Ruth Linhart | Japanologie | Texte
Besuch bei Yasuko
Makinose |
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"Als ich geheiratet habe, habe ich nicht geahnt, dass ich irgendwann einmal so lange in Deutschland leben werde. Aber ich und mein Mann haben uns hier sehr wohl gefühlt. Nach dem Tod meines Mannes haben viele Leute gefragt: Gehst du jetzt wieder nach Japan zurück? Ich habe nie diese Idee gehabt. Meine Kinder leben hier. Besuchsweise fahre ich gerne nach Japan, aber ich komme gerne wieder zurück". | |
Yasuko Makinose sitzt mir gegenüber, eine siebzigjährige quicklebendige Dame in einem weitläufigen Wohnraum mit Klavier, zahlreichen Musikkassetten, Blumen, Büchern, vielen Familienfotos und Zeichnungen ihrer Enkelkinder. Wir befinden uns in Heidelberg. Ich bin ein Wochenende aus Wien zu ihr gefahren, weil sie mit Yasuko Imai, an deren Biographie ich arbeite, einst zusammen in Sapporo im Norden Japans die Mittel- und Oberschule besucht hat. Seither ist sie ihr freundschaftlich verbunden. Yasuko Makinose kramt bereitwillig in ihrem Gedächtnis nach Erinnerungen an die Schulfreundin. Noch viel mehr fällt ihr über ihr eigenes Leben ein. Ihre Familie ist wirklich "keine typische japanische Familie", wie sie immer wieder einstreut. Japanische Christen - Eine Minderheit Japanische Christen - eine Minderheit "Von
guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.
GOTT ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Diese Zeilen von einem gewissen Dietrich Bonhoeffer hängen im
Arbeitszimmer Frau Makinoses, in dem ich schlafen darf, neben dem Schreibtisch.
Die Religion hat ihr Leben von Kindheit auf geprägt. "Wir sind seit drei
Generationen Christen", wiederholt sie einige Male. "Das ist in Japan sehr
selten".
"Das Christentum spielt in Japan nur eine untergeordnete Rolle, da die Vorstellung eines einzigen allmächtigen Gottes mit den traditionellen religiösen Vorstellungen schwer in Einklang zu bringen ist. Heute sind nur etwa ein Prozent aller Japaner Christen, ein geringerer Bevölkerungsanteil als während der ersten christlichen Missionierung im 16. Jahrhundert. Weltweit ist das einer der niedrigsten Werte Zwischen 1612 und 1873 war das Christentum in Japan verboten Dennoch hielten sich einzelne christliche Gemeinden im Untergrund Die römisch katholische Kirche zählt in Japan etwa 450.000 Mitglieder. Die meisten evangelischen Gemeinden in Japan wurden von amerikanischen Missionaren im 19. oder 20. Jahrhundert gegründet. " Das liest man, schlägt man im Internet-Lexikon Wikipedia nach.
Großmutter war Englischlehrerin in Yokohama
Schon Frau Makinoses Großmutter
Tazu und ihr Großvater Daiichi waren gläubige Christen. Sie lebten
in Yokohama, der Großvater war zuerst evangelischer Priester, wechselte
dann aber in den Kaufmannsberuf. "Sie waren befreite Menschen, besonders die
Großmutter, sie war nicht so eine typische japanische Frau. Sie war vier
Jahre älter als ihr Mann und ihr ganzes Leben berufstätig",
erzählt Frau Makinose, die zwischen den Büchern einen Bilderrahmen
mit einem alten Foto gefunden hat, auf dem man die Großmutter sieht: "Sie
war ganz klein, aber sehr klug. Sie trug immer Kimono und hielt sich
kerzengerade". Auf Anraten ihrer Lehrerin, einer Missionarin, schickte ihr
Vater, ein japanischer Arzt, der westliche Medizin praktizierte, sie in das
christliche Welsey Frauencollege nach Boston. Eigentlich wollte sie dort
Biochemie und Biologie studieren. Aber nach drei Jahren holte der Vater sie per
Telegramm zurück: "Die Mutter ist sterbenskrank". Das stimmte zwar nicht,
die Großmutter erfuhr das jedoch erst, als sie wieder zu Hause war. Von
da an arbeitete sie als Englischlehrerin. "Das war wirklich ein Sonderfall. Ich
habe gedacht, meine Großmutter ist viel würdiger als mein
Großvater. Jeden Morgen ist sie mit der Rikscha in die Schule gefahren,
während der Großvater zu Fuß zur Arbeit ging".
"Aber", so fährt Frau Makinose fort, "Mein Vater hat eine ziemlich traurige Kindheit gehabt und sich sehr einsam gefühlt, weil er mit der Mutter, die immer beschäftigt war, seine Probleme nicht besprechen konnte." Durch Empfehlung, wie es japanische Art ist, habe er dann Frau Makinoses Mutter kennen gelernt, die aus einem buddhistischen Haus kam , sich aber als junges Mädchen taufen ließ und eine überzeugte Christin wurde. Anders als ihre Schwiegermutter war sie bereit, sich "vollzeitlich" um Mann und Kinder zu kümmern.
Taufe mit sechzehnYasuko erhielt eine christliche Erziehung, was
in Japan der Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs bedeutete, dass
sie in einer liberaleren Atmosphäre aufwuchs, als die meisten
Gleichaltrigen. Mit sechzehn trat sie ohne Wissen der Eltern in die
methodistische Kirche ein und ließ sich taufen. "Aber erst, als ich in
Tokyo das christliche Aoyama Frauencollege besuchte, bekam ich das klare
Bewusstsein, dass ich eine Christin bin." Hier versammelten sich während
der zweijährigen Studienzeit jeden Abend die Schülerinnen um die
Heimleiterin, die Witwe eines methodistischen Pfarrers aus Sapporo. "Wir lasen
die Bibel, sie spielte Orgel und wir sangen christliche Lieder". Yasuko genoss
das sehr.
Die Heimleiterin war es auch, die das junge Mädchen aus Sapporo ihrer zukünftigen Schwiegermutter vorstellte. Diese war auf Besuch bei ihrer Freundin, der Heimleiterin, und bat sie, für ihren Sohn, welcher eine reine Burschenschule und danach die Marineakademie besucht habe, Ausschau nach einem netten christlichen Mädchen zu halten. Sie befürchtete, dass er allein auf sich gestellt, keine Frau finden werde. "Na ja, meine Heirat war also letztlich eine o-miai-Heirat, eine arrangierte Ehe, aber das haben nicht meine Eltern entschieden", lacht Frau Makinose. "Ich dachte mir, als ich meinen Mann zum ersten Mal traf: Lieber als weiter zu studieren möchte ich mit diesem Mann leben." Seine Bedingung war, dass sie von ihm keine Hilfe im Haushalt erwarte, denn er beabsichtigte, sich ganz der Wissenschaft zu widmen. "Ich sagte: Ich bin einverstanden, und heiratete ihn". Da ihre Mutter in der Rolle der "Profihausfrau" zufrieden schien, zweifelte sie nicht an ihrem zukünftigen Glück.
Der große Schritt nach Deutschland Bald fuhr ihr Mann, ein Physiologe, für
ein Jahr an das Max Planck-Institut für medizinische Forschung nach
Heidelberg und ließ seine Ehefrau und kleine Tochter im
schwiegerelterlichen Haus in Sapporo zurück. Man wollte ihn in Heidelberg
behalten, aber er kehrte nach Japan heim. Als es auf dem Arbeitsplatz in
Sapporo jedoch Unstimmigkeiten gab, entschloss sich die junge Familie zum
großen Schritt in die weite Welt und leistete der deutschen Einladung
Folge. Das war 1959.
"In der Schulzeit war ich beim gemischten Chor der Universität Hokkaido, der Sonate kai, und dort sangen wir Mozart, Mendelssohn, eigentlich fast nur deutsche Lieder haben wir gesungen. Auch mein Mann hat im Männerchor immer deutsche Lieder gesungen". Als 15-, 16jähriges Mädchen las Yasuko außerdem sehr viel europäische Literatur in Übersetzungen. "Hermann Hesse, Thomas Mann, Kafka und natürlich Goethe. Japanische Literatur hat mich wenig interessiert." Für japanische Mediziner sei Deutschland überhaupt das gelobte Land gewesen. Die deutsche Sprache spielte eine ähnliche Rolle in der japanischen Medizin nach der Öffnung des Landes 1868 wie im Westen Latein. Während das junge Ehepaar also mit der deutschen Kultur bereits vertraut war, blieb die Tatsache bestehen, dass Yasuko nicht Deutsch sprach. Sie sollte es auf der langen Reise per Frachtschiff von Kobe nach Genua lernen. Die Schiffsreise war damals die billigste Möglichkeit, nach Europa zu gelangen. Flüge waren noch unbezahlbar teuer. "Leider waren ich und meine Tochter Mari fast immer seekrank, sodass aus dem Lernen nichts wurde", erinnert sich Frau Makinose. Heute sprudelt sie fließend Deutsch. Zuerst erhielt sie Unterricht von der Gattin des Chefs ihres Mannes, eines Wissenschaftlers, der für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde. Dann lernte sie auf der Volkshochschule. In Deutschland kamen Tochter Eriko und Sohn Mitsuru zur Welt. Alle drei Kinder haben zwar die japanische Staatsbürgerschaft, sind jedoch mit Deutschen verheiratet und sprechen untereinander Deutsch. Die älteste Tochter Mari, die das vornehme Elisabeth von Thadden-Gymnasium besuchte - Elisabeth von Thadden wurde unter den Nazis hingerichtet -, habe sogar das beste deutsche Abitur ihrer Klasse gemacht. Das Leben in Deutschland sei sehr angenehm gewesen, betont Frau Makinose immer wieder. Sie und ihr Mann lernten viele interessante und kluge Menschen kennen, sowohl aus europäischen Ländern wie auch aus Japan, denn schon seit dem 19. Jahrhundert ist die Universitätsstadt Heidelberg in Japan ein Begriff. Diese zieht viele japanische Wissenschaftler an, darunter auch, wie Frau Makinose erwähnt, viele japanische Theologen. "Ich finde, das Leben in Deutschland ist viel einfacher für mich", resümiert Frau Makinose. Besonders froh sei sie, dass die Leute hier alles direkt sagen. "In Japan ist es unhöflich, seine Meinung offen auszusprechen. Würde mich meine Nachbarin in Japan schimpfen, so gäbe es nachher keinen Kontakt mehr. Wenn mich aber meine Nachbarin hier schimpft, sagt sie am nächsten Tag trotzdem freundlich: Guten Morgen Frau Makinose". Auch ihr Mann sei in dieser Beziehung nicht so japanisch gewesen und habe fast alles gesagt, wie er es sich dachte. "Ich glaube, er hat hier wirklich glücklich gelebt."
Ehemänner haben mehr Zeit für ihre FrauBefragt auf den Unterschied zwischen japanischen
und deutschen Frauen, antwortet sie differenziert: "Die japanischen Frauen sind
vielleicht noch nicht so befreit. Die ganze Gesellschaft ist nicht so befreit,
aber unter den jungen Leuten ist es doch anders geworden. Auch in Deutschland
existieren noch Benachteiligungen für Frauen, sie bekommen weniger
Gehalt
" Sie kenne in Deutschland viele Frauen, "die ihr ganzes Leben
Hausfrauen waren, und ihre Ehemänner können gar nichts im Haushalt
machen, nicht mal einkaufen!"
Andererseits gibt es sowohl hier wie in Japan Frauen, "die auf beiden Seiten erfolgreich sind, sowohl im Beruf wie in der Familie." Aber einige Unterschiede existieren schon: "Viele tüchtige junge Frauen hören in Japan auf zu arbeiten, wenn sie heiraten und Kinder kriegen. Das finde ich schade." Und: "Die Ehemänner hier haben viel mehr Zeit für ihre Frauen, und Eheleute machen viel mehr zusammen als in Japan. Aber die japanischen Frauen fühlen sich dadurch frei. Die Männer machen, was sie wollen und die Frauen ebenfalls. Das funktioniert meistens."
Unterschiede sind wichtigIn Frau Makinoses Arbeitszimmer hängt ein
Kalenderfoto aus dem Jahr 1994. Es zeigt Tochter Eriko in einer stolzen,
herausfordernden Pose. "Wir sind alle unterschiedlich. Und das finde ich gut
so. Und weiter? Ich meine, es ist wichtig, Unterschiede auch wahrzunehmen. Ich
finde, das sollte sogar bewusst gefördert werden. Das ist besser als diese
ewige scheintolerante Haltung `Wir sind alle gleich´." So wird Eriko
auf dem Kalender zitiert. Alle drei Kinder sind im deutschen gesellschaftlichen
Umfeld aufgewachsen und leben danach. Der Sohn ist Arzt, die Töchter sind
ebenfalls berufstätig. Wie sie mit ihrer doppelten Identität zu Rande
kommen, bleibt mir natürlich verschlossen. Dass aber ihre Mutter, Yasuko
Makinose, ein Beispiel für gelungene Integration ohne Assimilation ist,
traue ich mich nach dem Wochenende mit ihrer Gastfreundschaft zu behaupten.
Sonntag gegen Abend nimmt mich Frau Makinose in
ihrem kleinen lila Auto auf eine Rundfahrt durch Heidelberg und an den Neckar
mit. "Als meine Kinder größer waren, ich war gegen fünfzig,
habe ich die Fremdenführer-Prüfung gemacht und fünfzehn Jahre
als Fremdenführerin in und um Heidelberg gearbeitet", hat sie mir
erzählt. Davon profitiere ich jetzt und erfahre viel über all die
berühmten Persönlichkeiten, die in Heidelberg gewirkt haben und
über die Burgen im romantischen Neckartal. Zum Abschluss lädt mich
Frau Makinose nach einem etwas regnerischen Spaziergang in ein schönes
Lokal am Neckar ein, das einer japanischen Freundin und deren deutschem Ehemann
gehört. Während wir unseren Fisch genießen, steigt über
dem Odenwald ein bunter Regenbogen auf. |
Ruth Linhart | Japanologie | Texte | Email: ruth.linhart(a)chello.at |