Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

Wien, 20. März 1942

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Kommentar

Ich war wieder in der Urania und hörte mir gleich zwei Vorträge bei Prof. Schaffran an. Die Zuhörer, die immer in seinen Kursen sind, bilden eine treue Gemeinde des Vortragenden, die seine Kurse schon jahrelang besuchen und früher alle Sonntage Autobusfahrten mit kunstgeschichtlichen Wanderungen und Betrachtungen durchgeführt haben. Leider kann aber von solchen schönen Dingen heute nicht einmal die Rede sein.
Heute erhielten wir eine sehr unangenehme Mitteilung durch die Zeitung. Ab der nächsten Lebensmittelkarten-Periode werden die Mengen der wichtigsten Lebensmittel stark ve r r i n g e r t. Fleisch um 10 dkg die Woche von 40 auf 30 dkg, Brot um ein ¼ kg in der Woche weniger, Semmel und Weißgebäck wird ganz einschneidend eingeschränkt, Fett (Butter) um ein ¼ kg im Monat weniger, ebenso Zucker und Marmelade. Ich und überhaupt alle Frauen, mit denen ich heute darüber gesprochen habe, sind darüber sehr unglücklich, denn das bedeutet schon wirklich fast  H u n g e r. Es war schon bisher schwer, satt zu werden, es gibt schon fast nichts anderes mehr als immer wieder Erdäpfel und Erdäpfelknödel, nur hie und da einmal Gemüse (Rüben, Sauerkraut, zweimal gab es Karfiol).
Früher konnte man wenigstens noch oft Blutwürste bekommen, aber auch diese sind jetzt äußerst knapp und die Leute raufen und streiten sich darum. Seit Weihnachten gab es noch kein einziges Ei, Obst in verschwindenden Mengen, Milch war oft so knapp, daß wir oft nur ein achtel Liter täglich bekamen, womit soll man sich sattessen? Und das wird jetzt alles noch knapper werden.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen