Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

An der Front, 28. Februar 1942

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Kommentar

Seit gestern nachmittag sind wir nun wieder in unsere Ortsunterkunft zurückgekehrt und genießen unsere 48-stündige Ruhepause. In unserer Gruppe sind wir 12 Leute und hier im Ort sind wir in zwei so Hütten untergebracht. Ich und fünf Kameraden hausen in einer Art Vorraum. Im Ausmaß 4 x 4 m. Den meisten Platz nimmt der große Ziegelbackofen von beinahe 2 x 2 m ein. Die andere Ecke nimmt unsere Schlafgelegenheit auf. Holzpritschen übereinander, auf denen je 3 Mann liegen. Im übrigen Raum sind noch 3 Bänke, von denen eine als Tisch benützt wird. Was sich nun in diesem übrigen Raum alles abspielt, will ich Dir kurz schildern. Wir kommen um zirka ½ 16 Uhr von der Stellung müde, schläfrig und abgespannt herein. In dem Raum ist es kalt.
Jeder nimmt, soweit vorhanden, von den in den Wänden hineingeschlagenen Nägeln Besitz und befreit sich von seinen Ausrüstungsgegenständen. Ist dies geschehen, müssen sofort zwei Mann um das Abendessen (Kaffee oder Tee und kalte Verpflegung) gehen. Ist nun Feuer gemacht und es prasselt bereits im Kamin, wird das gebrachte Abendessen genau in sechs Teile geteilt, was mitunter gar nicht so leicht ist, und, obwohl wir erst um ½ 14 Uhr in der Stellung Mittagegessen haben, sofort verzehrt. Wir haben immer großen Hunger, da wir doch viel im Freien sind, und die Portionen sind momentan, wahrscheinlich wegen des Nachschubs, ein bißchen klein. Dabei ist es gar nicht sicher, ob jeder einen Sitzplatz hat und der eine oder der andere muß eben stehen. Ist nun die Fresserei vorbei, so ist es höchste Zeit, daß mit dem Läusesuchen begonnen wird. Jeder zieht nun, von der Bluse und Oberhose beginnend, Stück für Stück nacheinander aus und unterzieht es einer gründlichen Durchsuchung. Dies geschieht ganz zeremoniell und jeder hat seine bestimmte Art, auf welche Weise er seine reiche Beute tötet. Ist dies auch geschehen, so sind noch einige Unentwegte, welche sich noch waschen, der andere Teil geht aufs Stroh und schläft, d.h. schnarcht laut und vernehmlich. Nächsten Tag muß nur ein Mann um 7 Uhr aufstehen und von der Feldküche Kaffee holen, alles andere bleibt liegen bis 8 oder 9. Jetzt beginnt auch der andere Teil mit der Körperreinigung. Das zieht sich hinaus bis zum Mittagessen. Um ½ 12 Uhr wird wieder gemeinsam Essen geholt und nachmittags beginnt dann die große Wäsche. Die bereits bis zur Unkenntlichkeit schwarz gewordenen Unterhosen, Hemden, Sacktücher und Handtücher werden mit wenig Wasser und Seife abgeknetet und in dem kleinen Loch auf Schnüren aufgehängt. Dabei wird geheizt, geraucht und gepforzt, daß Gott erbarm. Um 15 Uhr wird wieder Nachtmahl geholt, dann wird gegessen, andere reinigen die Gewehre und die nächsten sind bereits wieder mit dem Suchen von Läusen beschäftigt.
Morgen mittag ist ja unsere "Ruhepause" wieder aus und es geht hinaus in die Stellung. Vormittags werden noch die Decken gepackt und alles hergerichtet und mittags um 12 Uhr ist bereits Abmarsch. Vom Stab müssen noch einige Leute weg zur Komp., da dieselben schon sehr wenige sind, weil noch immer sehr viele Männer ausfallen mit Krankheiten, die eben der Winter mit sich bringt. Ein kleiner Szami, beladen mit unserem Nachtmahl und den notwendigsten Gebrauchsgegenständen, ein ausgehungertes Pferd davor, begleiten uns. Vom Dorf weg führt uns der Weg durch hügeliges Gelände an unseren Bestimmungsort. Der Schlitten fährt langsam vor uns her und die Männer stapfen mühevoll und wortlos, das Gesicht nach unten gedrückt im tiefen Schnee hinterher. Hie und da durchbricht diese herrliche Stille ein Artilleriegeschoß. Wir sehen hinüber zu den russischen Stellungen. Das 1 km nahe Dorf ist von den Russen besetzt. Nach fünfviertelstündigem Marsch haben wir unsere selbstgebaute kleine Blockhütte, welche in einem Flußtal liegt, erreicht. Die andere Mannschaft wartet schon auf unsere Ablösung. Schnell ißt sie noch die mitgebrachte mittlerweile kaltgewordene Mittagsbrühe hinunter und schon hauen sie ab. Unser Alarmposten zieht auf und die M.G.-Stellung wird von zwei Männern bezogen. Durch 24 Stunden haben 3 Männer Alarmposten. Es steht also einer 1 Stunde im Freien, dann sind 2 Stunden frei. Und sechs Männer haben durch 3 x 2 Leute die M.G..Stellung zu besetzen. Da gibt es zu zweit drei Stunden Dienst im Freien, einer muß heraußen sein und einer in der Stellung, dann sind sechs Stunden frei. Die kleine Blockhütte hat kaum Platz für alle Leute und kann nur schwer erwärmt werden. Es zieht durch alle Fugen und wir haben schon damit angefangen, dicke Schneewälle um dieselbe aufzubauen. Die Front ist momentan ruhig und der Russe greift uns wenig an. Weiter rechts von uns, wo Maxl sein soll, ist er aktiver und versucht immer wieder durchzukommen.
Aber wir halten schon die Front bis zum Frühjahr und dann kommen wir hoffentlich weg von hier.
Ich schicke Dir beiliegend eine Nummer unserer Frontzeitungen - wir sind jetzt einer Panzerarmee zugeteilt, damit Du siehst, was wir hier zu lesen bekommen. Das Gedicht vom "Dünnschiß" wirst Du wahrscheinlich als ordinär bezeichnen, aber es ist sehr treffend. Ich habe Dir noch nie davon geschrieben, aber es kann sich bestimmt niemand in der Heimat vorstellen, was es heißt, bei 30 - 40° Celsius im Freien seine Nordurft zu verrichten. In Rußland gibt es nämlich kein Closett.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen