Ruth Linhart | Japanologie | Texte | Ama-Artikel


P E R L E N

Echte Perlen aus Menschenhand! Dieses Wunder gelingt japanischen Perlenzüchtern

Perlenfarmen in der Ago-Bucht. In Körben unter Wasser wachsen die Akoya-Austern heran. Die Perlenzüchter setzen winzige Fremdkörper in die halbgeöffneten Muscheln ein. Diese werden von den fleissigen Tieren in die begehrten Juwelen verwandelt. Die Frau November 1983
Von der Wiege der Perlenzucht, der Stadt Toba, bis zum letzten Zipfel von Hinter-Shima in Mitteljapan schwimmen in all den vielen Buchten Perlenfarmen. Von oben unsichtbar hängen an den Holzgerüsten oder Plastikbojen Körbe mit Akoya-Austern, in denen die Zuchtperlen wachsen.

Wir legen mit unserem flachen blauen Boot an einem der schwankenden Flöße an und balancieren zu der Holzhütte - einer von vielen - am Rand des stillen, seidigen Wassers der Ago-Bucht. Herr und Frau Ota sind eifrig bei der Arbeit. Sie setzen Kügelchen aus Muschelschalen, die sie aus Australien importieren, in die halbgeöffneten Austern ein. Die Perlenkerne haben einen Durchmesser von drei Millimetern. 300 Austern am Tag schafft jeder von ihnen.

„Es dauert ein halbes bis ein Jahr, ehe die Perle fertig ist" erklärt der stämmige Japaner. Wenn der Kern größer ist, dauert es länger. Jetzt ist Hochsommer. Im Jänner braucht das Ehepaar Ota 25 Helferinnen aus seinem Dorf für die Perlenernte. Ota hat die Technik der Perlenzucht von seinem Vater gelernt. Auch sein jüngerer Bruder besitzt einen ähnlichen Familienbetrieb. „Wir machen das seit eh und je. Früher haben wir die Perlen an Mikimoto geliefert."

Kokichi Mikimoto ist ein allgegenwärtiger Name in dieser Region. Dem Sohn eines Nudelhändlers gelang es 1893 nach vielen erfolglosen Anläufen, in Toba die erste echte Perle zu züchten. Heute wird seine Methode nicht nur in Mittel- und Südjapan sondern auch in China und Korea nachgemacht. Mikimoto-Geschäfte bieten Perlen in der ganzen Welt an. Die Stadt Toba ist eine Art Wallfahrtsort für Perlenfans geworden. Auf der „Perleninsel" erleben Touristen gegen teures Geld sämtliche Stationen auf dem Weg von der jungen Auster bis zur Perle keimfrei nach. Anschließend können sie im Restaurant „Perlennudeln" versuchen, Die sind allerdings auch nur aus Mehl und im Wasser gekocht!

Die Perlenzucht ist ein hochsensibles Handwerk, immerhin sind die Akoya-Austern lebende Tiere. Von einer Million Austern bleiben nach drei Jahren nur 270.000 für die Perlenzucht übrig. 60 Prozent von diesen sterben vor der Perlenernte. Und nur wenige davon produzieren Perlen höchster Qualität. Dies ist einer Statistik der Perleninsel zu entnehmen.

In der Praxis der Firma Ota schaut alles ein bißchen anders, weniger steril und lebendiger aus, doch Ablauf und Risiken sind im wesentlichen dieselben. Ota bezieht seine Zuchtaustern aus dem japanischen Süden, laßt sie ein halbes bis eineinhalb Jahre unterhalb seiner Holzroste wachsen, bis sie reif sind für die entscheidende und heikle Prozedur des „tama-ire", des Kerneinsetzens.

Vom Geschick der Hände beim Einsetzen hängt unter anderem der Wert der fertigen Kostbarkeiten ab. Wichtig sind außerdem Wassertemperatur, Reinheit und Strömung. Weil in der Ago-Bucht das Meer im Sommer bis zu dreißig Grad heiß wird und der Verschmutzungsgrad erschreckend hoch ist, liefert Ota seine Austern zum "Perlenlegen" in eine andere Bucht.

Bei Wassertemperaturen unter 15 Grad beginnen die Muscheln erst gar nicht, den Fremdkörper - der beim vom Menschen unbeeinflußten Vorgang ein Sandkorn sein kann - zur Perle zu verwandeln. Am aktivsten werden sie bei der Temperatur von 18 bis 25 Grad. Die Perlenschicht aus 93 Prozent Kalzium-Karbonat wird zirka einen Millimeter dick und entpuppt sich unter dem Mikroskop als tausendfache Hülle von 0,5 Mikromillimeter "starkem" Perlmutt.

Bei Ota ist die Erfolgsquote hoch - 80 Prozent der Austern entwickeln Perlen. Viele davon sind „pink". Laut Mikimolo-Statistik gelingt nur bei fünf Prozent der begehrte mattrosa Schimmer, 50 Prozent sind golden angehaucht, 30 Prozent silbern, 15 Prozent matt blau.

Nach der Ernte im Frühwinter macht das Perlenzüchterpaar zwei Monate Pause, bis das Meereswasser wieder wärmer wird. Jetzt kommen die Perlenhändler zum Zug. Sie kaufen die Juwelen entweder direkt beim Erzeuger oder bei der Perlengenossenschaft.

So bilden die Perlen einen Haupternährungszweig der Gegend: Von den Austernzüchtern über die Perlenzüchter, die Frauen, die die Kerne einsetzen, die Perlen ausnehmen, sortieren und auffädeln, bis zu den Händlern und den Juwelieren geben sie, oder besser die dafür geopferten Austern, Zehntausenden Menschen Arbeit.

"Der wird heuer reich!" lacht unser Bootsmann, Otas Bruder. Derzeit ist die Nachfrage gut, und die Preise sind hoch. Unter einigen tausend Schilling ist kaum ein Schmuckstück zu haben, die prachtvollen Kolliers kosten viel mehr. Als Gastgeschenk erhalten wir deshalb auch keine echte Perle, sondern eine Krawattennadel mit einer riesigen rosa Imitation.


Ruth Linhart


Dieser Artikel wurde publiziert in die frau November 1983, S. 24-25

Die Reportage beruht auf einer Recherche aus dem Jahr 1983.

Ins Internet gestellt wurde der Artikel im November 2004.


siehe auch Die Ama von Katada, Modern Times for Ama Divers, Japan wie es keiner kennt, Ama divers and Awabi - do they have a Future?

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