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Akkord unter Wasser |
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Besuch bei den Ama-Taucherinnen in Japan |
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Die japanische Ama hat, so wie die
Geisha, im Ausland eine gewisse Berühmtheit erlangt. Ama bedeutet,
wortwörtlich aus dem Japanischen übersetzt, Meerfrau.
Sinngemäßer aber ist die nüchterne Bezeichnung Taucherin. Auf
Postkarten wandeln sie mit nackten Oberkörpern über malerische
Strände. Der Alltag dieses uralten Frauenberufs rechtfertigt das
romantische Bild nicht. Ama ist ein harter und ein gefährlicher Beruf. Der weisse Anzug über dem Tauchgewand soll
vor Haien schützen. |
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Nicht nur Ausländer, auch viele Japaner,
haben wenig Ahnung, was Amas eigentlich tun: Keineswegs nackt, sondern im
Taucheranzug, sind sie von März bis September jeden Tag, an dem das Wetter
es zuläßt, stundenlang im Meerwasser. Sie holen dort in der Regel
keine Perlen oder Perlenaustern. Die Zuchtperlen- industrie benötigte sie
nur wenige Jahrzehnte zur Wartung der Austern, so lange, bis sie
wirtschaftlichere Methoden entdeckte. Die heute noch tätigen Amas sammeln
Muschelarten wie das Seeohr (Awabi) oder die Kreiselschnecke (Sasae), die in
Japan als Delikatessen gelten, und Meeralgen. Das Besondere daran ist,
daß die Amas ohne Sauerstoffgeräte tauchen. Die geschicktesten,
gesündesten und bestbezahlten Amas stoßen in Tiefen bis zu
dreißig Metern hinab.
Männer taugen nicht dazu Frau Tamako Otawa vertritt die Interessen von 120 Taucherkolleginnen. Sie ist Frauenreferentin der Fischereigenossenschaft im Fischerdorf Katada: Eine von Sonne, Meerwasser und Wind braungebrannte Frau Mitte 40 (wie die meisten Taucherinnen), von beeindruckender Körperfülle. Die kommt ihr beim Tauchen zugute. Wenn alle anderen längst frieren, ist ihr immer noch nicht kalt. Ein Grund, warum Männer zur Ama nicht taugen, ist ja nach Meinung mancher Wissenschafter ihr geringeres Fettgewebe unter der Haut. Dadurch seien sie kälteempfindlicher als Frauen. Frau Otawa meint zu diesem Problem, Männer seien eben das schwächere Geschlecht. Heute sind in Japan nur noch wenige Küstenstriche übriggeblieben, wo Frauen sich diesem Broterwerb widmen. Einer davon gehört zur buchtenreichen Halbinsel Shima im südlichen Mitteljapan. Dort umbranden die Wellen des Pazifischen Ozeans eine reizvolle, von vielen Touristen besuchte Landschaft mit begrünten Bergen und alten Bauerndörfern inmitten sattgrüner Reisfelder. Je weiter südlich man sich von der Toba-Bucht, wo Perlenkönig Mikimoto sein Hauptquartier aufgeschlagen hat, entfernt, desto seltener werden die Fremden. Kaum einer verirrt sich an den felsigen Strand von Katada, vor dem Frau Otawa ihren Arbeitsplatz hat. Für sie sind die Meereswellen kein Ort romantischer Sehnsucht oder des Urlaubsvergnügens. Für sie bedeuten sie Stätte der täglichen Arbeit wie für andere die Fabrik oder das Büro. Was für jene die Näh- oder Schreibmaschine, das ist für Frau Otawa ihr sieben Meter langes weiß-rot gestrichenes Boot. Unentbehrlich sind ihr weiters ihre Taucherbrille, verschieden lange Stemmeisen, mit denen sie die Muscheln von den Unterwasserfelsen reißt, das Netz, in das sie diese wirft, sowie das Maß, an dem sie nach jedem Auftauchen die Länge der Seeohren zu messen hat. Mindestlänge ist 10,6 Zentimeter. Die Gefahren, die auf die Frauen an einem solchen Arbeitsplatz tief unter dem Wasserspiegel lauern, sind beträchtlich. Warum brauchen sie zum Beispiel ein weißes Gewand über dem dunklen Taucheranzug aus Gummi? Haie fürchten weiss "Haie schrecken sich vor Weiß", antwortet Frau Otawa. Mit Seelenruhe erklärt sie weiter: "Freilich gibt es hier ab und zu Haie. Aber nur kleine, so zirka ein- bis anderthalb Meter lange. Die schwimmen manchmal an mir vorbei. Aber, wenn man sie nicht angreift, tun sie gar nichts." Ein weiterer Grund für die weiße Farbe: "Damit uns die Schiffe von oben bemerken." Deshalb darf auch nur bei sehr klarem Wetter getaucht werden. Die Meeresoberfläche muß ruhig und durchsichtig sein. Als ich Frau Otawa besuchte, haben die Wetterbeobachter der Fischereigenossenschaft das Tauchen untersagt. Ein Taifun naht. Das Meer ist grau und aufgewühlt. Alle Boote sind von den schmalen Schiffsanlegestellen hinter die Steinmauer heraufgezogen, die die Häuser vor dem Meer sichert. In der Nähe des Strandes sieht man überall Ama-Hütten aus Wellblech. Am Feuerplatz in der Mitte dieser Hütten trocknen jeweils drei, vier Taucherinnen ihre Sachen, und hier wärmen sie sich auf, wenn sie mittags und nachmittags total unterkühlt aus dem Wasser steigen. Erkältungs- und Unterleibskrankheiten sind keine Seltenheit. Denn die Frauen tauchen jeden Tag, wenn es nur irgendwie geht. Ihr Einkommen hängt ja davon ab. (Ihre Ehemänner , die im Winter Krebs- und Fischfang betreiben, erhalten im Gegensatz zu den Taucherinnen einen fixen rnonatlichen Lohn von der Fischereigenossenschaft.) Rasttage sind lediglich der zweite und der vierte Samstag jeden Monats. Die Fischhändler arbeiten am darauffolgenden Tag nicht, und die Ware würde verderben. Außerdem pausieren die Frauen Mitte August, zur Zeit des japanischen Allerseelenfestes. An allen übrigen Tagen, an denen das Wetter mitspielt - das sind 90 oder 100 pro Saison, erläutert Frau Otawa - heißt es hinunter! Herzschlag unter Wasser Immer wieder kommt es vor, daß Frauen unter Wasser der Herzschlag trifft. Seit einigen Jahren hat sich die Situation wohl etwas gebessert. Viermal jährlich gibt es im Ort ärztliche Untersuchungen für die Taucherinnen. Doch der Streß bleibt nach wie vor groß. Die meisten stehen bereits um 4 Uhr früh auf und sammeln, manchmal gemeinsam mit ihren Männern, Algen, die das Meer an den Strand wirft. Überall im Dorf liegen diese graugrünen länglichen Blätter zum Trocknen, auf Steinmauern, auf Gemüsebeeten und vor Häusereingängen. Die getrockneten Algen werden dann verkauft und dienen als Zutaten für die japanische Küche. Nach dem Algensammeln kommt der Haushalt: Frühstück, Vorkochen, Aufräumen. Viele Frauen betreuen noch eine kleine Landwirtschaft. Alle haben Familie. Doch viele Männer arbeiten oft in weit entfernten Städten und besuchen den Heimatort nur ab und zu. Dann, gegen 10 Uhr, beginnt die Taucherei. Früher tauchten die Frauen, so lange sie es eben aushielten. Das war nicht nur Raubbau an den kostbaren Muscheln, sondern auch Raubbau an ihrer Gesundheit. Aus beiden Motiven hat die Fischereigenossenschaft vor einigen Jahren, als die Seeohrmuscheln sich drastisch verminderten, die Arbeitszeit geregelt. Von März bis Mai tauchen die Frauen vormittags und nachmittags je eine Stunde, dann bis zum 14. September je anderthalb Stunden. Eine Minute unter Wasser Während dieser Zeit halten sich die Amas dauernd im Wasser auf und reihen einen Tauchvorgang an den anderen. Sie holen Luft, tauchen, halten nach Muscheln Ausschau, schneiden diese ab, und dann geht es so schnell wie möglich wieder an die Oberfläche. Allerhöchstens eine Minute halten sie es unter Wasser aus. Das ist Akkordarbeit ohne Stoppuhr. Die eigenen Lungen wachen über die Zeit. Um so schnell wie möglich zum Meeresgrund zu gelangen, hat man sich im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Hilfen ausgedacht. Die Taucherinnen, die ohne Boot vom Ufer aus ins Meer schwimmen und nur etwa zwei, drei Meter tief tauchen, haben es am einfachsten. Am gefährlichsten wird der Tauchberuf für jene, die gemeinsam mit ihrem oder einem anderen Mann im Boot weiter hinausfahren und sich mit seiner Hilfe an einem sogenannten Atemseil bis 28 Meter tief hinablassen. Hier sind die muschelreichsten Gründe. Sie bringen am meisten ein. In einer Saison kann ein Paar bis zu 350.000 Schilling verdienen Doch immer wieder verwickeln sich die Seile in den Meeresalgen. Steine im Gürtel Voriges Jahr, erzählt Frau Otawa, erstickten auf diese Weise in der Nachbargemeinde zwei Frauen. Außer den mit ein Kilogramm schweren Steinen bestückten Gürteln, die die Frauen um die Hüften tragen, benützen sie auch 20 Kilogramm schwere Eisenpflöcke, mit denen sie schneller nach unten stoßen, um die kurze Zeit unter Wasser optimal nützen können. Das schwere Gerät hat schon manche erschlagen. Warum gehen Frauen auch heute noch diesem gefährlichen Gewerbe nach? "Weil man ohne langen Arbeitsweg und ohne Schulbildung verhältnismäßig viel Geld verdienen kann", erwidert die Frauenreferentin. Dennoch gibt es kaum Nachwuchs. Die jungen Mädchen des Ortes - fast alle haben Mittelschulabschluß - scheuen den schweren Beruf. In Katada taucht eine einzige Zwanzigjährige. Vier sind 30, alle anderen 40 und darüber. (Das Seeohr, auch Haliotis oder Abalone genannt, japanisch awabi, ist zoologisch gesehen eine Seeschnecke aus der Familie der Haliotidae. ) |
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Publiziert in AZ (Arbeiterzeitung), Sonntag, dem 17. Dezember 1978, S. 11 |
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