Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

Wien, 30. Oktober 1942

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Kommentar

Ich freue mich wirklich sehr, daß Dir das kleine Bildchen von unserem Ausflug nach Altenmarkt so gut gefallen hat. Und daß es sowas gibt, gut angezogene und gut gepflegte Mädchen und Frauen, die ihre Beine herzeigen und in die Welt hineinlachen! Das muß in Deine Welt hineinklingen wie ein Märchen, wie eine schöne Melodie und muß für Dich eine große Verlockung sein.
Du warst sicher ein bißchen böse auf mich wegen meiner "Ratschläge", die ja nur für bessere Zeiten Geltung haben sollen, Dir in Deiner jetzigen Situation aber nichts bieten können. Ich habe es aber nur gut gemeint und nicht böse, denn Du siehst ja, wie das Leben ist: Nicht die keuscheste und kälteste Frau brächte es zuwege, einen Mann auch nur annähernd so lange von sich fernzuhalten und ihn zur Enthaltsamkeit zu zwingen, was Männer den Männern selbst auferlegen: nämlich dadurch, das man die Männer in den Krieg zwingt, sie von ihrem Familienleben wegreißt und ihnen erbarmungslos ein Zölibat auferlegt. Die Männer selbst sind es, die einander solche Gedanken austreiben, und die meisten sind dann gezwungen, ob sie wollen oder nicht, ihre Liebesgefühle zu sublimieren: In Tapferkeit, und wie all die schönen Soldatentugenden heißen.
Also nicht auf die Frauen und auf mich sollst Du losgehen, sondern gehe nur auf Deine eigenen Geschlechtsgenossen los, die oft nur für einen Schwindel den Männern was vormachen und ihnen die Sexualität abgewöhnen.
Niemals würde ein ganzer Senat von tugendhaften und strengen Frauen so etwas vorzuschlagen wagen, noch im Ernst durchführen wollen. Ich hätte Dich ehrlich lieber in meinem Bett als in Deinem Bunker.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen