BRIEFE RUSSLAND I
Wien, 10. Mai 1942 |
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Am Donnerstag hat mich Minnie Schüller dringendst gebeten, sie in ihrer Wohnung bei ihren Eltern zu besuchen. Ich versprach es mit dem Hinweis,
nur höchstens eine Stunde lang zu bleiben, da ich zeitlich nach Hause wollte, um Dir zu schreiben, inzwischen hat sich dort so ein Wirbel ergeben, daß ich bis halb acht Uhr dort blieb. Zunächst einmal kam ich hin in die Argentinierstraße und es war niemand zu Hause. Also beschloß ich, beim Haustor zu warten. Nach einer Weile kam Minnie. Wir gingen in die Wohnung hinauf, dann kam ihre Schwester mit dem kleinen Kind. Dann eröffnete sie mir, daß sie um halb sechs Uhr beim Rechtsanwalt bestellt sei. Ich ging also mit ihr dorthin und wartete im Vorzimmer, bis sie drangekommen war. Es handelt sich nämlich darum, daß ihren Eltern die Wohnung gekündigt wurde und man sie deshalb aus Berlin herbeigerufen hat, um alles Notwendige zu veranlassen. Jetzt handelt es sich darum, die jüdische Untermieterin als auch den jüdischen Vater aus der Wohnung herauszubringen, damit ihre Mutter und Schwester und sie selbst auch die Wohnung behalten können.
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