Ruth Linhart | Japanologie | Texte


Hiroko Sawada, eine japanische Profi-Hausfrau

Hiroko Sawada wohnt in einem Einfamilienhaus in Hamamatsu, einer Industriestadt am Pazifik, die zwischen Kyoto und Tokyo liegt.

Die Japanerin bezeichnet sich selbst als Profi-Hausfrau:
"Aber seit es so viele Maschinen gibt, ist die Hausarbeit denkbar einfach geworden!"
Welt der Frau Jänner 2005

Sawadas mit Baby
Das Ehepaar Sawada mit Baby
beim o-miya-mairi:
Nach einem Monat wird das Neugeborene im Schrein den schintoistischen Göttern präsentiert

 
 
 
Sawadas heute bei einer Familienfeier
Das Ehepaar Sawada heute bei
einer Familienfeier

 
 
 
Das Einfamilienhaus der Sawadas
Das Einfamilienhaus der Sawadas wird meist nur von Hiroko alleine bewohnt. Die Söhne sind erwachsen, ihr Mann arbeitet in Osaka und ist nur selten daheim.
 
 
 
Hiroko Sawada am PC
Auf dem PC, mit dem sie auf du und du ist, e-mailt und surft Hiroko Sawada. Sie gestaltet im Zusammenhang mit ihren diversen Tätigkeiten selbst Web-Seiten
 
 
Hiroko Sawada mit Puppen
Hiroko Sawada gestaltet
gerne Puppen

 
 
Hiroko Sawada bügelt
Beim Bügeln geht Hiroko Sawada in die Knie, auch wenn sonst die Sitzgewohnheiten westlich sind.

Jeden Morgen klappert Hiroko Sawada in ihren Pantoffeln die schmale Treppe herunter, die vom ersten Stock ins Parterre führt - in Japan heißt das übrigens zweiter Stock und erster Stock. Sie öffnet die Tür in das geräumige Wohn-Eßzimmer und schaltet die Klimaanlage ein, die jetzt heizt, im Sommer, wenn es in Mitteljapan stickig heiß wird, aber kühlt. Es ist sieben Uhr früh, und während sie mit einem Hebel die metallenen Rolläden vor den Fenstern hinauf dreht, flutet helles Sonnenlicht in den Raum. Früher hatte man hölzerne „Regentüren", die am Abend zugemacht wurden, und statt der Glasfenster waren da papierene Schiebefenster. Heute findet man nur noch in einem Zimmer des Hauses die traditionellen Schiebefenster, die mit Papier bespannt sind, allerdings zusätzlich zu den Glasfenstern, und zwar in dem einzigen traditionell japanisch eingerichteten Raum, den es wie in jedem japanischen Heim auch hier gibt. Bei Frau Sawada ist dieser Raum mit Schiebetüren vom Wohnzimmer abgetrennt.

Home-Stay im Tatami-Zimmer

Wenn kein Gast im Haus ist, sind die Schiebetüren offen. Jetzt aber schlafe ich in dem sechs tatami großen Zimmer, denn ich bin zum „home-stay" bei Frau Sawada eingeladen. Tatami sind Reisstrohmatten, ca. 90 mal 180 cm groß, die den Boden bedecken. Während ich also auf traditionelle Weise jeden Abend mein futon genanntes Bettzeug aus dem Wandschrank nehme und dieses auf den tatami ausbreite, schlafen Frau Sawada, ihr Mann und der 24-jährige Sohn im ersten Stock auf westlichen Betten - und das ist die japanische Norm! In meinem Zimmerchen sitze ich auf Sitzkissen auf den tatami an einem zirka 30 cm niederen Tisch. Im Wohnzimmer steht jedoch ein hoher Tisch mit vier Sesseln. Gleich beim Einstand hat mir Frau Sawada erklärt, wer auf welchen Stühlen sitzt: Papa-san hat den Platz, von dem aus man am besten auf den Fernseher sieht, sie selbst hat den Sitz gleich bei der Küche.

Einfamilienhaus mit Parkplatz

Frau Sawada hat in der Zwischenzeit das bis zum Boden reichende Fenster aufgeschoben. Sie wechselt die Pantoffeln und tritt ins Freie. Das einstöckige Haus liegt in einer der tausende schmalen Wohnstraßen Japans. Einfamilienhäuser reihen sich hier bis zur Hauptstraße aneinander. Dort, zu Fuß fünf Minuten entfernt, wartet der nächste Supermarkt. Das Haus ist von einem Streifen Garten umgeben. Daneben ist der Parkplatz für die zwei Autos der Familie.

Reis und Seetang zum Frühstück

Frau Sawada atmet tief die Morgenluft ein, greift nach einer Gießkanne und sprüht Wasser auf ihre Blumen. Ihr Blick schweift über die Sazanka-Büsche - das sind Kamelien, die im Spätherbst zu blühen beginnen - und bleiben bei den Spinnennetzen hängen, die riesige gelbschwarz gestreifte Spinnen bewohnen. Es habe keinen Sinn, die zu beseitigen, erklärt Frau Sawada, denn sie würden über Nacht neue Netze spinnen.

Anschließend wendet sie sich der Küche zu. Das ist ein enger Raum, vom Wohn-Eßzimmer durch eine Art Vorhang aus losen bunten Plastikschnüren getrennt. Als erstes kocht Frau Sawada Reis im automatischen Reiskochtopf. Die Familie liebt das traditionelle japanische Frühstück mit Reis, Ei, nori - das ist Seetang - und Fisch- oder Fleischresten vom Vorabend. Viele JapanerInnen bevorzugen aber das westliche Frühstück mit Toast und Kaffee, schon deshalb, weil es viel schneller zubereitet ist.

Auf Enkelkinder heißt es warten

Als ich etwas später aus meinem Tatamizimmer komme, sitzt Frau Sawada am Eßtisch und trinkt Tee. Hiroko Sawada ist eine typische Vertreterin der breiten japanischen Mittelschicht. Sie führt heute ein bequemes Leben, das sie sich weitgehend nach ihren Bedürfnissen einrichtet. Die zwei Söhne sind erwachsen. Der ältere, Mitte 30, arbeitet in Tokyo, der jüngere, Mitte 20, in der Nähe von Hamamatsu. Beide Söhne haben studiert und sind noch unverheiratet. Wie so viele junge Japaner beiderlei Geschlechts haben sie es nicht eilig, Enkelkinder zu liefern und schieben die Verheiratung so weit wie möglich hinaus. Herr Sawada arbeitet seit vielen Jahren bei einer großen Aufzugfirma und ist sehr selten daheim. Auch das ist häufig in Japan, dass der Gatte von seiner Firma quer durch das Land an verschiedene Orte versetzt wird, während die Ehefrau nicht mit übersiedelt, um den Kindern eine geordnete Schulbildung zu ermöglichen. In dem Monat, das ich bei Frau Sawada verbrachte, war der Ehemann nur in den ersten Tagen zu Hause. Dann fuhr er wieder nach Osaka, wo er von der Firma ein „mansion" bezahlt bekommt.

Jahrzehnte als pâto-taima

„Ich habe als junges Mädchen leider überhaupt nicht an einen Beruf gedacht, sondern wollte heiraten und Kinder kriegen, wie alle anderen", erzählt Frau Sawada. Sie ist eine lebhafte freundliche und hübsche Frau, die offen über ihr Leben plaudert. „Ich habe ein zweijähriges College besucht und währenddessen meinen Mann kennengelernt." Sie heiratete mit 20, ihr Mann war 25. „Es war eine sogenannte Liebesheirat, keine arrangierte Ehe." Bald kam ein Baby und einige Jahre später das zweite Kind. Frau Sawada blieb vorerst zu Hause. „Als die Buben größer wurden und ich mehr Freizeit hatte, begann ich Teilzeit zu arbeiten, so wie meine Freundinnen."

Frau Sawada hat nicht wegen ihrer Familie auf den Beruf verzichtet, sondern viele Jahre ihrer Familie zuliebe gearbeitet. Zwei Jahrzehnte lang besserte sie mit Teilzeitarbeit das Familienbudget auf. Das Haus wurde gebaut, die Autos wurden angeschafft. Am meisten Geld verschlingt in Japan aber die Erziehung und Ausbildung der Kinder. Frau Sadawa gehört zur Mehrheit, denn von den Japanerinnen mit Kindern unter 18 arbeiten mehr als 50 Prozent, und sogar rund ein Drittel der Frauen mit Kindern unter drei Jahren ist berufstätig. Der Großteil dieser Frauen ist wie Frau Sawada als „pâto-taima" eingestellt. Teilzeitarbeit, das ist in Japan ein Begriff, der sich weniger auf die Länge der Arbeitszeit als auf die Art des Dienstverhältnisses bezieht. Es handelt sich um Arbeitsverhältnisse ohne fixe Anstellung und ohne die sozialen Leistungen, die diese mit sich bringt. Vorwiegend sind es Frauen mit Kindern, die Teilzeit arbeiten. Sie kriegen niedrige Löhne und haben keine Aufstiegschancen. Die pâto-taima-Arbeit bringt auch keinen Anspruch auf eine Pension. In Japan gibt es seit 1986 eine Grundpension für alle, zirka 500 Euro. Das ist aber in dem teuren fernöstlichen Land zu wenig zum Leben. Deshalb sind Teilzeitarbeiterinnen ebenso wie Vollzeit-Hausfrauen nach wie vor auf die Pension ihres Mannes angewiesen.

Betreuung der Alten

In Japan ist es üblich, dass die Kinder mehr für die alten Eltern sorgen als das bei uns der Fall ist. Altersheime existieren zwar, aber es bestehen Hemmungen, die Eltern dort ihr Leben beschließen zu lassen. „Was mich angeht, so mußte ich mich weder um meine Schwiegermutter kümmern noch um meine Mutter. Die starb früh, und die Schwiegermutter wohnt weit weg, sodass die Frau des jüngeren Bruders meines Mannes sie betreut", erzählt Frau Sawada. „Wenn ich mich um niemanden kümmere, wird sich aber auch um mich niemand kümmern, wenn ich selbst alt bin", befürchtet sie. Das sei der Antrieb gewesen, noch mit vierzig eine Ausbildung als Pflegerin zu machen und einige Jahre in diesem Beruf zu arbeiten.

Ehrenamtlich aktiv

Die Phase der Berufstätigkeit ist für Frau Sawada jetzt aber vorbei. Derzeit ist sie nur noch ehrenamtlich tätig. „Ich betreue zwei kranke ältere Frauen. Seit zehn Jahren bin ich auch in einer Frauengruppe, bei der es um Emanzipation geht. Und außerdem bin ich Leiterin einer Gruppe, die sich mit Freizeitgestaltung in der Stadt befaßt." Frau Sawada hat also genug zu tun, wenn auch nicht in ihrem ureigensten Metier, bezeichnet sie sich selbst doch als „Profi-Hausfrau", japanisch sengyô-shufu. „Seit es so viele Maschinen gibt, ist die Hausarbeit denkbar einfach geworden!"

Kniend bügeln

Nach dem Frühstück räumt Frau Sawada das Geschirr in den Spüler und legt Wäsche in den Waschautomaten. Anfangs war ich sehr erstaunt, dass dieser nur kaltes Wasser verwendet, und dass die Wäsche schon nach einer Viertelstunde sauber aus der Maschine kommt. Aufgehängt wird die Wäsche im Freien hinter dem Haus. Wenn es regnet, muss das Wäschewaschen verschoben werden. Der elektrische Trockner wird nur im Notfall eingesetzt. Das machen alle Hausfrauen dieser Gasse so. Als nach drei Tagen Regen endlich die Sonne scheint, verkündet der Sprecher im Fernsehen dem hausfraulichen Publikum die frohe Botschaft, dass heute endlich die Wäsche wieder im Freien trocknen könne.

„Bügeln mag ich nicht gern", erklärt Frau Sawada, und als ich sie beim Bügeln sehe, verstehe ich das. Obwohl das Haus westlich eingerichtet ist, hat das Bügelbrett eine „altjapanische" Höhe: Frau Sawada muss kniend bügeln!

Gewaschen wird fast täglich, staubgesaugt zirka jede Woche einmal. Die Mahlzeiten für sich und den Sohn holt Frau Sawada oft aus dem Supermarkt und wärmt sie in der Mikrowelle. Zum Einkaufen fährt sie mit dem Auto, viele Hausfrauen der Nachbarschaft radeln zum Supermarkt. Dort wird eine reiche Palette an Fertiggerichten angeboten, von Sushi bis Pizza, Fleisch-, Fisch- und Gemüsegerichte, japanische und westliche Köstlichkeiten.

Ein wesentlicher Teil der hausfraulichen Tätigkeit in Japan besteht in der finanziellen Gebarung der Familie. „Vor größeren Anschaffungen frage ich aber schon meinen Mann". Zum Beispiel vor dem Kauf des PC, den eigentlich nur Frau Sawada selbst verwendet .

Am Abend zu Hause

Oft ist sie außer Haus, bei ihren ehrenamtlichen Aktivitäten, mit Freundinnen unterwegs oder sie besucht einen Kurs für Puppenbasteln. Aber am Abend ist sie immer zurück. „Wenn eine Frau am Abend allein fort ist, bekommt sie schnell einen schlechten Ruf!" Dann sitzt sie viele Stunden vor dem PC, schreibt Emails, surft nach Informationen im Internet. Sie organisiert am Telefon, liest Zeitung oder schaut fern, sehr gerne auch politische Sendungen.

Gegen zehn Uhr schließt sie die Rolläden vor den Fenstern. Sie ruft „Gute Nacht" durch die Schiebetüren. „Jetzt gehört das Wohnzimmer Ihnen!" Und wie in der Frühe höre ich das Klappern ihrer Pantoffeln auf der Treppe.


Ruth Linhart, Welt der Frau, 1/2005, S. 34-37


Ruth Linhart | Japanologie | Texte Email: ruth.linhart(a)chello.at