Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

Wien, 8. August 1942

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Kommentar

Ich habe jetzt wirklich immer Hunger und nichts, ihn wirklich stillen zu können. Unsere Rationen sind schon derart eingeschränkt, daß sie wirklich nur mehr das Minimum darstellen, mit dem ein Mensch gerade noch vegetieren kann, um nicht sofort zu verhungern, sondern nur langsam. Man muß ja nämlich in Betracht ziehen, was für ein Quantum an Arbeitsleistung und anderen Leistungen von uns heutzutage verlangt wird. Es zeigt sich aber auch schon in erschreckendem Maße, welche gesundheitlichen Folgen der Hunger und die vermehrte Arbeitsleistung haben.
Fast alle Leute hier haben große Gewichtsverluste, 10 kg Gewichtsabnahme ist nichts Seltenes, 5 kg beinahe der Durchschnitt. Und auch die Nerven halten nichts mehr aus. Und dabei zeigen sich die Krankheits- und Hinfälligkeits- erscheinungen häufiger bei den ganz jungen Menschen, das sehe ich bei mir im Büro. Wir haben - jetzt im Sommer - einen Krankenstand, wie früher nicht einmal im Winter!
Das Brot ist so schlecht, daß wir es seit einigen Wochen überhaupt nicht mehr essen können. Wir kaufen jetzt nur das sogenannte Schwarzgebäck, das sind so eine Art Wachauerlaberln, aber aus der jetzigen "Mehl"mischung hergestellt.
Und dann mangelt es uns am meisten an Fett. Es ist geradezu unwahrscheinlich, wie gering die wöchentliche Ration ist. Ein paar dkg Margarine, das ist alles! Kein Öl, kein Schmalz, die Butter reicht knapp aus zum Brotaufstrich, zum Gabelfrühstück, weil ja sonst überhaupt nichts zur Verfügung steht. An Käse bekommen wir dreimal im Monat je 6 ½ dkg. Das einzige, was wir haben, ist jetzt im Sommer Gemüse und Kartoffeln, aber wenn man kein Fett hat, es zuzubereiten, wie soll denn dann das Gemüse sättigend sein?
Mit dem Fleisch ist es folgendermaßen: Wir bekommen jetzt in der Woche 30 dkg. Davon muß ich 10 dkg in der WÖK abgeben für das tägliche Mittagessen, da bekomme ich zweimal in der Woche Feldküchengericht mit Fleischeinlage, die übrigen Tage fleischlos. Bleiben 20 dkg für zu Hause. Wenn Du aber rohes Fleisch kaufen willst, bekommst Du für 20 dkg Marken nur etwa 12 - 13 dkg Fleisch, das andere wird für Zuwaage gerechnet (Knochen). Also was macht man mit 13 dkg rohem Fleisch, damit es recht viel ausgibt? Man macht Faschiertes mit recht viel Semmeln drin, das ist seit Monaten unser einziger Fleischgenuß.
Schweinernes oder Schnitzeln habe ich seit Monaten nicht gegessen. Die Leute fluchen schon sehr viel, aber was nützt es? Es sind eben alle in der eigenen Schlinge gefangen.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen