Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

Wien, 15. Februar 1942

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Kommentar

Ich hatte die Absicht, Dir ein kleines Feldpostpäckchen mitzuschicken, aber ich glaube, ich muß es lassen. Das ganze Päckchen darf nur 5O - 55 gr wiegen, muß in Anbetracht der langen Reise und der starken Abnützung gut verpackt sein, sodaß kaum 10 bis 12 Stück Keks in so ein Packerl hineingehen und da es sehr mürbe selbstgebackene sind, besteht trotz allem die größte Gefahr, daß sie bloß als lauter Bröseln ankommen.
Was spricht man bei Euch vom Urlaub? Du wirst sicher ein ironisches Gesicht bei dieser Frage machen. Wahrscheinlich ist so gut wie gar keine Rede davon. Bist Du trotzdem gut gelaunt oder kannst Dich wenigstens halbwegs in Deiner jetzigen Lage abfinden? In meinen Augen bist Du ein ganz großer Held, weil ich Dich so unerwarteten Erlebnissen ausgesetzt sehe, die Du, wie ich bestimmt erwarte, mit möglichstem Gleichmut und Ruhe hinnimmst. Du weißt, daß ich diese Haltung immer empfohlen habe. Sie ist auch der "wahre Heroismus", sozusagen ein "passiver Heroismus", der weit höher einzuschätzen ist als der "aktive Heroismus".
Heute Vormittag war ich im Apollo bei der "Sportakademie" der Wiener Betriebe. Sportgruppen aus verschiedenen Wiener Betrieben, darunter auch unserer Kasse, brachten turnerische und tänzerische Vorführungen und es war wirklich hübsch. Nachmittags war ich dann zu Hause. Dein Vater machte mir einen Besuch, um sich nach mir umzuschauen. Als Dein Vater weggegangen war, blieb ich allein und suchte in unserer Bibliothek nach etwas Interessantem zu lesen. Da entdeckte ich ein sehr hübsches Buch: Pyramide und Tempel. Danach kam mir die Festschrift: "25 Jahre BUKUM" in die Hände und ich war außerordentlich überrascht, von all den Dingen zu lesen, von denen ich bisher fast nichts geahnt hatte. Für mich auch ist diese Festschrift doppelt interessant, weil ich in den nächsten Tagen einen Besuch bei jener Frau Heller machen muß, der ich die 50 Rm für Hans zurücktragen will, die Du ihm hättest schicken sollen und die ja die Witwe jenes Hugo Heller ist, der in dieser Festschrift so sehr gefeiert wird.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen