Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

Im Felde, 1. Mai 1942

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Kommentar

Mutter habe ich heute einen ausführlichen Brief zum Muttertag geschrieben und ein Gedicht beigelegt, welches ein Kamerad von uns gedichtet hat anläßlich eines Preisausschreibens innerhalb der Wehrmacht.
Mir vergeht die Zeit furchtbar rasch. Jeden Tag Regen, Wind, Schneestürme. Der Schnee ist wohl weg, aber dafür Schmutz, Schlamm und Morast, wo man hinschaut. Ich kann Dir gar nicht schildern, wie hier ein Fahrweg oder Fußweg ausschaut und mit welcher Selbstverständlichkeit ich jeden Tag stundenlang durch Schlamm und Dreck wate. Ich bin nämlich jetzt Befehlsempfänger und muß jeden Tag zirka 4 km nach rückwärts zum Regiment und dort alle Post und Befehle für unser Btl. holen. Während die anderen Kameraden den jeweils befohlenen Arbeitsdienst machen, bleibe ich bis zirka ½ 11Uhr in unserer Unterkunft und räume zusammen, heize ein, hole Wasser und besorge eventuell Holz. Ich gehe dann um ½ 11 Uhr weg, natürlich ohne Mittagessen, und bin um 12 Uhr in der nächsten Ortschaft beim Rgt. Dort muß ich warten. bis der Div.-Melder kommt und kehre um 16, 17 oder 18 Uhr wieder zurück. Heute zum Beispiel bis auf die Haut naß, ausgefroren und nicht zum Erkennen, ob ich Stiefel oder Schuhe anhabe, da alles mit einer rabenschwarzen Schlammschicht bedeckt ist. Wenn ich zurückkomme, esse ich erst Mittag. Meistens ist aber der Hunger größer und ich esse das Abendessen gleich dazu. Da wir in diesem Gebiet Wasser nur in gekochtem Zustand trinken dürfen, sind wir ebenfalls auf die vorgeschriebene Menge Tee oder Kaffee angewiesen, und das ist früh und abends je 1 Feldflasche voll.
Du fragst, was ich zu Ostern gemacht habe? Bei uns gibt es keinen Feiertag, keinen Sonntag, keinen Samstag. Ein Tag vergeht wie der andere mit Arbeit und Befehlen. Wir wissen oft nicht, was für ein Datum gerade ist und wie dieser Tag heißt. Es ist auch vollkommen überflüssig.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen