Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

Im Felde, 22. März 1942

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Kommentar

Wir sind jetzt sehr viel beschäftigt und man läßt uns überhaupt keine Zeit mehr. In der Stellung draußen müssen wir nichts als Schneeschaufeln, Holzsägen und Holzhacken. Wir haben jetzt sehr viel Schnee und heftige Schneestürme. Ich komme mir bei dieser Komp. vor wie ein Sträfling, ich mache ganz außergewöhnlichen Dienst und ganz ungewohnte Arbeiten. Dabei habe ich das leise Gefühl, daß man die unangenehmsten Sachen, schon von oben befohlen, für mich reserviert. Ich mache alles mit einer Ruhe und Selbstverständlichkeit und denke mir dabei, ich muß diese Periode überstehen und es wird schon wieder anders werden. Am schrecklichsten ist halt der Alarmposten. Zwei Stunden ununterbrochen im heftigsten Schneesturm und bei jeder Witterung, auf freiem Feld bei starker Kälte, allein am schweren Maschinengewehr zu stehen. Schlafen können wir nur in der Nacht, ca. 3 ½ Stunden, und zwar vollständig angezogen.
Wir sind alle nicht sehr gesund und jeder hat irgendein Leiden. Rheumatismus, Ischias, Gicht, Erfrierungen und Hautkrankheiten sind etwas Alltägliches, deswegen kommt noch keiner in ein Lazarett. Jeder muß mittun, solange es eben geht.
Schade um den armen Hans R., daß er auch daran glauben mußte, aber so wird es leider vielen unserer Freunde ergangen sein oder noch ergehen.
Daß Du manches Mal des Alleinseins müde bist, glaube ich Dir gerne, aber ich hoffe doch, daß Du immer wieder die Kraft und die Energie aufbringst. um über diese toten Punkte hinwegzukommen. Manches Mal denke ich mir ja auch, was wir nach dem Kriege alles machen werden. Ich denke ja doch daran, mich selbständig zu machen und mehr zu verdienen als ein guter Angestellter. Wir werden eine große Wohnung mit allem Komfort, ein Dienstmädchen, ein Auto und einige Angestellten haben und werden jedes Jahr eine große und schöne Reise unternehmen. Wir werden uns noch mehr lieb haben, wie Adam und Eva im Paradies.

Wegen der Zigaretten möchte ich Dich bitten, daß Du selbstverständlich alle nimmst, welche Du bekommst. Mutter und Vater, ebenso Anny und Karl haben ja auch Raucherkarten und brauchen die Zigaretten nicht. An Vitaminen bekommen wir nur die "V-Drops", und die bestimmt nicht in der nötigen Menge. Wenn Du Vitamine in Tablettenform bekommen kannst, so wäre ich sehr dankbar, wenn Du mir welche schicken könntest. Mit Erstaunen habe ich die Mitteilung gelesen, daß es überhaupt keine Magazine mehr gibt und auch sonst am Büchermarkt sehr wenig mehr zu haben ist. Anstelle des Magazins kannst Du mir vielleicht eine Wochenausgabe vom Tagblatt abonnieren.

Also eine Sache, die ich mir hier in Rußland angewöhnt habe und welche ich auch zu Hause beibehalten werde, ist das Rösten von Brot. Es ist geradezu ein lukullisches Mahl für uns, wenn wir zum Frühstück am Blechofen geröstetes Kommißbrot mit Butter und schwarzem Kaffee verzehren. Es gibt aber in zivilisierteren Gegenden als hier zu diesem Zwecke eigene Röstmaschinen (elektrische Toastmaschinen), vielleicht bekommst Du noch eine, kaufe sie bitte für mich.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen