäsche. Ein zweite Frau kommt dazu. "Everything allright Madame?" Offensichtlich schimpft sie die erste Frau, weil diese nicht genügend aufgeräumt hat. Die beiden Handtücher im Bad sind schmutzig. Zum Glück habe ich ein eigenes mit. Für die Aufräumefrau ist mein Verhalten sicher unverständlich, hier ist doch alles so sauber im Vergleich mit der Welt draußen. Gleich nach der Ankunft verlassen wir das Hotel wieder und gehen "in die Stadt". Ich muß die Scheu vor "draußen" sofort überwinden, sonst bleibe ich drei Wochen nur im Hotel. Ich will zum schönen Tempelplatz, den ich aus meiner Kinderzeit in Erinnerung habe. Der Weg ist unasphaltiert. Mopeds, Autos nebeln Dreck auf, kleine Traktoren ebenfalls. Räudige Hunde. Abfälle rechts und links der Straße. Über den Bishnumati. Das Ufer ist eine Müllhalde. Oben auf der Müllhalde ein Weg, auf dem Radfahrer fahren, Behausungen lehnen, Schweine, Büffel lagern hier, wilde Hunde. Wir geraten auf einen Weg, der gesäumt ist von Abfall, Exkrementen und halbabgenagten Tiergerippen. Mein Magen hebt sich. Dann in die Gassen hinein. Die Luft ist blaugrau von den Abgasen der Fahrzeuge. Ein enormer Lärm, enorm schlechte Luft, enormer Dreck, enorm abgefackte Häuser. Die schönen nepalesischen Bauten mit den Holzschnitzereien sind grau gefärbt vom Umweltschmutz und so verbeult und verzogen, daß man sich wundert, warum sie nicht schon längst eingestürzt sind. Inmitten dieser Umgebung erstaunlich viele hübsche, gut gekleidete Menschen, Männer, Kinder, Frauen, die sich ganz alltäglich in diesem Zerrbild "meines" Kindheits-Kathmandu bewegen. Ich könnte mich in Tränen auflösen. Ich bin schockiert, erschüttert, entsetzt. Diese Verwandlung hat die westliche Zivilisation gebracht! Das ist der Segen der Entwicklung! Das ist unsere Schuld. Das sind wir, die da alles zugrunde richten. Wir, die reichen Leute aus dem Westen, mit unseren technischen Segnungen. (Die Segnungen funktionieren schlecht. Gestern abend und heute beim Frühstück fiel jeweils der Strom aus.) Das Wasser ist ein Kloake und Quelle der Krankheiten, sodaß man nicht einmal den Mund damit ausspülen darf. Die Kindersterblichkeit ist fast die höchste auf der Welt. Aber es gibt Autos, hurra! Die Luft ist verpestet und es existieren drei-bis viermal so viele Menschen wie 1958! Hurra!!! Alles ist zugebaut. Hier, wo unser Hotel steht, war 1958 sicher nichts beziehungsweise Landschaft. Wahrscheinlich war der Bishnumati ein grüngesäumter Fluß. Reisfelder. Jetzt ist alles zubetoniert und zugeschüttet, von Müll, von Abfall. Noch dazu schlechtes Wetter. Endlich gelangen wir auf den schönen Platz umrahmt vom Königspalast, von 51 Tempeln. Die berühmten Gebäude von Kathmandu. Hier spannt sich ein Transparent mit der Aufschrift "Durbar Square cleaning group" oder so ähnlich. Es ist nicht möglich, eine Minute in Ruhe zu sitzen und zu schauen. Zuerst kommt eine Gruppe herziger Buben in Schuluniform auf uns zu. "Where come you from?" ist der erste Satz. Der zweite: "Give me a coin from your country." "Give me any money." "Buy me a chocolate." Ich sage:"No". Wieso kann der Bub so gut Englisch? Ich lobe ihn, in der Hoffnung, daß ihn das für seine Enttäuschung entschädigt. Ein Mann redet uns an. Schaut sympathisch aus. Ist Träger. Ob wir einen guide für Trekking brauchen. Flötenverkäufer wollen uns Flöten verkaufen. Ich kaufe eine, weil Hans den Verkäufer fotographiert. Er will uns zehn verkaufen. Kukris wollen sie uns anhängen. Ich habe die Gegenstände des Jahres 1958 vor meinen inneren Augen. Das hier sind lauter Kitschwaren. Aber in den Geschäften gibt es hübschen Schmuck. Wir müssen in Zukunft noch mehr "Nein" sagen. Vielleicht hat es zu regnen aufgehört. Vielleicht gehe ich zum "afforestation-office". (Aber ich kenne dort niemanden.) Vielleicht bringe ich meine Visitenkarte mit und das Prospekt unserer Forstlichen Bundesversuchsanstalt und bitte, daß sie mir etwas über die Aufforstung in Nepal erzählen. Abendessen. Es schmeckt nicht besonders. Lichtausfall. Todmüde. Eine ganze Nacht haben wir nicht geschlafen. Ich schlafe im Restaurant am Tisch ein. Um 6 Uhr sind wir im Bett. Um zirka zehn Uhr werden auf dem Dach über uns die Reparaturarbeiten fortgesetzt., denn es gibt wieder Strom. Hundehorden bellen laut. Ich bekomme starkes Kopfweh. Gegen Morgen nehme ich meine Migränemittel. Die helfen. Ich schlafe bis neun Uhr. Hans ist vor mir auf, eine Sensation. Ich möchte am liebsten liegen bleiben.Ich habe in meinem weißen Schlafsack aus Leinen geschlafen. Bisher habe ich noch keine Kakerlaken gesehen, die uns 1958 zahlreich besucht haben! Amerikanisches Frühstück. Ich trinke nur Kaffee und esse Toast, wegen meines Magens. Alles ist so flau. Andere deutsch sprechende Gäste. Das Paar vom Nebentisch kommt aus Düsseldorf. Eine Woche Kathmandu. Sie wirken auch ziemlich weggetreten. Hans liest die Zeitung. |
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