Sie hat schwarzes seidiges Haar und eine strahlend weiße Weste.
Ihre Zehen und Fingerspitzen und ihr Schnäuzchen sind rosarot und die
Augen die einer Sphinx. Bernsteinfärbig und schwarz, manchmal tiefschwarz
und manchmal goldgelb mit einem schmalen schwarzen Schlitz, wenn sie das Rollo
zu ihrem Seelchen zugemacht hat.
Meine süße Katze Miki.
Fünfzehn Jahre lang hat sie mich am Morgen begrüßt: "Miau, mein
Frühstück, aber schnell, ich bin schon am Verhungern!" Fünfzehn
Jahre lang hat sie mich beim Heimkommen begrüßt: "Schau, wie ich
mich auf dich freue, streichle mich, aber sofort!" Es gab kein Pardon,
niederknien, die flach am Boden hingestreckte Katze durchmassieren, kraulen
unter dem winzigen Kinn und zwischen den Ohren, an dieser Stelle, wo das Fell
so glatt schimmert. Wenn ich zuerst die Schuhe auszog oder den Mantel
aufhängte, stand sie auf und vertrollte sich. Sie war stolz und
ungeduldig, und wenn sie bereit war zu Zärtlichkeiten, wollte sie keine
Sekunde warten.
Seinerzeit haben wir Miki aus dem Tierschutzheim geholt. Wir gingen von
Käfig zu Käfig, dicke Kater im obersten Winkel des Verließes
glühten uns böse an, andere preßten sich in die hinterste Ecke
und wendeten den Kopf zur Wand. Miki eilte nach vorne, zur Gittertür,
stupste mit der Nase daran und sagte: "Hallo, bitte, nehmt mich doch von hier
mit, bitte, bitte, nehmt mich mit!"
Man hatte sie Ende Jänner irgendwo
in Wien aufgelesen, geboren war sie vermutlich im Frühjahr davor. Sie
wurde uns im Tierschutzheim als genesen nach einer schweren Krankheit
üergeben. Aber kaum bei uns im Haus bekam sie Gehirnhautentzündung.
Sie war nur mehr Haut und Knochen, kroch im Wohnzimmer unter die Eckbank und
gab keinen Laut mehr von sich. Damals wollte ich sie ins Tierschutzhaus
zurückbringen. Aber als sie ein nervöser Zuckanfall überrollte,
hüpfte sie angstvoll und hilfeflehend an mir hoch. Damit war besiegelt,
daß sie mir vertraute und ich ihr Vertrauen nicht enttäuschen
konnte.
Miki wurde gesund. Obwohl sie der Tierarzt schon abgeschrieben hatte,
genas sie. Und war fünfzehn Jahre nicht mehr krank. Sie führte das
Leben einer Wohnungsprinzessin, die immer wieder beanstandete, daß einige
Räume für sie nicht zugänglich waren. Denn von ihrem
Kindheitstrauma war eine inkontinente Inkontinenz zurückgeblieben. Sie
akzeptierte zwei Kistchen und benützte beide, aber auch jeden Teppich, der
ihr sympathisch war, den nackten Plastikboden und ab und zu den einen oder
anderen Schuh. Nicht akzeptierte sie die Kratzbäume, die ihr im Laufe der
Jahre aufgestellt wurden, nicht ohne und nicht mit Baldrianduft. Sie bevorzugte
die Polstermöbel zum Schärfen ihrer Krallen.
Am elegantesten war
sie, wenn sie sich putzte. Wie vornehm saß sie da, ganz Dame, und
striegelte mit ihrer rauhen kleinen Zunge jedes Fleckchen ihres
Katzenkörpers, angefangen vom Zwischenraum zwischen den Krallen bis zum
Allerwertesten. Sie konnte - wie alle Katzen und doch bewundernswert, vom
menschlichen Standpunkt aus gesehen - ihren Körper so akrobatisch
zusammenbiegen, daß sie mit der Schnauze ihr After erreichte und blieb
dabei doch die Anmut in Person.
Andere Katzen lehnte sie ab, handgreiflich,
wenn es sein mußte, wie den jungen draufgängerischen Kater meines
Sohnes, der ihr wochenlang nachstolzierte, als Miki schon in reifen Jahren
stand. Ab und zu drehte sie sich überraschend um, pfauchte und fuhr ihm
blitzschnell mit der rosa Pfote über sein verdutztes Gesicht.
Daß Mikis Leben einmal enden würde, wußten wir zwar.
Aber ich setzte das in die ferne Zukunft. Eine verwöhnte Wohnungskatze
kann zwanzig Jahre alt werden. Dachte ich so nicht ab und zu im letzten Herbst?
Fiel es mir wirklich nicht auf? Oder wollte ich es nicht sehen? "Miki ist so
dünn geworden", sagte mein Sohn, als er zu Besuch kam. Als ich mich mit
Miki auf die Waage stellte, wog sie das halbe Gewicht der letzten fünfzehn
Jahre. "Miki ist halt eine alte Dame", sagte mein zweiter Sohn wie auch mein
Mann.
Aber Miki war totkrank. Leukose. "Es kann Monate dauern oder nur noch
ein paar Tage", sagte die Ärztin. Als Miki keine rohe Hühnerleber und
keine Extrawurst mehr wollte, sagte die Ärztin streng: "Sie müssen
sich jetzt mit dem Gedanken abfinden, daß Ihr Kätzchen an sein
Lebensende gelangt ist. Am besten, Sie lassen sie gleich da."
Menschliches
Sterben für Miki! Die Männer waren gegen das Einschläfern. "Ich
möchte auch nicht umgebracht werden, wenn ich nicht mehr genügend
hoch springen kann", sagte mein Sohn. "Laß sie doch natürlich
sterben", forderte mein Mann.
Die Freundinnen im Büro waren für
das Einschläfern. "Laß deine Katze nicht leiden, das ist nur
Egoismus, weil du nicht auf sie verzichten möchtest."
Die Ärztin
sagte: "Bei Tieren haben wir die Möglichkeit, das Sterben abzukürzen,
die wir bei Menschen nicht haben. Viele Menschen betteln darum."
Miki steckte ihr Kinn unter meine Achsel, ich spürte die Knochen und Knorpeln ihrer Wirbelsäule. Miki schnurrte noch immer leise unter meiner streichelnden Hand.
Dann begann Miki schwer zu atmen. Miki begann nach drei Metern Pausen
einzulegen, streckte sich mühsam flach auf den Boden und rappelte sich
nach einer Weile wieder auf. Miki torkelte beim Gehen. Fiel fast um, wenn sie
auf den Stuhl sprang und von dort auf den warmen Ofen. Konnte nichts mehr
trinken. Miki wollte ins Kisterl und fiel samt diesem um. Miki konnte nicht
mehr aufs Klo gehen. Schließlich hob sie ihr Köpfchen und
stieß einen lauten Klageschrei aus. "Jetzt ist es so weit", wußte
ich. Auch die Männer verstanden das.
Miki soll so sterben wie mir zu
sterben wünsche. "Armes Kätzchen, du wirst nun bald erlöst."
Die Ärztin kam ins Haus. Miki saß auf meinem Schoß, als
sie die Narkose erhielt. Wie die Ärztin es angekündigt hatte, strebte
sie von meinem Schoß weg und wankte auf das Plätzchen unter den
Blumen, wo sie in den letzten Tagen oft gerastet hatte. Sie schluckte und
spuckte ein wenig. "Ihr ist jetzt übel, aber sie spürt es nicht
mehr." Die Ärztin hatte rote Augen. Mein Mann saß auf der
Wohnzimmerbank und schaute zu, wie die Ärztin die Todespritze
vorbereitete. "Die wirkt sofort, das ist etwas sehr Starkes, damit bringen sich
auch Tierärzte um."
Ich kniete über Miki und legte meine Hand auf
ihren Kopf. Hinter mir schluckte laut mein Sohn. Die Ärztin stach zu. Miki
streckte die Beine von sich, alle vier, wieder und wieder, riß das
Mäulchen auf, und dann fiel ihr weißer Hals sanft zurück.
"Jetzt ist es aus", sagte die Ärztin. "Katzen machen beim Sterben die
Augen nicht zu." Ich wickelte Miki in ein Umschlagtuch, das mir eine Freundin
aus Italien mitgebracht hatte. Wir legten sie in einen Sack. Die Ärztin
nahm sie mit. "Vielen Dank", verabschiedete ich mich. "Gerne ...., naja,
gerne....?" murmelte die Ärztin.
Jetzt ist Miki im Katzenhimmel und wartet dort auf mich. In der Wohnung aber ist es leer, so leer, ohne Miki, meine Freundin und Herausforderin. Wenn ich weinte, sprang sie auf den Tisch, stupste mich mit ihrer rosa Nase ins Gesicht und miaute fragend. Wer wird mich jetzt trösten, wenn ich traurig bin?
Ruth Linhart, Jänner 1997
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