Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

Im Bunker, 18. Oktober 1942

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Kommentar

Unser Btl. hat noch immer kein Winterquartier, und wir sind momentan wieder einmal an ganz heikler Stelle eingesetzt. Die Versorgung unseres Btl. wird immer komplizierter, ich habe außer unseren Mannschaften noch zirka 150 Zivilisten, Kriegsgefangene und Überläufer zu verpflegen und daher von früh bis spätabends zu tun. Heute waren über 16 000 kg Kartoffeln für den Winter in Sicherheit zu bringen, da, wie es heute hieß, wir doch hier in der Nähe bleiben sollen. Vormittags im strömenden Regen, unter freiem Himmel, Verpflegungsempfang, dabei alles nass, eine Saukälte, und am Heimweg blieben wir an einer steilen Stelle, in der "Tellschlucht", so heißt die Schlucht, in welcher wir uns momentan befinden, stecken. Wir haben für unseren Verpflegungswagen gute und brave Pferde, aber der Weg war zu steil und zu grundlos. Kaum hatte ich diesen Zwischenfall erledigt, kam schon die erwähnte Kartoffelkolonne. Dabei rutschte wieder ein Fahrzeug in einen tiefen Graben, ein anderes fiel der Seite nach um. Es war zum aus der Haut fahren. Als ich nun abends nach Hause kam, das heißt in unseren Bunker, mußte ich erfahren, daß wieder einer von uns sein Leben lassen mußte und drei weitere Kameraden verwundet sind. Jetzt sitze ich hier im Bunker, unter der Erde. Meine Kameraden schlafen bereits.
Mit dem letzten Bild vom Ausflug in Altenmarkt a/d Triesting habe ich eine wahnsinnige Freude. Du siehst darauf sehr gut aus und ich kann das Bild nicht oft genug anschauen. Es steht auch momentan, auf einem selbstgezimmerten Tisch an einen Trinkbecher gelehnt, und ihr lacht mich alle drei so lieb an. Minnie schaut drein wie ein Spitzbub und man könnte dabei auf allerhand Gedanken kommen. Minnie und Franzi zeigen so schön die Beine, nur Du bist wie immer gar nicht freigiebig und deckst sie recht fest zu.
Wenn ich Deinen letzten Brief etwas später bekommen hätte, hätte ich Dir ganz bestimmt einiges über meine weiteren Gedanken, welche ich jetzt beim Anblick dieses Bildes habe, geschrieben, so aber will ich es unterlassen. Du kannst ja vielleicht in einigen Dingen in bezug auf dieses Thema recht haben, aber was soll ich jetzt in meiner Lage, mit meinem "andersgearteten Sexualtrieb", hier an der Front oder auf einem dreiwöchigen Urlaub anderes anfangen. Mich, wie Du mir rätst, auf die Kunst, auf die Wissenschaft, auf den Machtwillen und noch andere Dinge zu stürzen und mich da nach Herzenslust austoben? Der Krieg wird wahrscheinlich noch etwas länger dauern, als Du glaubst, und ich werde kaum mehr dazukommen, meine andersgeartete Sexualität auf derartigen Gebieten zu sublimieren.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen