Ruth Linhart | Reisen | Fotos | Texte


O lejl ta` skiet, lejl tal-Milied... Weihnachten auf Malta

Weihnachten auf Malta ist ein Fest mit Palmen, blauem Meer, Krippen und „Stille Nacht, heilige Nacht" auf Maltesisch.
Das kleinste Mitglied der EU besteht aus sechs Inseln mit insgesamt 316 Quadratkilometern und ist ein faszinierendes Mischmasch von Sprachen und Kulturen, die im Verlauf von 7000 Jahren Malta sein eigenwilliges Gesicht gegeben haben.






„I am dreaming of a white Christmas" tönt es überall im Hintergrund, ob in der Hotelhalle in St. Julian´s oder in den Geschäften von Valletta. Aber die rund 397 000 EinwohnerInnen von Malta erleben in der Realität Schnee so gut wie nie, leben sie doch zwischen Sizilien und Tunesien in einem milden Mittelmeerklima.
Trotzdem vibriert die Atmosphäre in Valletta, der Hauptstadt, am 23. Dezember weihnachtlich. Unzählige Menschen bevölkern die Hauptstraße der Stadt, die Triq Ir Repubblika, aber es herrscht kein nervöses Gedränge, die Stimmung unter dem blauen Himmel ist voll Vorfreude. In einem Zelt nahe dem „City gate" singen drei junge Frauen zu einer uniformierten Kapelle Weihnachtslieder, ein Father Christmas beschenkt kleine Kinder, die ehrfürchtig zu dem jungen Mann mit weißem Vollbart aufschauen. Einheimische Frauen finden Zeit für einen Plausch mit der Freundin am Kaffeehaustisch im Freien.
An vielen hölzernen Balkonen und barocken Fensterrahmen der Stadt, die UNESCO-Weltkulturerbe ist, glitzern Weihnachtskugeln, und sogar im Foyer der 1555 gegründeten Nationalbibliothek mit wertvollen Beständen aus der Geschichte des Landes blinkt ein Christbaum.

Die Venus von Malta

„Morgen und übermorgen haben wir leider geschlossen", erfahren wir im Archäologischen Museum. Der Rundgang durch die Stadt wird aufgeschoben, denn der Besuch der sieben Zentimeter hohen „Schlafenden" und der dreizehn Zentimeter hohen kopflosen „Venus von Malta" ist ein Muss, immerhin sind die beiden Damen schon 5000 Jahre alt. Sie erzählen von der Wertschätzung der üppigen weiblichen Figur im Malta der Jungsteinzeit. Rund 40 Tempelanlagen auf den beiden größten Inseln des Archipels, Malta und Gozo, stammen aus dieser für Europa einmaligen megalithischen Epoche zwischen 4500 bis 2500 v. Chr. Ab 1530 beherrschte der „Souveräne Ritterorden vom Hospital des hl. Johannes von Jerusalem, von Rhodos und Malta" die Insel. Was passierte in den 4000 Jahren, die dazwischen liegen?

Wechselhafte Geschichte

Um 2000 v. Chr. lassen sich Siedler aus Sizilien und Süditalien auf Malta nieder, tausend Jahre später kleinasiatische Phönizier. Sie geben der Insel den Namen „Mlt", was sinngemäß „Zufluchtsort" heißt. Um 800 bemächtigen sich die nordafrikanischen Karthager der Insel und machen Malta zu einem Bollwerk gegen die griechische Expansionpolitik. Aber um 200 v. Chr. erobern die Römer die Insel, die sie Melita nennen. Malta wird nun eine blühende römische Kolonie, ein wichtiger Handelsumschlagplatz - wie auch heute noch - und militärischer Stützpunkt. Für den Schiffsbau berauben sie die ursprünglich bewaldete Insel ihres Baumkleids. In dieser Zeit wurzelt auch das Christentum, das für die Geschichte Maltas von hoher Bedeutung wird. Viele der rund 350 Kirchen sind nach dem Apostel Paulus benannt, der während seiner Fahrt von Kreta nach Rom 59 n. Chr. auf Malta gestrandet sein und die ersten Christianisierungen durchgeführt haben soll. Malta wird später dem byzanthinischen Reich zugeordnet und 870 von arabischen Truppen erobert. Der heute noch übliche Terrassenfeldbau wurde in den 200 Jahren ihrer Herrschaft eingeführt. Die Insel heißt nun Malitah. Die Christen können gegen eine Kopfsteuer weiterhin ihren Glauben ausüben. Die Normannen besiegen die Araber, nach ihnen folgen die Staufer als Herrscher. Die friedliche Koexistenz von Muslimen und Christen findet ihr Ende. Im 15. Jahrhundert wird Malta Teil des spanischen Weltreiches. Schließlich übergibt Karl V. von Habsburg dem heimatlosen ehemaligen Kreuzritterorden der Johanniter 1530 die Inseln Malta, Gozo und die Festung Tripolis als „ewiges Lehen". Sie nennen sich nach der neuen Heimat nun Malteserritter. Die Soldatenmönche, die aus europäischen Adelshäusern stammen und an ihrer Spitze einen „Großmeister" haben, bekämpfen von Malta aus den Islam.

Gott heisst Alla

„Fast alle Spuren der islamischen, nordafrikanisch-arabischen Kultur, die Malta von 870 bis 1091 geprägt hat, sind verwischt worden", liest man im Reiseführer. Bis auf die Sprache! „Alla, Alla". Dieses Wort dringt immer wieder in unser Ohr, als wir am 25. Dezember die weihnachtliche Mittagsmesse in der Pfarrkirche von Balluta im Touristenort St. Julian´s besuchen. „Allah", so bezeichnen nicht nur gläubige Muslime Gott, sondern auch arabische Christen. Das Maltesische, das dem Arabischen sehr verwandt ist, hat dieses Wort für Gott übernommen.
Die „normalen Leute von der Straße" unterhalten sich vorwiegend in der arabisch klingenden und mit italienischen, französischen und englischen Lehnwörtern vermischten maltesischen Sprache: die Autobuschauffeure mit den Kollegen und Kunden, die Kellner unseres Hotels untereinander, die Gäste am Nachbartisch im Restaurant, und auch die Messe wird in Maltesisch gehalten.
Maltesisch oder richtiger Malti hat den Rang der ersten Amtssprache, Englisch ist die zweite Amtssprache. Aber das war keineswegs immer so. Maltesisch hat sich um etwa 1000 v. Chr. aus dem Phönizisch-punischen entwickelt und gelangte aus dem nordafrikanischen Karthago nach Malta. Die Sprache wurde jedoch erst im 18. bzw. 19. Jahrhundert schriftlich fixiert, davor war sie ein mündlich überlieferter Dialekt der ländlichen Bevölkerung. Heute ist sie die einzige semitisch-arabische Schriftsprache, die in lateinischen Buchstaben geschrieben wird.
Die jeweilige maltesische Oberschicht sprach im Laufe der Geschichte immer die Sprache der Herrscher, lateinisch, italienisch, schließlich englisch.
Der Malteser Ritterorden zeichnete sich jahrhundertelang im Kampf gegen den Islam aus. Unter anderem wehrte er 1565 die gewaltige Flotte des Osmanischen Reichs ab. Aber im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts verweltlichte er immer mehr. Als Napoleon im Zuge seines Ägyptenfeldzugs Malta besetzte, übergab ihm der letzte Großmeister des Johanniterordens auf Malta die Insel kampflos. Der Ordenssitz wurde später nach Rom verlegt, und die Malteser sind bis jetzt für ihren Dienst in der Krankenpflege und Sozialarbeit und als internationale Hilfsorganisation ein Begriff. Johanniter nennt sich heute übrigens der evangelische Zweig des Ordens, der sich zur Zeit der Reformation abspaltete.
Von 1800 bis 1964 prägt England Malta. Es ist nun britische Kronkolonie und bedeutender englischer Flottenstützpunkt im Mittelmeer. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nehmen jedoch die Autonomiebestrebungen zu, die maltesische Sprache wird zum einigenden nationalen Band. Seine staatliche Unabhängigkeit erklärt Malta am 21.9. 1964, und 1974 wird es parlamentarische Republik.

Guinness Bier und Tee mit Milch

Nach dem Besuch der üppig ausgestatteten St. John´s Co-Cathedral mit dem Anblick zweier Gemälde von Caravaggio als Höhepunkt erobern wir in einem der Straßenlokale einen Platz an der Sonne. Geschützt mit Schal und Anorak vor dem frischen Wind nehmen wir Spaghetti „aglio e olio" zu uns, dazu ein Guinness, das dunkle englische Malzbier, und einen „tea", der natürlich mit Milch serviert wird. „Very british" mischt sich in der Küche Maltas mit Einflüssen aus dem benachbarten Italien und Nordafrika.
Vor dem dunkelblauen Meereshorizont leuchten die sonnenbeschienen Bastionen, die als Erbe der Johanniter Valletta umkränzen, besonders hell. Von den „Lower Baracca Gardens" und den „Upper Baracca Gardens" eröffnet sich ein weiter Blick auf die Nachbarstädte und den wirtschaftlich bedeutsamen Hafen. Größter Arbeitgeber der Insel sind die Staatsunternehmen Malta Drydocks und Malta Shipbuilding. Unter maltesischer Flagge fährt eine der größten Handelsflotten der Welt - mit 1100 Schiffen!
Die Farben dieser Flagge sind weiß und rot. In der oberen linken Ecke des weißen Felds befindet sich das Georgskreuz. Das erhielten die Malteser als Tapferkeitsauszeichnung von König George VI. für ihr mutiges Durchhalten während der sogenannten Zweiten großen Belagerung - nach den Osmanen - durch deutschen Truppen im Zweiten Weltkrieg.

Madonna in Bussen

98 Prozent der Malteser bekennen sich zur römisch-katholischen Kirche. Dass die Kirche in Malta nach wie vor eine großte Rolle spielt, zeigt sich auch darin, dass in Malta Scheidung und Schwangerschaftsabbruch trotz EU-Beitritt 2004 verboten sind. (Die selbstbewußten Malteser verhandelten in 77 Punkten einen Aufschub zur Erreichung des EU-Standards heraus, andere Punkte sind die Nichteinführung der Mehrwertsteuer und die Erlaubnis, auch weiterhin im Frühjahr Jagd auf Zugvögel zu machen.)
Noch offensichtlicher zeigt sich die große Religiosität der Malteser aber in der allumfassenden Anwesenheit der Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind: Ihre Statuen und Bilder schmücken Kirchen und Häuser, aber auch Haustore neben supermodernen Türöffnungsanlagen und - am überraschendsten - die Führerhäuschen vieler Buschauffeure.
Busse sind in Malta das einzige öffentliche Verkehrsmittel, gelb mit orangem Streifen und immer offenen Türen. Der erste Bus, den wir bestiegen, war funkelnagelneu und vermittelte ein falsches Bild, denn die meisten sind Jahrzehnte alt und klappern und schaukeln, dass man glaubt, sie würden im nächsten Augenblick auseinanderfallen.
Mit solch einem Bus rattern wir am 24. Dezember zuerst nach Mdina, der alten Hauptstadt in der Mitte der Insel. Dieses mittelalterliche Stadtjuwel mit seinen Kirchen, Palästen und Klöstern, in dem nur mehr 390 Leute und eine Menge sonnenverwöhnte Katzen wohnen, eröffnet einen Ausblick über die verbaute Nordküste bis zum Meer. Die Kirchen sind heute am 24. Dezember für Touristen zugesperrt. Sicher wird überall für die Mitternachtsmette vorbereitet. Hausfrauen polieren vor dem Fest die künstlerischen Türklopfer, aus den Bäckereien duftet es nach Weihnachten, im Museum der Kathedrale von St. Peter und Paul bestaunen wir einen baumhohen Weihnachtsstern sowie Kupferstiche und Holzschnitte von Albrecht Dürer.

Schafherden und Erika

Eine ganz andere Welt bietet sich uns nur wenige Kilometer entfernt an der Südküste. „Dingli Cliffs" murmelt der Buschauffeur in unsere Richtung. Wir steigen aus, spazieren einen Abhang hinauf. Plötzlich Felder, mit Steinmäuerchen voneinander abgegrenzt und mit Winterdünger bewachsen. Menschliche Behausungen sind in weite Ferne gerückt. Milder Wind, Erika und Johanneskraut. Und dann stehen wir mitten in einer Schafherde, und der verwittert aussehende Schafhirte hat ein Handy am Ohr.
Die Dingli Cliffs türmen sich 250 Meter hoch an der malerischen Südküste Maltas. Hier, wo wir sitzen, fallen die Klippen in zwei Stufen ins Mittelmeer. Die Terrasse unter uns wird landwirtschaftlich genützt. Es ist still, ein paar hundert Meter entfernt glitzert die kleine Insel Filfla, die ein Nistplatz seltener Vogelarten und das Zuhause der nur hier vorkommenden Eidechsenart „Lacerta filfolensis" ist.
Bei der Rückfahrt sind wir lange die einzigen Gäste im Bus. Am Busbahnhof vor den Toren Vallettas, wo wir in den Bus nach St. Julian´s umsteigen, springt ein Angestellter der Verkehrsbetriebe neben den Chauffeur und bittet auf Englisch um Verständnis, dass morgen, am Christtag, zwischen 12 Uhr und 16 Uhr keine Busse fahren!

Stille Nacht, heilige Nacht

Die meisten Malteser, so lese ich, feiern Weihnachten zu Hause mit einem Christbaum, der ein exotischer Nadelbaum sein soll, mit Geschenken, die Santa Claus durch die geschlossenen Fenster bläst, denn Kamine gibt es hier nicht, mit Christmas pudding, hier il-pudina tal-Milied, mit gefülltem Truthahn, hier id-dundjan genannt und mit Timpana, einem maltesischen Nudelgericht. Überall gibt es Prozessionen mit Kindern, die die Statue des Jesuskindes tragen, und natürlich findet in jeder Pfarrkirche die Mitternachtsmette statt.
Wir stehen gegen Mitternacht, nach einem Christmas-Eve-Gala-Buffet-Dinner, gemeinsam eingenommen mit festlich gekleideteten Großfamilien aus Malta, unter den Hotelpalmen im Freien. Hoch über uns leuchtet der Mond im Zenit. Aus dem Speisesaal des Hotels klingen die Stimmen eines Chors, bestehend aus älteren Damen und Herren der Gegend, die ihr Konzert von Weihnachtsliedern mit „Silent Night, Holy Night" musikalisch etwas verschnörkelter beenden, als es 1818 Franz Gruber im salzburgischen Oberndorf komponierte.

Die Barthaare von Santa Claus


„O lejl ta` skiet, lejl tal-Milied" oder zu deutsch „O Nacht der Stille, Nacht von Weihnachten", singt am nächsten Tag bei der Mittagsmesse der Vorbeter unser „Stille Nacht, Heilige Nacht" auf maltesisch, während die Besucher und Besucherinnen der Messe zur Kommunion streben. Nach der Messe bewundere ich die 200 Jahre alte überlebensgroße Statue der barocken Gottesmutter. Und natürlich breitet sich auch in der Kirche von Balluta eine vielfältige Krippenlandschaft aus. Diese Krippen - presepji - sind eine maltesische Tradition, die ab Anfang des 19. Jahrhunderts bezeugt ist. Außer Maria und Josef und dem Jesuskind bevölkern die Krippen, die nicht nur in Kirchen und in Privathäusern, sondern auch von Vereinen und Privatpersonen zur Schau gestellt werden, eine Vielzahl von tönernen Figuren, Straßensänger, Bauern, Männer und Frauen aus dem Volk. Die Töpfe mit wild wuchernden weißen Fäden, die in der Nähe des Jesuskindes und rund um die Krippen stehen, sind ebenfalls eine alte Tradition: vier Wochen vor Weihnachten werden Getreidekörner im Finstern angesetzt, und sie entwickeln Schößlinge, die so weiß sind, wie der Bart von Santa Claus.

Siehe: Malta - Wikipedia


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