Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

Wien, 6. August 1942

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Kommentar

Vorgestern, Dienstag, war ich am Flötzersteig und habe Robert besucht. Ich wollte zuerst zu Anny Piperger gehen, um von ihr etwas Näheres über Olga zu erfahren, es war leider niemand zu Hause. Auch bei Robert war nur er zu Hause, während seine Familie am Land ist. Wir haben länger miteinander gesprochen, aber es kam eine so pessimistische Stimmung auf im Gespräch, und zwar durch seine Schuld, dadurch nämlich, daß er die politische Gesamtsituation für uns als so hoffnungslos geschildert hat, daß es mir ehrlich leid tat, den Besuch bei ihm gemacht zu haben. Denn um in eine traurige Stimmung zu kommen, muß ich doch nicht zu anderen Leuten gehen, die habe ich doch selber mehr als genug. Da wir im Gespräch auf keinen grünen Zweig kommen konnten, erhob ich mich bald und ging weg, aber er begleitete mich bis hinunter nach Baumgarten, und auf dem Weg haben wir uns ein bißchen zusammengestritten. Unter Zusammenstreiten verstehe ich, daß man durch Streiten und Diskutieren die gegenseitigen Standpunkte ein bißchen näherbringt. Ich bin natürlich mit seinen Auffassungen absolut nicht einverstanden. Sie erschienen mir verstaubt, veraltet, zurückgeblieben und unfruchtbar.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen