Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

Wien, 1. April 1942

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Kommentar

Sehr glücklich war ich aber darüber, daß ich auch ein Langenscheidt-Wörterbuch noch erhielt, und zwar für russisch-deutsch und deutsch-russisch. Es war nicht einmal so teuer, es kostete pro Band Rm. 3,75. Danach ging ich gestern in die Ausstellung im Musikvereinsgebäude, die die Philharmoniker anläßlich ihres 100jährigen Bestehens veranstaltet haben. Man sieht dort handschriftliche Originalbriefe von berühmten Komponisten, Dirigenten, Musikern und Sängern sowie Fotos, Taktstöcke, Programme von verschiedenen Aufführungen zu besonderen Anlässen. Darunter sehr viele Briefe z.B. von Anton Bruckner. Natürlich sind die berühmten und großen jüdischen Komponisten, Dirigenten und Musiker, die innerhalb der Philharmoniker eine Rolle gespielt haben, totgeschwiegen, was der ganzen Ausstellung ein einigermaßen lückenhaftes Gepräge gibt, man hat das Gefühl von einschneidenden Amputationen. Jedoch sind ein Brief, ein Bild und ein Taktstock von T o s c a n i n i (hört! hört!) ausgestellt. Den Philharmonikern darf man jedoch das alles nicht ankreiden, denn sie können momentan auch nicht, wie sie wollen und sollen.
Danach ging ich in die Urania und hörte bei Prof. Schaffran den ersten Abend eines neu beginnenden Kurses mit dem Thema: Entwicklung des Barock. Ich habe auch Herma und Emmy Furtner dazu veranlaßt, und auch sie sind davon sehr befriedigt. Gestern war ein sehr schöner und warmer Frühlingsabend, und als wir zu dritt und höchst angeregt nach dem Vortrag über den Kai bis zur Schwedenbrücke zur Stadtbahn gingen, hatte ich nach langer Zeit wieder einmal ein bißchen das Gefühl der Freude am Leben. Herma und Emmy haben sofort einen guten Kontakt gefunden, und wir waren wirklich in fröhlicher Stimmung. Was will man heute schon besseres verlangen?


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen