Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

Sachiko K., 50, Ôsaka, 29. Juli 1988

Die Familie kommt nach der Arbeit.

Sachiko K.
Das Gesprächsklima ist nicht unfreundlich, aber verglichen mit anderen Interviews distanziert. Sachiko K. ist Direktorin der Reservierungsabteilung für Inlandsflüge der Japan Airlines im Regionalbüro "Midwest Japan". Sie spricht leise, was mir das Verstehen erschwert. Sie hat wenig Zeit, so muß ich das Interview während des Essens durchführen, was mich unter Druck setzt. Wir sind zu dritt, keine optimale Voraussetzung für ein intimes Gespräch. Frau K. hat uns zum Mittagessen in das Restaurant, das sich im obersten Stockwerk des JAL-Gebäudes in Ôsaka befindet, eingeladen. Die Kellner benehmen sich diskret in ihren rotgesäumten Smokings, Frau K. ist elegant türkis, Ton in Ton, gekleidet. Ich stelle mir vor, wie sie beim Golfspielen mit Freunden herzlich lacht oder erregt mit ihrer Tochter spricht. Nach dem Essen zeigt sie uns noch ihren Arbeitsplatz, ein Großraumbüro. Ihr Schreibtisch steht vor dem Fenster, den anderen Schreitischen zugewandt, sodaß sie immer alle Mitarbeiter im Auge hat.
Vor 26 Jahren habe ich bei der JAL zu arbeiten angefangen. Ich bin 50, eine alte Großmutter! In Ôsaka bin ich jetzt vier Jahre. Vorher war ich 22 Jahre in Tôkyô. Ich begann im städtischen Kartenbüro am Passagier-Schalter. Studiert habe ich an der staatlichen Universität Ibaraki englische Literatur. Nach einer vierjährigen Universität kann man Lehrerin werden oder Zeitungsreporterin oder in eine normale Firma gehen. Alle Absolventinnen einer vierjährigen Universität arbeiten - im Unterschied zu denen einer zweijährigen Universität. Von denen heirateten damals viele gleich. Ich ging also zur JAL, die sich um diese Zeit vergrößerte und arbeitete zuerst im Passagier-Service. Dann wurde ich Instruktorin im Hauptquartier und kam schließlich als Direktorin nach Ôsaka, wie Sie auf meiner Visitenkarte gelesen haben. Bei der JAL gibt es sonst keine weiblichen Direktoren. Als sie mir den Direktorenposten gaben, dachte ich, ich versuche es einmal. Von Tôkyô bin ich mit dem Flugzeug in einer Stunde in ôsaka. Wenn man bei einer Fluglinie arbeitet, sind auch große Entfernungen schnell zu überwinden. Am Anfang bin ich alle zwei Wochen bin ich nach Tôkyô oder ist mein Mann nach ôsaka gekommen. Aber in der Zwischenzeit sind vier Jahre vergangen und wir haben uns an das Leben allein gewöhnt. Am Wochenende spiele ich Golf, und auch mein Mann hat irgendwelche Pläne, die Kommunikation wird allmählich geringer. Aber wir telefonieren täglich.
Mein Mann ist Techniker und arbeitet bei einer Chemiefirma. Ich werde wahrscheinlich wieder nach Tôkyô zurückgehen. Ich bewege mich im selben Arbeitszyklus wie die Männer, und der dauert vier bis fünf Jahre. Nächstes Jahr wird mir die Firma wahrscheinlich eine andere Arbeit geben, eine, die mit der jetzigen nichts zu tun hat.
Bei der JAL gibt es mehr weibliche Abteilungsleiter als in anderen Firmen. Alle Frauen arbeiten sehr fleißig, aber grundsätzlich haben Frauen das Gefühl: Bis hierher geht es und nicht weiter.

Heirat, Kind, Beruf

Als ich heiratete, habe ich nicht zu arbeiten aufgehört und nach der Geburt meiner Tochter nur sechs Wochen. Warum habe ich nicht aufgehört? Gerade damals, 1970, hat die JAL mit dem Jumbos angefangen. Die Arbeit in der Firma war interessant. Ich wollte weitermachen. Ich bat meine Mutter, auf das Kind aufzupassen, gemeinsam mit einer Babysitterin.
Als ich im Juni nach der Geburt wieder in die Firma kam, wurde ich für zwei Monate nach Mailand geschickt. Sofort. Ich war während der Geburtspause Supervisor geworden. Ich sah das Kind nur auf Fotos. Als ich im Dezember zurückkam, war es schon groß. Das ging so hin, bis es zwei Jahre alt war. Ich hätte wegen des Kindes ablehnen können. Aber ich war eine mujo no haha, eine Mutter ohne Gefühl. Mich reizte die Arbeit. Das Kind kam ungeplant. Aber ich wollte eine Kind. Ich glaube, es war sehr gut, daß ich das Kind bekam. Natürlich wurde ich bedrängt, aufzuhören. "Hör auf, hör auf", sagte man mir. Nach der Heirat und dann, als das Kind da war. Zehn Jahre dauerte das ungefähr: ,,Hör auf, hör auf". Aber ich wollte arbeiten. Es gab oft Streit deswegen.
Auch als ich nach ôsaka ging, sagte mein Mann: "Hör auf zu arbeiten, komm in die Familie, bleib zu Hause." Er würde einsam sein, allein. Ich glaube, er ist einsam. Für mich ist es überhaupt nicht einsam, weil ich das Kind mithabe. Als ich jung war, war es für Frauen nicht so selbstverständlich zu arbeiten. Daher war immer der Wunsch vorhanden, ich solle aufhören. Vielleicht habe ich aber mehr als an mich an die Frauen insgesamt gedacht. Wenn sich eine Frau durchsetzt, das gibt allen Mut!
Als das Kind drei Jahre alt war, wurde ich wieder schwanger. Das Kind habe ich abgetrieben. Mit zwei Kindern hätte ich wohl aufhören müssen. Aber ich konnte auch deswegen durchgehend arbeiten, weil ich Hilfe hatte. Ab dem Alter von zwei Jahren wurde mein Kind von einer Nachbarin betreut, die selbst einen Sohn hat. Diese Frau war selbst als Kind nicht mit ihrer Mutter zusammen und wollte meinem Kind diese Erfahrung ersparen. Ein sehr guter Mensch. Mit drei Jahren kam meine Tochter in den Hort. Am Morgen brachte diese Frau sie hin und holte sie auch ab und betreute sie, bis ich heimkam. Frühstück und Abendessen aß meine Tochter bei dieser Frau. Ich mußte vor acht Uhr weg, ein kleines Kind ißt so früh noch nichts. Abends hatte ich um ½6 Uhr aus, aber ich konnte oft nicht pünktlich heimgehen. Ich mußte auch Überstunden machen. Nach der Arbeit trinken. Das Trinken und Singen nach der Arbeit ist in Japan etwas Besonderes, nicht wahr! Man geht aus und singt. Heim kommt man gegen elf Uhr. Das ist "japanischer Stil".
Mein Mann paßte nicht auf das Kind auf. Ja, er war zu bemitleiden, verglichen mit den Vätern heute. Die kümmern sich um die Kindererziehung. Mein Mann ist 51. Er half beim Kochen oder Aufräumen. Aber das Kind konnte ich ihm nicht anvertrauen und fortgehen. Ich hatte das Gefühl, das geht nicht. Diesbezüglich hat sich in Japan viel verändert.
In Japan kommt die Familie an der zweiten Stelle, nach der Arbeit. Bei den Männern. Und auch bei mir. Wer das nicht so hält, kann die Anforderungen der Arbeit nicht meistern.
Ich habe meinen Mann von Freunden vorgestellt bekommen. Ich heiratete mit 24. Ich wollte heiraten. Als ich jung war, war Heirat selbstverständlicher als heute, im allgemeinen Denken, auch für arbeitende Frauen. Ich hatte nicht das Gefühl, ich müsse unbedingt heiraten, es war für mich einfach selbstverständlich. Die jungen Frauen heute sind unabhängiger. Ich war stark und lebte nach meinen eigenen Vorstellungen. Mein Mann ging seinen Weg und ich ging meinen Weg. Gewöhnlich gehen die Frauen den Weg des Mannes.
Gemeinsam mit dem Mann, alles hingeben für den geliebten Mann - vielleicht gibt es das. Mein Mann forderte mich anfangs auf, aufzuhören, weil es sich nicht gehörte, daß man seine Frau arbeiten ließ. Die Frau gehörte ins Haus. Allmählich resignierte er. Vielleicht imponiert das einem Mann auch irgendwie, wenn er mit einer Frau zusammenlebt, die ihren eigenen Weg geht. Er ist nicht die Hauptperson, aber er ist auch nicht allein verantwortlich.
Ich arbeitete natürlich auch wegen des Geldes weiter, weil wir für ein Haus sparen wollten. Jetzt dürfte das anders sein, heute haben die jungen Leute Geld. Wir hatten mit 24 und 25 kein Geld.
Mein Mann hat in seiner Firma einen ähnlichen Status wie ich. Er ist früher als ich vorgerückt. Ich habe eine Arbeit, bei der ich selbst nichts tue, sondern andere Menschen beaufsichtige. Mein Mann ist technischer Ingenieur und macht daher selbst etwas. Er ist Spezialist und macht immer dasselbe. Ich bin Generalist und weiß nie, was ich als nächstes tun werde. Ich beneide Spezialisten.
Ich weiß nicht, ob mein Mann gleich viel verdient. Vielleicht etwas mehr. Altersmäßig ist er mir etwas voraus. Aber ich lebe von meinem Geld und er von seinem, darum weiß ich nicht, wieviel er verdient. Wirtschaftlich sind wir voneinander unabhängig. Aber als die Tochter auf die Universität kam, habe ich ihn angerufen und gesagt, er solle ein wenig dazuzahlen.
Früher haben wir für ein Haus gespart, jetzt gebe ich alles aus. Noch ein paar Jahre und wir müssen zu arbeiten aufhören, mit 58 oder mit 60. Ich glaube, meine Tochter fühlte sich einsam, weil ich nicht zuhause war. Seit sie in die Oberschule geht, sagt sie, daß sie auch arbeiten möchte, aber vorher wollte sie nicht arbeiten, sondern sagte: "Ich heirate und werde eine gewöhnliche Mutter." Es ist interessant, daß sie vor kurzem ihre Meinung geändert hat, ich weiß nicht unter welchem Einfluß. Ich versuche kaum, das Kind zu beeinflussen. Aber sie sieht mein Leben. Wie anstrengend das ist. Manchmal denke ich mir: "Wäre ich doch zu Hause!" Dann wieder scheint es mir doch so besser. Ich habe einmal angefangen zu laufen, und darum kann ich nicht mehr aufhören.
Muße habe ich am Wochenende und in den Sommerferien. Es gibt Urlaub für mich. Seit das Kind in die Oberschule geht, brauche ich nicht mehr zu Hause zu sein und spiele am Wochenende Golf. Es gibt viele "ladies-golfer". Das ist sehr gut für den Körper. Der Streß fällt ab.

Männer und Frauen in der Arbeitswelt

In meiner Abteilung arbeiten zirka 100 Leute. Ich bin für sie verantwortlich, für die Inlandreservierung. Es gibt 80 Frauen und 20 Männer. Die Mitarbeiter sind mich gewöhnt. Aber es ist schon so, daß Männer Frauen über sich nicht mögen. Sie zeigen das aber nicht. Ich habe Probleme zu lösen. Wenn keine auftauchen, habe ich nichts zu tun. Ich habe die Verantwortung. Man kann mir für Fehler meiner Abteilung den Hals abschneiden. Zu diesem Zweck sitze ich hier. Und ich habe alle zu fleißigem Arbeiten zu motivieren, muß mit den Mitarbeitern über die Arbeit reden, sie beraten und beurteilen.
Ob es Unterschiede im Arbeitsstil von Frauen und Männern gibt?
Männer beherrschen sich vielleicht mehr. Aber ich sehe eher individuelle Unterschiede als Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Die Atmosphäre im Büro, die menschlichen Beziehungen, ändern sich je nach dem Vorgesetzten. Mein Vorgänger schuf die Atmosphäre, die er für richtig hielt, ich die meine. Es gibt Klischees bezüglich männlichen und weiblichen Vorgesetzten. Vielleicht sind Frauen wirklich besser in der Kommunikation, aber hauptsächlich hängt das vom Menschen ab.
Ich sage, was ich mir denke, Männer vielleicht weniger. Männer drücken sich nicht aus. Mit mir kennt man sich schneller aus. Reine Frauen-Teams finde ich allerdings auch schlecht.
Ich glaube, daß es für die Ausgewogenheit der Atmosphäre in einer Firma gut ist, wenn auch eine Frau im Management ist. Frauen regen eher an, Männer schaffen an.
Ich bin froh, daß das Gleichbehandlungsgesetz (danjo-koyô-kikai- kintohô) existiert, weil durch seine Existenz rechtlich die gleichen Vorbedingungen für Männer und Frauen festgelegt sind.
Bei uns wurden jetzt unter 35 Männern auch drei Frauen aufgenommen. Das gab es bisher nicht. Sie wurden zusammen aufgenommen, sind zwei Jahre in Ôsaka, dann in Narita, dann im Ausland. Sie werden gleich eingesetzt und im gleichen Zyklus wie die Männer. Ich glaube, das wird arg für sie werden. Wenn sie zum Beispiel heiraten wollen und zwei Monate vorher nach London versetzt werden... Man kann nicht vorhersehen, wie sie sich verhalten werden.
Bisher gingen Frauen und Männer auf einer anderen Route durch die Firma. Hier ist der Punkt, an dem Arbeit und Gesellschaft zusammenhängen: Frauen haben jetzt den gleichen Firmenfahrplan, aber die Bedingungen in der Gesellschaft für Heirat etc. haben sich noch nicht geändert. Frau sein bringt in unserer Gesellschaft noch immer einige Handicaps mit sich, Frauen brauchen Unterstützung. Es ist nicht damit getan, Frauen zu denselben Bedingungen wie die Männer aufzunehmen. Wenn Frauen nicht dafür erzogen worden sind, sind sie zum Scheitern verurteilt. Auf der anderen Seite haben in Japan viele Frauen zu arbeiten begonnen. Die Firmen stellen die Frauen aber nicht fix an. Denn wenn man sie anstellte, würden alle weiterarbeiten wollen. So arbeiten sie stundenweise oder Teilzeit. Mir scheint, daß sich die Arbeitsbedingungen für Frauen generell nicht sehr geändert haben. Es gibt immer noch viele Lohnarbeiterinnen. Darum heißt es skeptisch sein, auch wenn alle "Bravo" riefen, als das Gleichbehandlungsgesetz beschlossen wurde. Es gibt immer mehr Teilzeitarbeiterinnen.
Das Gesetz und was sich wirklich in der Welt abspielt, haben derzeit nicht viel miteinander zu tun. Es müssen auch für die Teilzeitarbeitenden Gesetze gemacht werden. Sonst werden die Frauen weiterhin auf verschiedenem Niveau arbeiten.
Bei uns gibt es ein Jahr Kindererziehungsurlaub, von der Geburt an, und nachher prinzipiell das Recht auf gleiche Arbeit. In diesem Jahr kriegt die Frau nichts bezahlt. Das gibt es nur für Frauen, nicht für Männer. Es gibt auch die Möglichkeit, ein halbes Jahr zu pausieren. Vom Kindererziehungsurlaub wird viel Gebrauch gemacht.
Der Mutterschaftsurlaub beträgt jeweils vor und nach der Geburt zehn Wochen. Zu meiner Zeit waren es sechs Wochen. Das Gesetz spricht von acht Wochen. Währenddessen bekommt man den Gehalt weiterbezahlt.
Das Durchschnittsalter der Frauen, die bei uns arbeiten, ist 35. 40 % sind verheiratet. Die Arbeitsbedingungen für Frauen sind bei uns sehr gut.

Änderungen in der Gesellschaft

Es hat sich schon einiges geändert, aber wir haben noch immer eine "Männergesellschaft". Es sollten Bedingungen geschaffen werden, die es möglich machen, daß Männer und Frauen selbstverständlich, ohne sich ihres Geschlechtes bewußt zu werden, arbeiten können. Aber so weit ist es noch nicht. Es ist für Frauen zum Beispiel noch nicht selbstverständlich, nach fünf Uhr mit Männern zu verkehren. Einmal kam ein Reporter und fragte: ,,Was bereitet Ihnen am meisten Kopfzerbrechen?" "Die Art des Kontaktes, wie man miteinander verkehren soll." Wie kann eine Frau Gäste zu einem Arbeitsessen einladen? Was für ein Kleid soll sie dabei tragen? Ich frage, ob ein Mann vor einem Arbeitsessen seinen Anzug wechselt? Ist die Frau hübsch, wird sie belästigt. Das ist unvermeidlich am Abend.
Bei der Arbeitsteilung in der Familie ändert sich etwas. Viele junge Männer helfen und schauen auf die Kinder. Aber auch das ist noch keine selbstverständliche Sache.
Die Entwicklung muß noch mehr in Richtung Aufgabenteilung gehen. Das wäre auch für die Männer gut. Kindererziehung und Haushalt haben auch ihre schönen Seiten. Wenn Männer darüber nichts wissen, werden sie im Alter hilflos und ,,Sperrmüll" (sôdai gomi), wie es bei uns in Japan oft heißt. Alte Männer braucht man nicht!
Alten Frauen geht es besser. Frauen haben weniger Geld, aber sie sparen mehr. Männer gehen in Automatenhallen pachinko spielen und trinken. Alte Frauen reisen mit Freundinnen. Das ist viel lustiger, als den alten Ehemann mitzunehmen. Darum sind die Männer, wie es derzeit um sie steht, eigentlich zu bemitleiden.
Frauenreisen sind sehr populär. Die JAL wirbt für Frauenreisen, ab drei Teilnehmerinnen ist es billiger!

Im März 1991 erfuhr ich von Sachiko K. Fakten über ihren weiteren Werdegang:
Im März 1989 wurde sie nach Tôkyô zurückversetzt. Seit April 1989 ist sie geschäftsführende Direktorin (torishimariyaku) der Niederlassung des JAL-Plaza-Reisebüros im Yurakuchô, dem Zentrum von Tôkyô. Ihre Tochter ist in Ôsaka geblieben und studiert Anglistik. Frau K. wohnt in Tôkyô wieder mit ihrem Mann zusammen.

Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at