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"Ich wurde mit 20 Jahren im
Herbst 1940 einberufen. Ich bin dem Feldtruppenteil, der aus dem
Frankreichfeldzug zurückkam, nach Münsterberg zugeteilt worden. Die
stärkste Bezugsperson in meiner Erinnerung ist ein gewisser Oberleutnant
Wilkens. Er war Kompaniechef, ein preußischer Offizierstyp, er ist
gefallen. Er hat das ganze als reines Schachspiel betrachtet, mit totaler
Verachtung der Hitler-Plebs. Er hat sich in den Dreck geworfen mit uns. Es war
alles für ihn, wenn Sie wollen, eine Etüde der
Selbstüberwindung. Das Wort Feind gab es für ihn natürlich
nicht. Wir wußten ja gar nicht, wer der Gegner ist. Wozu wir da
schießen und was wir da sollen, das wußte niemand. Der Gegner war
eine Pappfigur ohne Charakterzug. Es bestand doch der
Vertrag mit
Stalin. Es war eine mysteriöse Situation, die diesem personalen
Heroismus sehr dienlich war. Ich hab einmal an einem Abend ein langes
Witzgedicht geschrieben und habe dafür einen Sonderurlaub nach Breslau
bekommen. Ich habe Breslau von damals erlebt: die Hallenkirchen, die
unerhörte Architektur. Es war ein sozusagen konsequent vom Bürgertum
durchformtes Stadtbewußtsein ... Nie wieder möchte ich es sehen!
Ja, da war also der Wilkens und dann war da der
Zankl! Ich war
Chemiestudent und wurde von ihm als Bataillons-Schreiber angefordert. Was
für eine Protektion da im Hintergrund war - ich werde es nie erfahren. Ich
konnte nämlich ganz miserabel Maschinschreiben, war also ein
unfähiger Bürosklave. Er war der perfekte Bürokrat, der mit
Umsicht immer mehr Schreibarbeiten heranzieht. Wie kann ich die Menschen
retten, jetzt in dieser Hilflosigkeit? Durch Papier. Also, es sollten
möglichst wenig fallen und soviel geschrieben werden wie nur geht. Der
Zankl hatte etwas von dieser Einstellung. Ein großartiger Jurist, ein
hochintellektueller Mensch. Er hat diesen, wenn Sie wollen, formalistischen
Widerstand gebracht, der durch die Verwandlung des Verbrechens in einen Akt, in
einen Papierakt, besteht. Der Zankl war absolut gegen das System, völlig."
Frage: Wie merkte man das? War Zankl nicht Parteigenosse? Sprach man
darüber? "Nein. Es gibt doch Gott sei Dank noch eine Privatzone.
Verstehen Sie, es existierte zwar ein öffentliches Ritual, doch was ich
mir bei dem Ritual denke...! Es gab auch eine Abstinenz von Politischem. Ich
hab in Münsterberg mit einer Krankenschwester, mit der ich befreundet war,
hauptsächlich über Rilke gesprochen. Man hat sich nicht völlig
identifiziert mit dem System. Auch der Zankl hat sich nicht völlig
identifiziert. Konspirieren gegen das System war sowieso sinnlos. Ich
konnte auftreten für den Führer oder denken: 'Rutsch mir den Buckel
runter!' Ich war Gefangener, ich war Sklave. Es gab solche, die mitmachten,
ihren Intellekt dem System zur Verfügung stellten, und solche, die sich
enthielten, die abseits standen. Sehen Sie, das mit den Juden, die
Brachialgewalt, das Spitzelwesen, die Enthemmung der nationalen Presse, das ist
eine ungeheuerliche Macht. Wenn ich sage, daß im Kommunismus - ich war
fünf Jahre in russischer Gefangenschaft, von 1945 bis 1950 - die
Minorität des Geistes genügt, damit das Hochstehende überdauert,
so genügte im Nationalsozialismus eine Minorität von Brutalität,
um zu vernichten. Und das ist geschehen." Frage: Hat man darunter
gelitten? "Na, was heißt! Darum sitz ich ja mit Ihnen da. Ich war
sehr stark geprägt von einer jüdischen Familie. Am 13. März 1938
war ich allein im Wienerwald und habe sozusagen Tränen geweint. Damals in
Münsterberg habe ich mir bereits im November oder Dezember des Jahres 1940
eine russische Grammatik beschafft. Die Alternative der
Vertragsbrüchigkeit mit der Sowjetunion, die war mir intuitiv klar und ich
als Ausgelieferter, als Soldat, hatte überhaupt keine andere Chance meiner
privaten Schicksalsverbesserung, als zunächst einmal des nicht
eingestandenen Feindes Sprache zu lernen." Frage: Erinnern Sie sich
an Anton Kittel? "Ich habe ihn als diesen Mann, zirka 1,85 groß, eher
kräftig, korpulent, Wiener mit einer sonoren Stimme in Erinnerung. War er
ein Bridgespieler? In guter Erinnerung habe ich die Wirtin im Hotel
Rautenkranz, eine gewisse Mimi Pollak. Sie war dort das matriarchalische
Element." Frage: Aus den Briefen Kittels hat man den Eindruck, man
wußte nicht recht, wie man die Soldaten die Wartezeit sinnvoll
überbrücken lassen sollte. "Die haben uns ganz gewaltig
beschäftigt, Nachtarbeit, das war Ehrensache. Diese ganze Scheinwelt - man
hat die Listen zehnmal geschrieben, weil ein Tippfehler drauf war! Im Winter
gab's Truppenübungen, im Freien, achtzehn Stunden. Das war schon
auslastend. Abends - die alten Zarah Leander-Filme, die sah ich dort. Ich war
nie im Kino außer in dieser Zeit. Ein Dünnbier irgendwo noch zum
Trinken und aus war der Tag." Frage: Wie reagierte die
Bevölkerung? "Sehr, sehr entgegenkommend. Für dieses kleine
Stadterl in Schlesien war das auch ein Geschäft.
Die
Privatquartiere waren natürlich ein zusätzliches Einkommen. Das
war sicher freiwillig, eine Umfrage, wer die Soldaten nehmen will. Aber ich
erinnere mich an wunderschöne Bettwäsche, Untertuchent, Obertuchent,
also Großmutter-Ansprüche, wie wir es uns heute nicht mehr
vorstellen können. So ging das bis März. Dann kam der Aufbruch.
Der Abschied von Münsterberg, das war etwas ganz Tiefgehendes. Diese
Truppe war dort sieben Monate, es kam sicher zu den verschiedensten
Verhältnissen, unter diesen Vorzeichen war das ganz anders zu sehen als
ein hiesiger Ehebruch. Eine ganz neue moralische Grundierung für das
Sexualverhalten. Das brach jetzt auf, spürbar, und ich als junger Mensch
war wahrscheinlich besonders sensibilisiert dafür." Frage: Der
Bruch zwischen dem ,Phantomheroismus' in Münsterberg und der Realität
in Polen muß grausam gewesen sein. "Ein sehr bedrückendes
Erlebnis, immer mehr Trauermarsch. Jetzt, mit Annäherung an die russische
Grenze, war das wie Sozialtourismus mit Bomben und Kanonen. Es war für
mich, wenn Sie wollen, eine große Wallfahrt, eine Pilgerfahrt ins
Golgatha des slawischen Menschen hinein. Immer noch mit der Hoffnung, diese
Hoffnung hatten wir ehrlich, daß der Kommunismus im Inneren
zusammenbricht. Frage: Ich frage Sie jetzt nicht nach dem
Kommunismus, sondern zur deutschen Politik damals in Polen. "Davon hab ich
nur das Resultat gesehen, aber in der Ukraine hab ich gesehen, was der
Kommunismus bewirkt hat: die Entrechtung einer noch dazu gutgläubigen und
zur Opferbereitschaft fähigen Welt. Die hofften jetzt, daß die
Kolchosen von Hitler nicht weitergeführt würden, was tatsächlich
geschehen ist, sondern daß das freie Kosaken- und Bauerntum wieder
entsteht. Die Tragödie, die folgte, hab ich miterlebt."
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