Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

Kaori K., 22, Hamamatsu, 7. August 1988

Die Vorurteile in mir

Kaori K.
Kaori K. ist Werbetexterin. Sie ist zu den O-bon-Feiertagen nach Hamamatsu gekommen, um sich mit Freunden zu treffen und wieder einmal ausführlich mit ihrer ehemaligen Professorin, Yasuko Imai, zu plaudern. Sie ist sehr groß für eine Japanerin und ganz in Schwarz gekleidet. Während wir sprechen, erscheint mir ihr Gesicht immer hübscher. An sich wollte ich Kaori interviewen, weil sie mit ihrem Partner eine Ehe ohne Trauschein führt, was in Japan sehr selten vorkommt. Aber, sie erzählt:

Heirat

Ich habe heuer im März geheiratet, davor haben wir drei Jahre zusammengelebt. Wir sind nämlich übersiedelt und haben uns in diesem Zusammenhang gleich in das Familienregister eintragen lassen.
Mein Mann legt aufs Heiraten keinen Wert, er meint, das sei nur ein Stück Papier. Ich hielt es auch nicht für besonders nötig. Aber ich habe vor, die Stelle zu wechseln. Wenn ich mich bei einer neuen Stelle bewerbe, muß ich einen Lebenslauf schreiben. Wenn ich mit ihm zusammmenlebe, muß ich den Familienstand angeben. Zusammenleben ohne Ehe wird aber in Japan gesellschaftlich nicht anerkannt.

F.: Müssen Sie im Lebenslauf angeben, daß Sie mit jemandem zusammenleben?
Vor der Anstellung gibt es ein Interview. Dabei wird über die bisherige Arbeit gefragt, nach den Gehaltswünschen und ob man eine Familie hat. Natürlich kann ich private Angelegenheiten auch verschweigen. Aber meine Arbeit dauert am Abend immer lange. Es wird zirka ein Uhr bis ich heimkomme. Ich möchte der Firma vermitteln, daß ich einen Partner habe. Nur Zusammenleben wird in so einem Fall aber nicht berücksichtigt. Zusammenleben, weil man einander gern hat und sonst nichts, das ist sozusagen Privatvergnügen. Dieses Stück Papier bedeutet nicht viel für uns, warum sollten wir dann nicht heiraten, wenn es etwas nützen kann!
Am Anfang wollten wir ausprobieren, wie es ist, zusammenzuleben. Erst wenn man mit jemandem zusammenwohnt, weiß man, ob man mit ihm das ganze Leben zusammenbleiben möchte. Wenn man zweimal in der Woche ein Rendezvous hat, kann man unmöglich den ganzen Menschen kennenlernen.
Meine Mutter wollte, daß unser Zusammenleben eine feste Form bekäme. Das hat sie oft gesagt. Anderseits hat aber meine Mutter nicht erwartet, daß ich heirate. Als ich ihr dann erzählte, daß es jemanden gibt, mit dem ich zusammenwohnen möchte, schien mir, als ob es sie halb und halb gefreut hätte. "Daß jemand mit dir zusammenleben will... ",.sagte sie. Seine Mutter hatte auch gedacht, er werde sein Leben lang nicht heiraten, denn er ist Maler und hat kein sicheres Einkommen. So hat auch sie sich gefreut. Alle haben sich gefreut (lacht).
Eine Hochzeitsfeier war uns zu mühsam und zu teuer. Wir gingen nur zusammen zum Standesamt und füllten das Formular aus. Wir haben uns überlegt, ob wir nicht wenigstens ein Foto von uns machen lassen sollen, aber nicht einmal das haben wir dann getan. Verglichen mit dem Alleinleben vermittelt es ein großes Gefühl der Sicherheit, mit jemandem zusammenzuleben.

Lebenslauf

Ich bin in Hamamatsu geboren und habe irgendwie von Anfang an nicht hierher gepaßt. Ich hatte hier auch nicht viele Freundinnen, war fast immer allein und las viele Bücher.
Ich wollte in Tôkyô studieren, fiel aber an allen Universitäten, bei denen ich zur Aufnahmsprüfung antrat, durch. Ich wollte in eine Vorbereitungsschule für die Aufnahmsprüfung an der Uni im darauffolgenden Jahr gehen und es nochmals in Tôkyô versuchen, aber meine Mutter meinte, es wäre billiger, wenn ich in Hamamatsu die zweijährige Kurzuniversität für Mädchen besuchte. Dort wurde ich aufgenommen. Nachher fand ich eine Stelle in einem Werbebüro, aber das gefiel mir nicht. Ich machte einen schriftlichen Kurs für Werbetexter und entschloß mich, nach Tôkyô zu gehen. Ich war damals 22 Jahre alt. Meine Mutter war extrem dagegen. Mein Vater hatte viel Verständnis und wußte, daß die Eltern vor den Kindern sterben und die Kinder selbständig als Erwachsene leben lernen müssen. Er überredete die Mutter, schließlich willigte sie auch ein. In Tôkyô war es sehr schwierig, Arbeit zu finden. Ich wechselte zuerst einige Male die Stelle. Ich ging zu der Privatschule, die ich absolviert hatte. Dort im Büro war eine freundliche Frau. Sie telefonierte mit einem graphischen Büro: "Sie suchen zwar einen Burschen, aber wollen Sie's nicht einmal mit einem Mädchen versuchen!" Man nahm mich, und ich bin noch immer bei dieser Firma.
Als ich mit meinem Mann zusammenzog, habe ich einmal aufgehört zu arbeiten. Ich wollte mit ihm zusammensein und hatte dafür kaum Zeit. Ich kam nur einmal in der Woche am Abend heim, sonst übernachtete ich immer in der Firma. Am Sonntag war ich müde. Ich hörte ein halbes Jahr auf und arbeitete frei. Ich war damals praktisch "Nur-Hausfrau". Als ich von der Firma gefragt wurde, ob ich nicht wieder kommen wolle, sagte ich zu, denn der Haushalt war sehr uninteressant.
Ich arbeite jetzt dasselbe wie vorher, nur bin ich nicht angestellt, sondern arbeite als "Freie". Ich kann mir jetzt die Zeit besser einteilen. Ich komme erst mittags in die Firma und bleibe dort bis elf Uhr. Um ein Uhr nachts komme ich heim. Er ist fast nur zu Hause. Er macht gerade eine Ausstellung. Heuer war er ein Monat weg, zum Malen, sonst ist er zuhause und ist "Hausfrau" (lacht).
Dort, wo wir jetzt wohnen, leben lauter Hausfrauen in der Nachbarschaft. "Bei Ihnen geht die Frau aus dem Haus und der Mann bleibt daheim". Er wurde öfters angeredet. Er kocht und geht einkaufen. Das Aufräumen erledigen wir am Sonntag gemeinsam. Wir haben keine bestimmte Aufgabenteilung. Er kocht gerne. Er ist ein Jahr jünger als ich, 28.

Arbeit

Ich schreibe Werbetexte für Autos, obwohl ich gar nicht autofahren kann. Bei uns arbeiten etwa ein Drittel Frauen. Früher gab es nur Männer. Als ich eintrat, arbeitete eine Frau in der Firma, die war sehr gut. Sie hat mich eingeführt. Mein Chef hält Frauen für sehr motiviert und hat darum in der Zwischenzeit mehrere Frauen angestellt.
Als "Freie" bekomme ich keinen bonus bezahlt und habe keine Versicherung. Ich habe aber eher das Gefühl, auch ablehnen zu können. Für mich ist die geistige Freiheit wichtiger als das Geld. Ich verdiene trotzdem sehr gut, zirka 220 000 Yen im Monat. Von diesem Geld zahle ich Kranken- und Pensionsversicherung, zusammen zirka 10 000 Yen. Das mache ich hauptsächlich, um die Mutter zu beruhigen.

Familie

Ich habe eine jüngere Schwester, sie ist 27 und heiratet demnächst. Sie hat die Oberschule gemacht und ging dann arbeiten. Sie hat ihren Partner über ein miai kennengelernt. Meine Schwester führt ein ganz gewöhnliches Leben, wie alle Mädchen in Hamamatsu. Sie hat nichts gegen eine arrangierte Ehe. Meine Schwester hat gesagt, sie wird sich um die Betreuung meiner Mutter kümmern. Mein Vater ist vor drei Jahren gestorben. Es schaut so aus, als hätte sie die Absicht, mit der Mutter zusammenzuleben. Sie nimmt deshalb einen Ehepartner, der ins Haus kommt.
Im Falle meines Mannes gibt es einen älteren Bruder, der in der Familie nachfolgt. Wir brauchen uns eigentlich um die Eltern nicht zu kümmern.

F.: Haben Sie am japanischen Heiratssystem etwas auszusetzen?
Nein, eigentlich nicht. Zustimmen kann ich auch nicht. Ich kann mir für mich eine arrangierte Ehe nicht vorstellen. Aber die Form der miai-Heirat - ist sie nicht in Ordnung, wenn beide Partner zufrieden sind? Ich habe dagegen nichts einzuwenden, wenn es den Hauptpersonen recht ist. Wenn meine Eltern gegen meine Heirat gewesen wären, hätte mich das zwar traurig gemacht, aber... aber ich hätte den Partner, den ich gern habe, trotzdem geheiratet. Wahrscheinlich... Doch da die Eltern sich sehr freuten, haben wir Glück gehabt.

Kinder

Ich glaube, ich kann keine Kinder kriegen. Ich habe eine Krankheit. Epilepsie. Nach einer Gehirnhautentzündung. Ich habe sie mit Medikamenten im Griff. Ich nehme immer Medikamente. Sehr starke Medikamente. Ich solle besser kein Kind kriegen, wurde mir gesagt. Darum dürfte meine Mutter auch gedacht haben, ich bliebe allein.
Ich wurde mit zwölf Jahren krank. Als wir überlegten, ob wir zusammenleben wollten, sprachen wir auch darüber. Ich sagte, ich könne vielleicht keine Kinder kriegen. Er hat Kinder gern, aber er muß nicht unbedingt ein eigenes Kind haben. Es gibt Kinder, die Eltern brauchen. "Wenn wir ein Kind haben wollen, können wir eines adoptieren", sagte ich zu ihm. Er sagte nur: "Ach so ist das."

Wohnung

Wir wohnen in Chiba, südlich von Tôkyô. Die Wohnung kostet 93 000 Yen, das ist für Chiba außerordentlich teuer, aber in Tôkyô würden wir für diese Wohnung 150 000 Yen zahlen. Sie hat Atelier, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Bad, Toilette, Küche.
Wenn er Arbeit hat, verdient er auch zirka 200 000 Yen. Gemeinsam kann man mit 400 000 Yen gut leben. Die Fahrtzeit ist lange, 1½ Stunden. Aber in Tôkyô ist ein Büroweg bis zu zwei Stunden normal. Ich lese auf dem Weg zur Arbeit.

Männer-Beziehungen

Ich lernte ihn kennen, bald nachdem ich nach Tôkyô kam. Ich konnte gut mit ihm reden. Wir freundeten uns an. Aber ich hatte sofort in der Arbeit sehr viel zu tun und wir sahen uns sehr selten, vielleicht einmal im Monat. Das ging zwei Jahre so. Er fragte, ob wir nicht zusammenziehen wollten, dann könnten wir uns öfters sehen. So zogen wir in eine Wohnung.
Vor ihm hatte ich zwei Freunde. In Hamamatsu hatte ich niemanden. Der erste war ziemlich viel älter, auch ein Maler. Er war ein sehr kreativer Mensch, das zog mich an. Er hatte vorher viele Frauen. Ich wollte, daß er mich allein hat. Wir stritten viel. Ich lebte nicht mit ihm, sondern wir trafen uns nur ein-, zweimal die Woche. Oft rief jemand bei mir an und sagte nichts oder: "Trennen Sie sich bitte." Das war schrecklich. Er war nicht verheiratet, aber ich konnte das gar nicht glauben.
Der zweite war ein Designer, den ich in Zusammenhang mit der Arbeit traf. Auch dieser Mensch war zum Reden sehr angenehm. Mit dem ersten ging ich zirka zehn Monate, mit dem zweiten ein halbes Jahr. Nach einem halben Jahr gab es jedesmal Streitigkeiten. Ich dachte mir: "Ich kann halt mit Männern nicht gut umgehen." Aber bei meinem Mann ist das anders. Wir können miteinander sehr gut reden und ich kann mir nicht vorstellen, daß uns der Gesprächsstoff ausgeht. Viele sagen, daß das Zusammenleben eine Zwecksache sei und daß sich das Zusammenreden aufhört. Aber wir genießen die Zeit, die wir beisammen sind und das ist sehr befriedigend. Wir haben oft andere Meinungen. Er mag zum Beispiel Werbung überhaupt nicht. Ich habe nichts dagegen, etwas Gutes anzupreisen. Er haßt das grundsätzlich. Er meint, ich könnte etwas wirklich Kreatives machen, etwas, daß ich das ganze Leben lang machen möchte. Aber ich wüßte nicht, was. Ich würde auch gerne mit ihm gemeinsam etwas machen, ein Hobby oder so.
Ich habe ein komisches Gefühl, weil ich Werbung für Autos schreibe. Ich esse gern, vielleicht sollte ich das bewerben. Ich frage mich oft, ob ich mich irgendwo selbst belüge.
Auf jeden Fall habe ich zu meinem Chef gesagt, daß ich nach dieser Werbekampagne aufhören möchte. Ich suche über Zeitungsannoncen und Freunde etwas anders.
Bis ich nach Tôkyô kam, hatte ich keinen Liebhaber. Das war ungewöhnlich, glaube ich. Ich war besonders spät dran.In Hamamatsu konnte ich mich mit niemandem richtig anfreunden. Dabei durfte ich tun, was ich wollte. Meine Mutter vertraute mir. Es gab einfach niemanden, mit dem ich auf dieser Ebene verkehren wollte.
Sehnsucht nach Liebe? Als ich ihn fand, dachte ich mir: "Das ist gut". Aber vorher hatte ich nicht viel Interesse an Liebe und solchen Dingen. Eher an Büchern, an Musik. Ich glaube, das hat damit zu tun, daß meine Mutter dachte, ich werde nicht heiraten. Ich glaubte das auch. So entwickelte ich einfach wenig Interesse am Verkehr mit Männern.

Sexualität

Sexualerziehung haben wir in der Mittelschule gehabt. Über den weiblichen Körper, nicht über den männnlichen Körper. Die Mädchen wurden zusammengefaßt und es wurden uns Dias gezeigt. Die Burschen hörten das nicht. So war es in meiner Schule. In der Oberschule erfuhr man darüber überhaupt nichts. Über Empfängnsiverhütung stand etwas im Schulbuch, glaube ich. Aber im Lesestoff der Mutter, zum Beispiel in der Zeitschrift Shufu no tomo (Der Freund der Hausfrau) waren solche Sache genau beschrieben. Ich holte meine Kenntnisse von dort.
Mit den Eltern sprach ich darüber nicht. Mit Erwachsenen habe ich nie darüber gesprochen. Ich glaubte, in Japan sei es üblich, darüber nicht zu reden. Auch unter Freundinnen haben wir damals, als ich in die Schule ging, über diese Themen nicht gesprochen. Keine von uns hatte einen Freund. Wir kannten die Welt noch nicht. Daher sprachen wir darüber nicht. Jetzt hat sich das geändert.
Auch an der Universität hatte keine der Mädchen, mit denen ich verkehrte, einen Freund. Ich dachte mir damals, daß die Massenkommunikationsmittel diesbezüglich übertreiben. Heute glaube ich: Ich war einfach spät dran. Das war vor zehn Jahren.
Wir verwenden Präservative zur Empfängnisverhütung. Das ist in Japan das Übliche. Er sagte zu mir, ich solle das kaufen. Ich sagte, er solle diese Sachen kaufen, es sei mir peinlich. Jetzt macht er das.

F.: Kommen die Händler wirklich mit Kondomen an die Wohnungstür?
Postversand scheint häufig zu sein. Weil die Hausfrauen das ungern kaufen, bestellen sie es per Post, das merken die anderen nicht. Beim Automaten kaufen meistens die Männer.
Die Pille ist auch kein sicheres Mittel, man weiß zu wenig Bescheid über ihre Auswirkungen. Meine Mutter hat mir kürzlich gesagt: "Verhüten ist sicher schwierig. Ihr sollt keine Kinder haben. Wie wäre es mit einer Sterilisation?" Ich sagte: "Warte ein bißchen." Wenn ich wirklich das ganze Leben kein Kind bekommen möchte und das ist die richtige Methode, lasse ich mich sterilisieren. Es scheint, daß sich etliche Frauen diesen Eingriff machen lassen, oder auch Männer. Die Frau muß im Spital bleiben, der Mann kann noch am selben Tag nach Hause gehen. Daher sollte vielleicht er es sich machen lassen, weil es bei ihm einfacher ist. Aber jetzt lassen wir es einmal beim Kondom bewenden. Irgendetwas Natürliches ist mir lieber. Auch wenn die Sicherheit nicht 100%ig ist.

F.: Welche Vorstellung haben Sie von einem guten Partner?
Geld als Voraussetzung ist nicht nötig. Auch die Familie, aus der er kommt, spielt keine Rolle. Wichtig ist, daß ich mit ihm reden kann. Und daß er weiß, was er machen möchte. Vom Äußeren her habe ich schon Vorlieben. Aber mein jetziger Partner ist ganz anders als mein Typ. Ein zu dicker Mann wäre mir vielleicht zuwider. In letzter Zeit werden die Männer immer größer. Er ist eher klein. Ich bin 162 cm groß und wenn ich hohe Absätze trage, sind wir gleich groß.
Im sexuellen Bereich ist mir wichtig, daß mein Partner mich zufriedenstellen kann. Wenn ich jemanden sehr gern habe, bin ich auch sehr zufrieden. Ich kann natürlich auch befriedigt werden, wenn ich innerlich entfernt bin, aber es ist schöner mit einem Partner, den ich lieb habe.
Ganz wichtig ist, daß ein Mann, den ich liebhaben kann, kein salarii-man-Typ sein darf. Er muß über die Gesellschaft und andere Dinge eine eigene Meinung haben. Von solchen Menschen werde ich angezogen. Auf jeden Fall möchte ich niemanden, der vom Büro heimkommt, "ißt, badet und schläft". In Japan gibt es viele Männer, die nach Hause kommen, essen und währenddessen im Fernsehen Baseball anschauen und kein Wort reden. Danach gehen sie ins Bad und dann ins Bett. Das würde mir gar nicht passen. Ich brauche jemand, der sich mir zuwendet.
Wenn ich zuhause bin, liege ich meistens auf dem Sofa. Ich lasse ihn bestimmen, was wir unternehmen. Wir haben einen kleinen Garten, den wir bepflanzen. Oder wir leihen uns Videos aus oder wir gehen in eine Buchhandlung und kaufen Bücher. Ich lese gern, er auch, so kaufen wir einander oft irgendein Buch.

F.: Womit sind Sie zufrieden, womit unzufrieden?
Zufrieden? Wenn ich einen Wunsch äußere, ist er immer damit einverstanden. Er läßt mich das machen, was ich möchte und das ist sehr gut. Er beklagt sich auch nicht, daß er zuhause ist und ich nicht für ihn koche. Das macht mich sehr zufrieden. Ich habe einen sehr guten Partner gefunden. Unzufrieden bin ich in bezug auf meine Arbeit. Ich habe nur die Arbeit im Kopf. Aber, wie er sagt, die Welt besteht nicht nur aus Arbeit, es gibt noch viele andere interessante Dinge.

Die neuen jungen Frauen

Die Frau-Mann-Beziehungen sind für mich nie besonders wichtig gewesen. Daß wir einander gern haben und miteinander reden können, ist mir schon genug.
Aber was mir seit neuestem Probleme macht, sind die jungen Frauen, die jetzt in die Firma kommen.
Sie kokettieren mit ihrem Frau-sein und lassen sich verwöhnen. Die Männer lassen ihnen viel durchgehen, weil sie Frauen sind. Ich war, als ich in die Firma kam, einer Frau zugeteilt. Eine Frau verwöhnt keine andere Frau. Sie war sehr streng. Die Mädchen sagen aber sofort: "Diese Arbeit mag ich nicht!" Sie scheinen sich Illusionen von der Arbeit in der Werbebranche zu machen. In Wirklichkeit ist nichts glänzend und bunt, sondern es ist sehr harte Arbeit. Als ich anfing, hieß es: "Eine Frau muß doppelt soviel arbeiten wie ein Mann, wenn sie anerkannt werden möchte." Ich habe mich bemüht, alles gleich wie die Männer zu machen. Ich war ziemlich auf mich allein gestellt und mußte viel allein herausfinden. Die Mädchen jetzt sind schnippisch und geben sofort auf. Bei mir nützt es natürlich nichts, wenn sie kokettieren. Aber sie meiden mich dann eben, weil ich ihnen unangenehm bin.
Man sagt, daß Frauen mehr Duchhaltefähigkeit haben als Männer, und darum nimmt der Chef Frauen. Ich fürchte, man wird bald davon abkommen und sagen: "Mit den Frauen ist doch nichts los!"
Mir scheint, daß diese jungen Mädchen in unserer Männergesellschaft irgendwie resigniert haben: Eine Frau heiratet ja doch, sie hört irgendwann mit der Arbeit auf und ist ihr weiteres Leben lang Hausfrau.
Es ärgert mich, wenn ich diese jungen "neuen Leute" (shinjin) sehe, die sich nur verwöhnen lassen. Auch bei den Burschen scheint es diese Einstellung zu geben. Aber die wissen, daß sie sich letzten Endes ihr ganzes Leben von ihrer eigenen Arbeit erhalten müssen, und sie werden bald ernsthaft zu arbeiten anfangen.
Die Generation vor mir ist anders. Meine Vorgesetzte ist 33 Jahre alt. Sie weiß sehr viel über eine Menge Dinge, sie ist sehr fleißig und liest am Abend bis zum Einschlafen. Sie strahlt unwahrscheinliche Kraft aus. Eher haben die Frauen, die älter sind als ich, diese "power". Die junge Generation hat keine "power". Sie wollen gar keine "power" haben. Sie wollen hübsche Dinge und verabscheuen Unsauberkeit, Schmutz. Sie verabscheuen alles, was Kraft braucht, was Schweiß fließen läßt.
Ich habe mich auch nach hellen, bunten Dingen gesehnt, aber was ich wirklich möchte, kann ich nur durch Anstrengung erreichen. Es wäre gut, wenn diese jungen Frauen auch den Ehrgeiz hätten, etwas, das sie gerne tun, wirklich zu beherrschen.

Kaori K. schreibt im Jänner 1991:
Das Interview ist schon lange her, sodaß ich gar nicht mehr genau weiß, was ich Ihnen erzählt habe. Habe ich gesagt: ,,Die jungen Frauen sind nichts wert"? Ich glaube auch jetzt noch, daß die jungen Frauen konservativ sind, aber gleichzeitig werde ich rot, wenn ich mir vorstelle, daß ich solche Worte von mir geschrieben sehe. Das wirkt so überheblich. Ich möchte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, als würde ich mir viel besser vorkommen.
Also... 1989 habe ich bei der Firma, bei der ich bis dahin war, zu arbeiten aufgehört. Denn Kataloge mit Traktoren oder Manuale für Vertreter zu machen, dieser Arbeitsinhalt paßte überhaupt nicht zu mir. Bald darauf las ich unter den Stellenangeboten einer Zeitung: "Für ein neues Frauenteam suchen wir Talente!" Das war ein Stellenangebot meiner jetzigen Firma. Als ich es sah, dachte ich mir: "Das ist das Richtige für mich!" Ich bewarb mich und bestand den Aufnahmetest. Ich arbeite auch jetzt noch als Mitglied des Frauenteams. Obwohl von einem "Frauenteam" die Rede war, handelt es sich um ein gemischtes Team aus Männern und Frauen unter der Leitung einer Frau. Wir machen Werbung für Elektrogeräte im Haushalt für eine große Elektrogerätefirma und zwar ausschließlich Inserate für Massenmedien wie Zeitungen und Zeitschriften. Immerhin haben diese Produkte mehr mit mir zu tun als Traktoren und deshalb bin ich froh, hier zu sein, aber es geht mir schon durch den Kopf, daß ich, wo wir schon einmal als Frauenteam bezeichnet werden, auch eine für ein Frauenteam passende Arbeit machen möchte. Nur habe ich so viel zu tun, daß ich darüber nicht weiter nachdenken kann.
In der jetzigen Firma bin ich bezüglich Arbeitszeit und Entlohnung nicht zufrieden. Jeden Tag arbeiten, arbeiten bis spät in die Nacht, manchmal durch bis in die Früh. Es gibt bei uns die Fünf-Tage-Woche, darum habe ich Samstag und Sonntag frei. Aber an den Wochentagen ist es normal, daß ich mit meinem Mann kein Wort wechsle und ihn kaum zu Gesicht bekomme. Und das für 220 000 Yen im Monat... So denke ich, obwohl ich gerne bei dieser Firma arbeite. Ich mag den Inhalt der Arbeit und möchte weiter hier bleiben, aber ich möchte irgendetwas gegen diese Arbeitssituation und Arbeitsbedingungen tun. Darum liegt mir derzeit auch mehr als die Frauenproblematik die Arbeitsproblematik am Herzen. So, wie es jetzt ist, könnte ich kein Kind kriegen. Ich möchte jetzt gar kein Kind, aber wenn ich eines wollte, müßte ich bei dieser Firma aufhören. "Wie Männer sein und auf die weiblichen Möglichkeiten verzichten?" Verhältnisse, in denen das den Menschen als unvermeidlich nahegelegt wird, sind doch erbärmlich.
Mir scheint, daß die Rolle, die der Staat früher mit seinem Slogan "Für ein reiches Land und ein starkes Militär" (fukoku kyôohei) gehabt hat, heute die Industrie übernommen hat, und zwar mit ihrer Ideologie "die Produktionskraft ist das Wichtigste" (seisan-seisaku-ichi-shugi). Nun zum Privatleben. Das geht äußerst gut. Meinen Mann habe ich Jahr für Jahr und je älter wir werden immer lieber. Das ist ein großes Glück. Ich glaube, ich habe Ihnen schon beim Interview gesagt, daß er es ist, dem ich mehr vertraue als den Eltern oder irgendjemandem anderen und daß er es ist, mit dem ich über alles sprechen kann. Ich glaube, das ist für ein Ehepaar doch das größte Glück. Daß er in bezug auf mich ebenso denkt, macht mich sehr froh. Es gibt bei den Japanern die Tendenz, sich zu genieren, den eigenen Mann oder die eigene Frau zu loben, aber ich möchte es laut sagen, wie froh und stolz ich bin.
Im großen und ganzen mache ich, was ich tun möchte. Es gibt nichts Besseres, als das tun zu können, was man tun möchte. Mein Mann drängt mich, es sei noch nicht genug und ich könnte noch mehr aus mir machen (weil er ungeduldig veranlagt ist), aber ich will auf meinem Weg Schritt für Schritt das tun, was ich tun möchte. Weil ich nur einmal lebe.

P.S. Sie haben mich auch gefragt, ob die Vorurteile gegenüber einem Zusammenleben ohne Ehe noch stark sind. Ich glaube schon. Ich glaube, solange das Gesetz über das Familienstandsregister (koseki-hô) nicht verschwindet, werden auch die Vorurteile nicht verschwinden. Haben sich zwei Menschen gern und leben miteinander, so schließen sie einen Vertrag mit dem Staat und schicken Heiratsanzeigen aus. Darüber freut sich die Umgebung.
Das ist zwar komisch, aber ich denke mir, dieser Mechanismus ist nun einmal so, daß das Zusammenleben von der Gesellschaft nur anerkannt wird, wenn man sich in das Familienstandsregister einträgt und Anzeigen ausgeschickt. Dagegen kann man nichts machen. Dabei dreht es sich nicht nur um den guten Ruf, sondern das Familienstandsregister ist auch nötig, wenn ich eine Wohnung oder ein Haus miete. Wenn ich die Firma wechsle, werde ich über die Familienverhältnisse befragt. Seit einiger Zeit gibt es immer mehr Leute, die für Ehepaare getrennte Familiennamen fordern und die Eintragung ins Familienstandsregister ablehnen. Von staatlicher Seite gibt es seit heuer auch die Tendenz, zu überprüfen, ob man getrennte Familiennamen für Ehepaare anerkennen soll oder nicht, aber ich glaube, daß diese Frage nicht das grundlegende Problem trifft.
Meinem Mann ist die Eintragung ins Familienstandsregister verdächtig und er hat eine Abneigung gegen derartige einseitige administrative Maßnahmen des Staates. Darum ist er der Meinung - und zwar sowohl zum Zeitpunkt, als wir uns ins Familienstandsregister eintragen ließen wie auch jetzt, daß er von mir geheiratet worden ist. Wenn er das so sieht, kann ich es auch nicht ändern.
Mir war es unangenehm, daß sonst alles so umständlich gewesen wäre. Und besonders, daß die anderen denken, ich lebe in schlampigen Verhältnissen, wenn ich mit einem Mann ohne Eintragung zusammenwohne... Obwohl das niemand gesagt hat, habe ich doch das Gefühl gehabt, ich müsse jedem einzeln erklären, wie es wirklich ist...Die Eintragung ins Familienregister hat die Mutter beruhigt, das ist doch auch gut....Auf diese Weise habe ich eben den sicheren Weg gewählt. So ist das.
Hm... Ich glaube jetzt, daß in Wirklichkeit die Vorurteile in mir selbst waren. Aber sicher schlagen sich fast alle Japaner mit diesen Vorurteilen herum. Das sage ich nicht, um mich selbst zu rechtfertigen. Das ist wahr. Es sind Vorurteile, die man nicht so leicht los wird. Der Krankheitsherd liegt wahrscheinlich sehr tief...
Kaori K.

Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at