Ruth Linhart | Texte | Zeitgeschichte


Wer kennt Maria Ducia?

In der Monarchie hat sie in Tirol als „eine der ersten tapfer für die Befreiung der Frau und gegen die klerikale Bevormundung gekämpft“ (ein Zeitgenosse) Sie war Vorsitzende der sozialdemokratischen Frauen Tirols und die erste Frau im Tiroler Landtag.
Wer erinnert sich noch an sie?

Maria Ducia 1919

Maria Ducia 1919



Ing. Toni Ducia

Sohn Toni Ducia



Maria Ducia 1892

Maria Ducia mit ca. 16 Jahren



Maria Ducia 1919

Familie Ducia, ca. 1910



Der Tiroler Landtag 1919

Der Tiroler Landtag 1919



Maria Ducia mit ihrem Ehemann

Maria Ducia mit ihrem Ehemann



Maria Ducia in ihren 70ern

Maria Ducia in ihren 70ern

„Der Mensch lernt nie aus“, schrieb Maria Ducia in sauberer Kurrentschrift in das Gedenkbuch, das sie zum 50. Geburtstag 1925 anlegte. „Ich hatte fast die Hälfte meines Lebens hinter mir, bis mir ein Licht aufging, das mir auf einmal die ganze Menschenwelt und meine innerste Seele erhellte. Warum so spät? Ich möchte versuchen, in diesem Erinnerungsbuch etwas von dem mir allgemein Bemerkenswertesten aufzuschreiben; besonders wie ich lernte Sozialistin zu sein.“

Nach zwei Seiten ist dieser Versuch abgebrochen.

"Sie wollte ihr Leben beschreiben, aber sie hat das Arbeitspensum nicht geschafft“, sagt heute der Sohn Ing. Toni Ducia. Übriggeblieben sind „Aufzeichnungen in Merkbüchlein, mit Bleistift hingeschrieben, Zitate, Gedanken, in Hektik und Eile.“

An einem dämmrigen Dezembernachmittag 1983 erinnert sich der 79jährige für mich viele Stunden lang intensiv an seine Mutter.

Ich selbst bin zufällig auf Maria Ducia gestoßen. Mein Urgroßvater hatte an der Feier ihres Fünfzigers im Innsbrucker Hotel „Sonne“ teilgenommen und nachher einen Gehirnschlag erlitten. Von dieser Erzählung meiner Großmutter ausgehend machte ich mich auf die Suche nach der weiblichen Ausnahmeerscheinung im Tiroler politischen Leben. Vorerst lernte ich sie in der Innsbrucker Volkszeitung kennen: 1912 als leidenschaftliche Agitatorin der blutjungen sozialdemokratischen Frauenbewegung. Einen Tag in Landeck, den nächsten in Bozen, den dritten in Franzensfeste fordert sie: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“ und führte der eigenen Gemeinschaft neue Mitglieder zu. Von einer Bestrafung der Genossin Ducia ist zu lesen, weil sie Kinder mit bunten Fahnen („beileibe keine roten“, vermerkt der Berichterstatter) in Lienz zur Maifeier führte und damit die christliche Bevölkerung geärgert habe.

Das Jahr 1912 war ein Meilenstein für die roten Frauen Tirols. Die Arbeiterinnenbildungsvereine und freien politischen Frauenorganisationen, die seit 1907 in etlichen Tiroler Gemeinden ins Leben gerufen worden waren (1910 in Lienz von Maria Ducia) vereinten sich bei der ersten sozialdemokratischen Frauenkonferenz am 24. März zu einer eigenen Landesfrauenorganisation. Maria Ducia wurde Mitglied des Frauenlandeskomitees und Landesvertrauensperson. Am 13. Mai hielt man in ganz Österreich einen Frauentag ab. Emmy Freundlich reiste aus diesem Anlaß in viele Tiroler Orte, Maria Ducia taucht ebenfalls als Rednerin auf. In diesem Jahr absolviert sie eine Parteischulung in Klagenfurt.

Ein Licht, das mir die ganze Menschenwelt und meine innerste Seele erhellte

Die nächste interessante Begegnung mit ihr findet in der Geschichte der „Tiroler Arbeiterbewegung“ von Gerhard Oberkofler statt. 1919 übernahm der Tiroler Landtag die Innsbrucker Bürgerwehr und das Schützenwesen und bedachte sie im Budget mit einem eigenen Posten. Die Landtagsabgeordnete Maria Ducia stellte einen Antrag auf Streichung dieser Subvention zugunsten des Armenwesens, wurde aber „durch die eigene Partei mittels eines Kompromißantrages, eingebracht von Josef Holzhammer, zu Fall gebracht“.

Damals wohnte sie bereits in Innsbruck, war Sekretärin des sozialdemokratischen Landtagsklubs und kündigte als Landesvertrauensperson in der Volkszeitung Sprechstunden an. 1933 treffe ich sie im Buch Oberkoflers nochmals – als Mitglied des Tiroler Parteivorstandes.

Ewiger Kampf an vorderster Linie

Ein bißchen mehr individuelle Gestalt nimmt Maria Ducia dann in einem Gespräch mit dem Tiroler Sozialisten Doktor Josef Kunst an. Er hat sie aus der Kinder- und Jugendzeit „als temperamentvolle Frau, die im Landtag bei den Christlichsozialen sehr gefürchtet war, wenn sie als Rednerin auftrat“, in Erinnerung.

Jetzt endlich gibt ihr der Sohn ein Gesicht: blaue Augen, braunes Haar, zirka 166 Zentimeter groß. Und Eigenschaften: Er spricht von einer „starken künstlerischen Veranlagung, sie hat wunderbar gezeichnet“; von „Begeisterung und Opferbereitschaft wie die ersten Christen“; von „einem Mut, einem Mut für zwei, auch körperlichem Mut, in Versammlungen, wenn die Schwarzen sie in den Dreck gezerrt haben“; von „diesem Mitleid, das sie hatte. Wenn jemand gekommen ist, hat sie gesagt: `Ich hätt´ nichts auf die Seite gegeben, wenn ich es gebraucht hätte, also gehört´s ihm...`“.

Der Sohn erinnert sich, wie sie ihn als kleines Kind Flugzettel verteilen ließ, ihn überallhin mitnahm, auch nach Wien, auch in das Haus Adler; Renner lernte er kennen. Aber er konnte den Wunsch der Mutter, daß er in ihre Fußstapfen treten solle, nicht erfüllen. Er hatte Angst um sie, furchtbare Angst, wenn sie nicht heimkam: „Der ewige Kampf an vorderster Linie – ich war zu feig dazu.“ Aus dem Gefühl, die Mutter enttäuscht zu haben, idealisiert er sie vielleicht nun.

„Die Flamme, die in ihr brannte“, die muß es jedoch gegeben haben, sonst hätte sie es nicht geschafft, den „Zwiespalt zwischen den kleinsten Verhältnissen, den dauernden finanziellen Sorgen – wir waren eine richtige Proletarierfamilie – und dem Streben nach Großem“ zu überwinden.

Bei Toni Ducia wird die bisher papierene Oberfläche der „glühenden Verfechterin für Frauenrechte, die es ungerecht fand, daß die Frauen für den Haushalt bestimmt sein sollten“, plastisch. Sie bekommt ein Privatleben. Es bestand vor allem aus dem Kampf mit dem Alltag, dem Hin- und Hergerissensein zwischen Familie und politischer Mission.

Sohn Toni Ducia sieht der Mutter dieses politische Engagement nicht in die Wiege gelegt. Der Vater, ein Handwerker, strebte eher ins bürgerliche Lager. Maria Ducia wurde als eines von zehn Kindern gleich nach der Geburt als Pflegekind aufs Land geschickt. Die Rückkehr in die düstere Wohnung der Innsbrucker Altstadt mit vier Jahren war ein Schock für sie. Das hat sie selbst im Gedenkbuch niedergeschrieben. Als Reaktion daraus brachte sie sich vor der Volkschule das Lesen bei.

„Meine Mutter hat eine sehr unglückliche Kindheit gehabt“, faßt der Sohn zusammen. Mit 16 lief sie davon, in Richtung Südtirol. Die Jahre bis zur Heirat 1900 sind nur spärlich beleuchtet. Der Sohn vermutet, sie habe in der Familie des später als Hochverräters hingerichteten Sozialisten Cesare Battisti – ebenfalls 1875 geboren – mit dem Sozialismus Bekanntschaft geschlossen (was erst erhärtet werden muß). Sie lernt Italienisch, taucht in einer Buchhandlung in Rovereto auf, dann in München als Arbeiterin in einer Zigarettenfabrik, die abends Kurse an der Kunstakademie belegt. Nächste Station ist St. Gallen, als kaufmännische Angestellte. Beide Orte sind mit der Geburt von unehelichen Kindern verbunden, Karl und Leopoldine.

Ende des Jahrhunderts ist sie in Innsbruck zurück, arbeitet bei einem Möbelhändler, der schickt sie nach Lienz, wo sie eine Filiale leitet. 1900 heiratet sie den Eisenbahner Anton Ducia, bis 1907 gebiert sie noch vier Kinder, vor 1910 fängt ihre politische Tätigkeit an, die „in diesem kleinbürgerlichen schwarzen Milieu in bezug auf ihr Geschäft selbstmörderisch war.“

Nun schließt sich der Kreis zwischen privaten Erinnerungen und offiziellen Protokollen. Ihre „Legitimation“ als Eisenbahnerfrau benützt sie für Agitationsreisen in die entlegensten Täler. Zu Hause in Lienz wartet die Wohnung in einem der Personalhäuser der Bahn, 1 Küche, 2 Zimmer, warten sieben Personen. „Bei Tag hat man verschwinden müssen, da mußte der Vater sich ausschlafen.“ Verhungert sei man nicht, sagt der Sohn. „Aber Geld haben wir nie gehabt, bis in die zwanziger Jahre hinein.“ Das Engagement für Dienstmädchen, Hausangestellte, ledige Mütter und andere Benachteiligte bezog Maria Ducia also zu einem Gutteil aus eigener Erfahrung.

Sechs Kinder und kein Geld

Auf den Fotos von Toni Ducia sieht man ein sehr hübsches Mädchen mit heiteren Zügen und hochgestecktem Haar, später eine füllige Frau mit demselben offen-freundlichem Blick, und dann, fast unkenntlich, eine weibliche Figur bei der Protestsitzung des Tiroler Landtages vom 23. September 1919 gegen die im Friedensvertrag von St.-Germain vollzogene Abtrennung Deutsch-Südtirols.

„Der Mensch lernt nie aus“, schrieb sie nieder. Die Frau mit Volkschulbildung las Marx, Engels, Bebel, Goethe. Welche Kraft hatte sie angetrieben?

Gegen Schluß des Gesprächs erzählt Toni Ducia, daß es doch Aufzeichnungen der Mutter gegeben habe, daß sie aber verschwunden seien. Wo könnten sie sein? Ich möchte sie finden.


Ruth Linhart, die frau 19/1984, S. 14-15

Wer kennt Maria Ducia? Ins Internet gestellt am 23. Juni 2004

Maria Ducia, 1875 - 1959, war Vorsitzende der sozialdemokratischen Frauen Tirols und die erste Frau im Tiroler Landtag


Siehe dazu:
Horst Schreiber, Ingrid Tschugg, Alexandra Weiss (Hrsg.) Frauen in Tirol, Pionierinnen in Politik, Wirtschaft, Literatur, Musik, Kunst und Wissenschaft, 2003


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