Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND I

Wien, 1. Februar 1942

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Kommentar

Heute, wo es auf den Tag zwei Jahre her sind, daß Du eingerückt bist, dachte ich soviel über alles das nach, was sich seither ereignet hat. Ich weiß noch ganz genau, wie ich mir damals die Zukunft vorstellte: als eine langandauernde Kette von Verwicklungen, als ein sich wie ein Strudelteig hinziehendes Durcheinander, dessen Ende nach Art und Zeit vollständig im Dunklen liegt.
Jedenfalls müssen wir, da es sich gezeigt hat, daß dieser Zustand sich scheinbar zu einem Dauerzustand auswächst, uns darauf einrichten. Wenn man am Anfang immer noch temperamentvoll seine Wünsche und Hoffnungen kurz an den Zügel nahm mit dem Hinweis: "Nach dem Krieg werde ich ..." oder "wenn der Krieg aus sein wird, will ich dies oder jenes tun..", so hab ich mir diesen Trost für die Zukunft abgewöhnt und begnüge mich umsomehr mit der Gegenwart, die man nicht vertun darf. So richte ich mich damit ein und habe mich damit abgefunden (bis auf gelegentliche Rückschläge). Was mich betrifft, fühle ich in mir soviel Liebe, um auch zehn Jahre und länger treu auf Dich zu warten und während der langen Wartezeit Dein Bild in meinem Herzen täglich mit immer neuen Farben zu schmücken. Immer wieder fallen mir die schönen Stunden ein, da Du an den letzten Sonntagen vor Deiner jetzigen Abreise zu Hause bei mir warst und wie unendlich gütig und sanft Du zu mir gewesen bist. Bleibt mir nur das eine Bittere: Deine körperliche Abwesenheit.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen