Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

Wien, 2. September 1942

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Kommentar

Ich habe gestern Deinen lieben Brief vom 24. August erhalten und ich war ganz gerührt darüber. Vielleicht ist es uns bisher selber noch nicht bewußt geworden, daß es unser "schönster" Tag war. Wenn ich an unser Leben in den letzten 16 Jahren unserer Bekanntschaft und unseres Zusammenlebens denke, mit den vielen kritischen Punkten und harten Auseinandersetzungen, so beginne ich langsam aber desto sicherer zu erkennen, daß dies alles notwendig war, um die schöne Harmonie entstehen zu lassen, die heute ein so wesentlicher Bestandteil unseres Lebensbundes ist. Wir kennen nun einander und können uns gegenseitig trauen und vertrauen, und trotzdem hat jeder der beiden Teile das berechtigte Gefühl, daß in dem anderen noch unbekannte Möglichkeiten einer sich entwickelnden Persönlichkeit schlummern. Wer weiß, was noch alles an geistiger Entwicklungsmöglichkeit und Kräften in Dir ruht und auch ich habe mein geistiges Streben noch lange nicht erschöpft. Du hast mich nie gehindert und gehemmt, Du warst zu mir immer wohlwollend, zum mindesten aber abwartend und hast mein Selbstvertrauen nie gebrochen. Weißt Du, wieviel das von einem Mann seiner Frau gegenüber bedeutet und wie selten das ist? Das macht Dir bestimmt nicht bald jemand nach.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen