Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

Masako S., 29, 18. August 1988

Was wäre, wenn mein Mann stürbe?

Masako S.
Es war nicht leicht, für die Interviews eine Frau zu finden, die nicht in irgendeiner Form berufstätig ist. Gegen Ende meines Aufenthaltes gelingt es: Masako S., 29 Jahre alt, lebt als "fulltime-Hausfrau" mit ihrem vierjährigen Sohn und ihrem Mann, einem Fernsehjournalisten, in einem Vorort von Ôsaka. Sie holt mich mit dem Auto von der Bahnstation der Vorortelinie ab und bringt mich wieder dorthin zurück - wie ihren Mann ("Kiss and ride" nennt sich diese Service-Leistung für Ehemänner im modernen Alltags-Slang). Hügelige Wohngegend, Villen, vor dem Einfamilienhaus ein typischer Mini-Vorgarten, darin ein kühles, ziemlich großes, mit hellgrünem Spannteppich ausgelegtes Zimmer. Klimaanlage, Stereoanlage, Fernsehen, Video.
Wir machen das Interview in der kleinen Sitzgarnitur, der Eßplatz befindet sich am anderen Ende des Raumes. Nach dem Interview zeigt mir Masako Familienfotos: sie, Ehemann und Kind. Der Gatte ist ein sehr gut aussehender Japaner mit dunkler Brille und etwas längerem Haarschnitt. Man sieht ihm an, daß er kein typischer "sararii-man" ist. Zum Schluß noch ein bißchen "Konversation" zu eisgekühlten Honignudeln. Interview-Partnerin und Interviewerin sind abgespannt.
Als Frau S. mich wieder bei dem Vorstadtbahnhof abgibt, sitzt dort ein kleines Kind, nach seiner Mama schreiend, auf dem Gehsteig. Niemand kümmert sich um das Kind.
Masakos Alltag läuft so ab: Um acht Uhr Aufstehen, Waschen, Frühstück ("den Mann essen lassen", heißt das auf japanisch), Abschied oder "Ride" zum Bahnhof. Die Familie hat zwei Autos. Dann mit dem Kind in den Park. Ab Mittag kommen die Freunde des Kindes auf Besuch. Die Kinder spielen. Abends, "wenn der Wirbel sich legt", aufräumen.

Der Ehemann

Im großen und ganzen vergehen die Tage nach diesem Muster. Ein bis zweimal in der Woche kommt mein Mann gleich nach dem Dienst heim, das ist zirka um 1/2 8 Uhr. Bis vor kurzem war er oft im Ausland, bis zu zwei Monaten. Aber auch wenn er da ist, wird es wegen der Redaktionsarbeit oft spät in der Nacht, bis er heimkommt. Er ruft mich an, ob er kommt und wann ungefähr, weil ich das energisch von ihm verlangt habe (lacht). Manchmal hält er sein Versprechen nicht und kommt erst um zwei oder drei Uhr früh. Bis Mitternacht fährt noch die Bahn und er möchte, daß ich ihn vom Bahnhof abhole. Manchmal fährt auch das Kind mit.
Mein Mann arbeitet im aktuellen Dienst, er macht Reportagen und Dokumentationen.
Das Einkaufen erledige ich auf dem Heimweg vom Bahnhof oder am Nachmittag, mit dem Auto. Es gibt in der Nähe Geschäfte. Am Wochenende arbeitet mein Mann manchmal, manchmal nicht. Wenn er frei hat, bleibt er ganz zu Hause. Er teilt sich die Arbeit selbst ein. Meistens unternehmen wir etwas. Einkaufen, Wandern, Schwimmen, Spielplatz, Vergnügungspark. Jetzt ist das Kind im Mittelpunkt, wir unternehmen etwas, das ihm Spaß macht. Bevor das Kind da war, gingen wir zu zweit fort, einkaufen oder Tennis spielen oder schwimmen, das Meer ist in der Nähe.
Wenn er am Wochenende nicht da ist, das ist trostlos, sehr trostlos (lacht). Alle haben frei, das Kind kann nicht mit den Freunden spielen. Entweder bleibe ich mit dem Kind zu Hause oder ich fahre mit dem Auto zu den Großeltern, lasse es bei ihnen und gehe einkaufen, zum Friseur oder so. Die Wochenenden ohne Papa verbringt er hauptsächlich mit Oma und Opa. Ich treffe mich mit Freundinnen. Es gibt solche, deren Mann auch nicht da ist. Wir gehen ins Museum. Ich verbringe die Zeit dann nach meiner Lust und Laune.
Wenn mein Mann im Ausland ist, habe ich ziemlich viel Zeit für mich. Wenn er da ist, habe ich keine Zeit für mich. Sehr viele Ehemänner meiner Freundinnen passen auf die Kinder auf. Aber mein Mann möchte die freie Zeit mit der Familie verbringen. Unter der Woche habe ich auch keine Zeit für mich, weil das Kind nicht im Kindergarten ist. Natürlich möchte ich gern mehr Zeit für mich haben. Aber ich stehe das jetzt durch, denn die Zeit, in der das Kind klein ist, ist kurz, und ich möchte jetzt soviel wie möglich mit dem Kind beisammen sein und mit dem Kind Kontakt haben.

F.: Gibt es auch Vorteile, wenn Ihr Mann nicht zu Hause ist?
Wenn er da ist, wünsche ich mir, er solle früher nach Hause kommen und mache mir oft Sorgen. Je länger er weg ist, desto mühsamer erscheint mir das Leben mit ihm.
Bis vor kurzem war er sehr viel in Südostasien, Argentinien, Mexiko. Er ruft an, nicht jeden Tag, einmal in der Woche oder alle zehn Tage und schickt Ansichtskarten. Ich weiß nicht genau, wo er ist, das macht mich unruhig. Aber ich habe mich daran gewöhnt. Ich versuche, die Zeit auszunützen und mich zu amüsieren. Wenn er zurück ist, ist er eine Weile gut aufgelegt und hilft alles Mögliche. Sobald er einige Monate zuhause ist, geht es so weit, daß er sich die Unterwäsche von mir reichen läßt.
Er hilft überhaupt nicht bei der Hausarbeit. Er schenkt sich nicht einmal selbst den Tee ein. In diesem Punkt sind wir für unsere Generation ein ziemlich seltenes Paar. Wenn er in der Früh aufsteht, läßt er den Pyjama irgendwo fallen. "Socken", verlangt er. Dann bringe ich die Socken und das Hemd und er zieht sich um. Er sucht sich die Wäsche selbst aus, aber bis zur Medizin und dem Glas Wasser dazu muß ich ihm alles geben. Er ist ein sehr bequemer Mensch, was seine eigenen Sachen anlangt. Wenn ich zornig bin, sage ich ihm das klipp und klar. "Du weißt doch, wo deine Socken sind!" In diesem Fall nimmt er sie selbst, aber es ist ihm sicher sehr zuwider.
Grundsätzlich dürfte er der Meinung sein, daß er an den Arbeitstagen hart arbeitet und es falsch wäre, wenn ich ihn an seinen freien Tagen zwänge, sich um das Kind und den Haushalt zu kümmern. Das hat er nie so deutlich ausgesprochen, aber es scheint so.
Eine ziemlich egoistische Art zu denken...
Er erholt sich, indem er liest, zur Weiterbildung Videos anschaut. Dazwischen legt er mit dem Kind ein Puzzle oder spielt. Er kümmert sich nicht um die Pflege des Kindes, aber er spielt und redet mit ihm. Wenn ich weg bin, tut er auch nichts. Einmal war ich im Spital. Nur einen Tag. Damals ging er mit dem Kind essen und holte telefonisch sofort seine Mutter für den Haushalt.
Er ist nicht dagegen, daß Frauen arbeiten und er ist auch kein Mann, der Frauen ablehnt. Aber er ist verwöhnt, weil ich Hausfrau bin. Weil ich zu Hause bin, erwartet er von mir, daß ich alles mache. Daß auch eine Hausfrau Streß haben kann, glaubt er nicht.
Aber mir ist wichtiger, daß er mit mir über Bücher spricht, die er gelesen hat, als daß er Teller wäscht. Ich denke, daß ein Mann, der auswärts im Beruf Erfolg hat und gute Arbeit leistet, sich nicht allzu sehr um das Befinden seiner Frau kümmern muß.
Er gibt mir Bücher zum Lesen, fragt mich um meine Meinung, und das freut mich. Wir sprechen oft über solche Dinge, auch über Politik, über die internationale Lage. Ich glaube, daß diese Art der Konversation auch sehr wichtig ist, wenn das Kind größer wird. Bei der Hausarbeit ist er sehr unkooperativ, aber in bezug auf viele andere Punkte gibt es viel Kommunikation. Er erzählt mir auch viel von seiner Arbeit und fragt mich nach meiner Meinung zu seinen Sendungen.

F.: Wie haben Sie Ihren Mann kennengelernt?
Ich habe während des Studiums als Art Fernsehansagerin gearbeitet. Dort habe ich ihn kennengelernt und nach drei Jahren geheiratet. Darum war ich eineinhalb Jahre gleichzeitig Hausfrau und Studentin. Nach dem Abschluß des Studiums, bis das Kind kam, habe ich in Kobe eine kleine Zeitschrift herausgegeben und war also damals nicht nur "Profi-Hausfrau". Ich habe an einer vierjährigen Frauenuniversität Alte Geschichte studiert.
Warum ich vor dem Abschluß des Studiums geheiratet habe... Ich war sehr verliebt, er hat mir sehr gut gefallen und ich dachte, wenn ich mit diesem Menschen zusammenlebe, wird mein Horizont viel weiter. Und außerdem, an japanischen Universitäten ist das Studium nicht so anstrengend, ich hatte das Selbstvertrauen, daß ich auch verheiratet fertig studieren könnte. Was meine Eltern angeht: Sie wußten, daß ich mich schwer von etwas abbringen lasse, das ich mir in den Kopf gesetzt habe. Er ist auch kein Mensch, gegen den etwas einzuwenden ist, das Leben ist abgesichert. Vielleicht waren sie nicht begeistert, aber sie zeigten keinen deutlichen Widerstand, und so heiratete ich.
Konkret war es so, daß er direkt zu mir sagte : "Ich möchte dich heiraten". Ich glaube, ich habe sofort ,,Ja" gesagt. Das war ein halbes Jahr, nachdem wir uns kennengelernt hatten.
Weil ich einwendete, daß ich mein Studium auf keinen Fall abbrechen wolle, sagte er, er werde die Universitätsgebühren übernehmen. Aber die zahlten dann meine Eltern weiter.

Liebes- und arrangierte Ehen

F.: Sind Liebesehen in Ihrer Umgebung häufig?
Liebesehen und arrangierte Ehen sind in meiner Umgebung halb-halb verteilt. Es gibt arrangierte Ehen, die hervorragend gehen. So wie ich als Studentin zu heiraten, ist sehr selten. Mit 22 Jahren heiraten, ist früh. Meine Schwester zum Beispiel hat an derselben Universität studiert wie ich und mit 26 über ein miai geheiratet.
Sie hat nach der Universität als Sekretärin eines Professors an der medizinischen Fakultät der Ôsaka-Universität gearbeitet. Dann wechselte sie über in ein Dolmetsch-Büro. Soviel ich weiß, hat sie fünf oder sechs miai gemacht, also mögliche Heiratspartner getroffen, und immer abgelehnt. Es gibt solche Treffen, bei denen die Eltern mitgehen, aber das ist heute relativ selten. Meistens kommt nur die Hauptpersonen mit den Müttern, oder nur die Hauptperson und der Heiratskandidat. Dann ist noch die Person dabei, die den Kontakt vermittelt hat (nakôdo), man trinkt zusammen Kaffee und das nächste Mal treffen sich nur mehr die zwei Heiratswilligen.
Die Vermittlung läuft über den Arbeitsplatz oder Verwandte oder Nachbarn. Zum Beispiel sagen Eltern: ,,Wir haben eine Tochter, die jetzt im Alter ist, wir wären sehr dankbar, wenn Sie uns behilflich wären...." (toshigoro no musume hitori iru node yoroshiku tanomu...)
Bei meiner Schwester war es etwas anders. Der Wunsch ging nicht von ihr oder unseren Eltern aus, sondern kam von der anderen Seite: "Es gibt da einen jungen Mann, der ist so und so....Hat Ihr Fräulein Tochter nicht vielleicht Lust, ihn zu treffen? (Kô iu dansei ga irassharu dakedo, o-taku no ojôsan o-miai o nasaru ki arimasen ka).
Dann wird ein Foto übermittelt und Material mit Daten über ihn, die Familie, die Schullaufbahn und die Firma, in der er arbeitet. Der Gehalt ist nicht angegeben, aber den kann man sich ungefähr vorstellen, wenn man weiß, bei welcher Firma er arbeitet. Die Hauptperson sagt dann entweder ,Ja" und willigt ein, ihn zu treffen. Oder sie lehnt ab und das Foto wird zurückgegeben. Im Falle meiner Schwester gab es nur wegen des Fotos Anfragen, glaube ich. Es handelte sich um den jüngeren Bruder eines Bekannten ihres Chefs von der Universität Ôsaka. Das Gespräch wurde von der älteren Schwester des späteren Mannes in Gang gebracht. Die beiden trafen einander und waren sich sympathisch. Meine Eltern waren sehr für die Heirat. Weniger, weil meine Schwester schon das Heiratsalter erreicht hatte, sondern, weil die Mutter des Mannes ein sehr angenehmer Mensch ist, weil es in der Familie dort keine unguten Typen gibt und man erwarten konnte, daß die Schwester in dieser Familie in Frieden leben kann. Und so wurde die Heirat beschlossen. Und zwar sofort nach dem ersten Treffen.
Es gibt kaum Fälle, in denen nicht innerhalb eines oder höchstens von zwei Monaten nach dem ersten Treffen die Antwort ergeht. Man trifft einander drei-, viermal und entscheidet sich. Die Umstände kennt man ja schon vorher, es dreht sich nur mehr um die Hauptperson.
Vom miai bis zur Hochzeit verging bei meiner Schwester ein halbes Jahr.
Wenn alle einverstanden sind, folgt das Verlobungsgeschenk. In unserem Fall überbrachte das die ältere Schwester des Verlobten (fiancee). Er selbst war bei der Übergabe des Verlobungsgeschenkes nicht dabei.

F.: Die Partner fragen einander nicht direkt, ob sie Heirat wünschen?
Nein, das wird indirekt gefragt. Es gibt sicher auch Männer, die direkt fragen, aber bei meiner jüngeren Schwester war es so, daß die Eltern des Verlobten die Person fragten, die als Heiratsvermittler auftrat, und diese fragte die Eltern der Schwester, ob die Schwester den jungen Mann heiraten wolle und übermittelten das zurück. So geht das meistens vor sich.
Denn bei einer Heirat sind nie nur die Hauptpersonen mitbetroffen, sondern auch die Eltern und die Ehepaare, die die Heirat vermitteln. Wenn er sie direkt fragt und abgelehnt wird, so ist die Würde von allen zerstört. Es ist ja so, daß man kaum mehr ablehnen kann, wenn man jemanden zwei-, dreimal getroffen hat. Darum erfolgt die Entscheidung so schnell, meistens nach dem ersten Treffen. Nach zwei-, dreimal hat man den Partner meistens schon gern.

F.: Aber man kennt doch jemanden nicht, wenn man ihn drei- oder viermal getroffen hat!
Es gibt natürlich die Gefahr, daß nach der Heirat Eigenschaften zutage kommen, von denen man nichts gewußt hat. Aber Tatsache ist, daß bei arrangierten Ehen die Scheidungsrate niedriger ist als bei Liebesehen.
Anders als früher haben die Frauen meistens vor den Ehepartnern eine Menge Freunde. Sie haben also die Fähigkeit entwickelt, einen Mann als Typ gewissermaßen einzuordnen. Es scheint, daß der erste Eindruck meistens der richtige ist. Natürlich kennt man die Person nicht bis in die Einzelheiten, bevor man heiratet. Aber man kann ziemlich deutlich erfassen: Dieser Mensch liegt mir oder er liegt mir nicht. Ich habe keine Freundin, der dabei eine grobe Fehleinschätzung unterlaufen wäre. Viele meiner Freundinnen haben ein sehr gutes miai gemacht.
Meine Schwester hat vorletztes Jahr geheiratet, im Juni. Sie hat ein Kind, das bald ein Jahr alt wird.
Meine Schwester hat auf Verlangen ihres Mannes mit der Arbeit aufgehört. Er hat vor der Ehe ziemlich deutlich gesagt, daß er will, daß sie in die Familie eintritt (katei ni hairu). Sie wohnen nicht bei den Eltern.

F.: Wie hat Ihr "Liebesleben" vor der Ehe ausgeschaut?
Ich war 20, als ich meinen Mann traf. Bis dorthin hatte ich wohl schon mit Burschen gesprochen, aber noch kein date gehabt.
Normal war das nicht, sondern eher eine Ausnahme. Gewöhnlich gibt es Kontakt mit Burschen ab der zweiten oder dritten Klasse Oberschule. Es ist üblich, daß die Eltern den Lebenswandel der Töchter, die studieren, mißbilligen. Aber ich habe nach dem Eintritt in die Universität zu arbeiten begonnen, wenig Zeit gehabt und bald meinen Mann kennengelernt. Ich habe also wenig Erfahrung in der Liebe. Ich glaube, meine Schwester hat auch nie eine Liebeserfahrung gemacht. Darüber reden wir miteinander, aber nicht mit der Mutter.
In Japan hat sich diesbezüglich sehr viel verändert. Viele meiner Freundinnen haben Liebeserfahrungen. Es dürfte auch vom Menschentyp abhängen. Anderseits, so häufig, wie es behauptet wird, ist es vielleicht auch wieder nicht.
Wir wurden ziemlich streng erzogen, altmodisch, vor der Ehe sollten wir ein untadeliges Leben führen.

Die Arbeit

Mein Mann hatte nichts dagegen, daß ich arbeite. Er meint eher, daß es den Horizont verengt, wenn eine Frau sich allzu früh nur der Familie widmet. Aber "full-time" sollte ich nicht arbeiten. Er sagt, daß sei für mich zu anstrengend. Ich glaube, es wäre ihm unangenehm gewesen, wenn er nach Hause gekommen wäre und ich wäre noch in der Arbeit gewesen.
Ich verdiente 100 000 Yen. Das war nicht viel, aber mir war wichtiger, meine Zeit frei einteilen zu können als viel Geld. Mein Mann verdient verschieden, je nach Überstunden oder ob er Auslandsreisen macht. Das Geld kommt alles auf die Bank. Davon zahle ich, was nötig ist und gebe ihm sein monatliches Taschengeld, 70 000 Yen. Der Rest wird gespart. Die Geldverwaltung gehört zu meinen Aufgaben.

F.: Was umfaßt die Arbeit als Profi-Hausfrau noch?
Erstens die Verwaltung der Geldangelegenheiten, zweitens die Wahrung des Familienlebens (katei o mamoru), drittens die Kindererziehung. Natürlich gehören alle einfachen Arbeiten wie Wäschewaschen und Aufräumen dazu. Es gibt jetzt wenig Frauen, die so wie ich nur zu Hause sind. Die meisten, die ein Kind haben, geben es in den Hort und arbeiten, sobald das Kind im Volkschulalter ist.

F.: Wollen Sie wieder außer Haus arbeiten?
Ich habe aufgehört, als das Kind kam - nicht, weil man es mir vom Arbeitsplatz her nahegelegt hätte, sondern weil ich das selbst wollte. Wenn ich ein Kind bekomme, möchte ich es nicht Fremden anvertrauen. Ich müßte von meinem Gehalt ungefähr die Hälfte für den Hort zahlen. Ganz ohne finanziellen Nutzen zu arbeiten, hat keinen Sinn. Wenn es möglich ist, möchte ich in Zukunft wieder etwas Ähnliches arbeiten wie in der Vergangenheit. Etwas Kleines, das mir Freude macht, etwas herausgeben oder schreiben. Ich habe keine konkreten Pläne, aber ich pflege Kontakte mit den Leuten, mit denen ich früher arbeitete.
Manchmal schreibe ich auch Buchkritiken oder so. Sobald das Kind in die Volkschule geht, möchte ich wieder in die Arbeit einsteigen. Ich glaube, mein Mann wird einverstanden sein, in Hinblick auf die Zeit, in der das Kind erwachsen ist.

Kinder

F.: Wünschen Sie sich noch mehr Kinder?
(Zögert). Es hat lange gebraucht, bis ich schwanger wurde. Ein Kind ist auch genug. Er wünschte sich nicht unbedingt ein Kind, aber er hat auch nichts dagegen. Wir reden wenig über diese Sachen. Wenn ich noch eines bekäme, würde er sich sicher sehr freuen. Aber ich weiß nicht, ob ich noch eines kriegen kann.
Ein Kind zu erziehen, wird auch immer schwieriger. Das Kind in eine gute Universität zu bringen... Und die Umwelt, Kriege, wenn man daran denkt... Ich habe Kinder gern, aber ich habe auch Zweifel, ob man überhaupt welche kriegen soll.
Wenn ich wieder schwanger wäre, würde ich das Kind zur Welt bringen, aber ich brauche nicht unbedingt noch eines.
Sexuelle Gespräche mit meinem Mann? Wir sprechen natürlich darüber, ob wir noch ein Kind wollen oder nicht... Ja, und ob er will oder nicht. Ich sage ihm auch, daß ich müde bin, wenn er will, ich lehne auch ab. Ich glaube schon, daß es diesbezüglich bei uns Kommunikation gibt. (Schweigen).

F.: Wie oft verkehren Sie sexuell?
Mein Mann ist oft weg. Ich glaube, wir machen es selten. Einmal im Monat... Hauptsächlich, weil er spät nach Hause kommt. Während ich schwanger war, haben wir neun Monate überhaupt nicht sexuell verkehrt. Nach der Heirat bis zur Schwangerschaft haben wir es auch nicht oft gemacht. Ich habe mir oft überlegt, ob das reicht. Es ist nicht so, daß ich wollte und er nicht. Ich selbst habe selten das Bedürfnis nach Sex. Es gibt eben Leute, die es öfter machen oder weniger oft. Ich glaube nicht, daß er mich betrügt, wenn er zwei Monate weg ist. Es ist nicht so, daß es nicht wichtig ist... Wir schlafen zu dritt, im tatami-Zimmer. Das kommt in Japan ziemlich oft vor. Wenn wir Sex machen, gehen wir in ein anderes Zimmer, um das Kind nicht zu erschrecken. In das westliche Schlafzimmer.
Das Kind freut sich, daß es bei uns ist, wenn es in der Nacht aufwacht oder schwitzt. Es ist einfacher, mit dem Kind zu schlafen. Ich habe auch bei meinen Eltern geschlafen, meine Schwester auch. Bis zum Kindergartenalter, aber ich bin auch noch in der Volkschulzeit manchmal zu meinen Eltern geschlüpft.
Wenn das Kind in den Kindergarten geht, soll es ein eigenes Bett kriegen. Wenn es zwei Jahre in den Kindergarten geht, soll es ein eigenes Zimmer kriegen. Damit er selbständig wird.

Beziehungen

F.: Was ist für Sie wichtig in der Beziehung zum Ehemann?
Sie meinen, warum ich weiter mit ihm verheiratet bleibe? Weil wir die gleichen Interessen haben. Weil wir beide dasselbe gern tun. Wenn er nicht genug verdiente, müßte ich irgendetwas arbeiten. Ich bin sehr dankbar für die wirtschaftliche Sicherheit, die er mir gibt. Aber noch wichtiger ist der gleiche Trend der Interessen. Er hat viele Eigenschaften, die ich bewundern kann. Kommunikation ist auf vielen Gebieten möglich. Wirtschaftlich besteht zwar Unausgeglichenheit zwischen uns, aber nicht in der Art zu denken.
Um diese wirtschaftliche "Unbalance" auszugleichen, kümmere ich mich um die alltäglichen Dinge. Sodaß unsere Beziehung aus Geben und Nehmen besteht.

F.: Was bedeutet "Ehe" für Sie?
Selbst zu wachsen? Mit jemanden anderen zu leben, ist ziemlich schwierig....Wenn man mit den Eltern lebt, bedeutet das amae (sich verwöhnen, lieben lassen). Aber wenn man mit einem anderen Menschen (tanin) lebt, ist man gezwungen, den eigenen Charakter zu korrigieren.
F.: Welche sind Ihre wichtigsten Beziehungen?
Mein Mann und ich, das Kind und ich, mein Mann und das Kind. Jetzt sind diese Beziehungen auf dem gleichen Niveau. In Zukunft, wenn das Kind selbständig wird, werden sicher die Ehebeziehungen immer wichtiger werden.
F.: Finden sich japanische Frauen von vorneherein damit ab, daß die Ehemänner untreu sind?
Das glaube ich auf keinen Fall. Sicher nehmen die Frauen das nicht als selbstverständlich hin (akirameru). Ich will das nicht erlauben. Ich will nicht denken: "Er ist halt ein Mann , deshalb kann ich dagegen nichts machen." Ich fürchte mich vor Verletzungen meines Stolzes und meiner Persönlichkeit.
Wenn das passierte, wenn er mir dann sagte, er habe mich über, dann würde ich mich scheiden lassen. Da könnte man nichts machen. Es gibt die japanische Redensart: "Kinder sind eine Eisenklammer". Weil Kinder da sind, trennt man sich nicht vom Ehepartner. "Ich möchte zwar mit diesem Menschen nicht mehr leben, aber ich mache weiter wegen der Kinder". Diese Art zu denken ist traditionell sehr stark, aber so will ich nicht leben. Wenn er mich nicht mehr mag, dann würde ich deutlich die Scheidung verlangen. Wenn es nur eine Affäre (asobi) wäre, weiß ich nicht, ob ich mich scheiden lassen würde. Wenn er sich nur mit anderen Frauen sexuell vergnügt - das hieße, daß er diese Frauen für dumm verkauft. Das wäre ein schwerer Konflikt.
F.: Es ist viel die Rede von der Untreue und der Unmoral der Frauen von heute!
Ja, das höre ich auch oft. In meiner Umgebung kenne ich keinen solchen Fall. Das Thema ist momentan modern. Ich lebe in der Familie und habe wenig Ahnung. Es ist ein unangenehmes Thema, aber im Kindergarten, in den mein Kind ab dem nächsten Jahr sein wird, und wo er jetzt zweimal in der Woche ist, ist ein junger Lehrer. Es gibt Mütter, die mit ihm so flirten, daß es mir peinlich wird. Vielleicht kümmern sich ihre Männer nicht um sie oder gibt es in ihrer Ehe keine gute Kommunikation. Aber dabei denke ich schon an die vielzitierte Unmoral (furin).
Ich selbst habe überhaupt keine solchen Absichten und daher macht sich mein Mann deshalb auch überhaupt keine Sorgen.

F.: Mit wem sind vertraut, außer mit Ihrem Mann?
Mit meinen Freundinnen, das sind Mitschülerinnen aus der Oberschule. Und mit der Familie. Männliche Freunde habe ich nicht. Bevor ich heiratete, hatte ich einen Freund, der oft kam. Aber der hat jetzt auch eine Familie und der Verkehr beschränkt sich auf Neujahrswünsche. In der Nachbarschaft gibt es ein Ehepaar, mit dem tausche ich nicht die Sorgen aus, aber wir gehen zusammen essen oder machen Grill-Parties.
Mit meiner Mutter kann ich über vieles sprechen. Nur über Eheprobleme rede ich mit meinen Eltern kaum. Über wirklich ernste Ehestreite sage ich nichts zu meiner Mutter. Für meine Mutter ist mein Mann ein Fremder. Ich versöhne mich wieder, aber bei der Mutter bleibt der Groll gegen den Mann zurück, der ihre liebe Tochter schlecht behandelt.
Außerdem muß ich vielleicht meine Mutter zu mir nehmen, wenn sie allein und gebrechlich wird, denn es sind nur ich und meine Schwester da. Dann müssen wir in einem Haus leben, die Mutter, mein Mann und ich. Für diesen Fall will ich eine gute Atmosphäre schaffen.
Ich streite mit meinem Mann über Geld oder wenn er spät heimkommt. Das sind Themen für große Streite. "Du tust nur, was du willst". ,,Du tust den ganzen Tag nichts als deinen Hobbies nachzugehen. Darum mußt du meine Eigenarten aushalten..." Darüber sage ich nichts zur Mutter.
Solange sie gesund ist, wird sie sicher allein leben. Aber wenn einer von den Eltern allein zurückbliebe und kränklich würde... in ein Altersheim geben ist allgemein noch nicht so üblich. Und ich selbst will das auch nicht. Sie sind jetzt noch jung.
Aber ich denke schon über diese zukünftigen Dinge nach. Die Eltern meines Mannes leben in Nagoya. Der Vater ist über 80. Die Mutter 73. Der ältere Bruder meines Mannes lebt auch in Nagoya. Wahrscheinlich wird der Vater früher sterben. Wenn die Mutter dann sagt, sie will bei uns leben... Wenn ich die Wahrheit sage, wäre mir das nicht recht, ich wäre nicht sehr froh. Aber wenn mein Mann es will, würde ich mir denken: "Ich kann nichts machen."
Um mit den Eltern zusammmenzuleben, ob mit denen meines Mannes oder mit meinen, müßte man das Haus etwas ausbauen. Wir müßten uns einen privaten Raum schaffen.
Eigentlich müßte es so sein, daß ich die eigenen Eltern gerne pflege, aber ich habe eher das Gefühl, ich kann nichts dagegen machen. Ich möchte mich schon um sie kümmern, aber das heißt nicht, daß ich sie drängen werde, mit uns zusammenzuleben.
Es hängt davon ab, ob meine Eltern mit mir oder mit meiner Schwester leben wollen. Und bei den Eltern meines Mannes ist es dasselbe. Vielleicht bleiben wir auch bis zum Tod allein.

F.: Wie groß ist Ihr Haus?
Jetzt haben wir im Erdgeschoß drei Räume, Wohnzimmer, Küche, Bad und im ersten Stock ein japanisches Zimmer, ein westliches Schlafzimmer und einen Abstellraum. Es ist ein großes Haus, etwas zu groß für unser Alter. Als wir heirateten, wohnten wir in einem Apartement, es war 76 qm groß und hatte drei Zimmer. Bevor das Kind geboren wurde, sind wir in dieses Haus übersiedelt.
Das Haus ist auf meinen Mann geschrieben, aber in Zukunft soll es auch auf meinen Namen laufen. Das möchte ich sicherstellen.

Die Zukunft

F.: Denken Sie viel an Ihre Zukunft?
Mein größtes Problem ist nicht etwa, ob mir mein Mann untreu ist oder nicht, sondern was wäre, wenn mein Mann erkrankte oder stürbe. Wie würde mein Leben dann ausschauen? Das wäre das Schlimmste. Wovon würde ich leben? Solange mein Leben so weitergeht, wie jetzt, kann ich machen, was mir Spaß macht.
Aber wenn meinem Mann etwas passiert, müßte ich irgendwo in einer Firma arbeiten. Das ist momentan meine größte Sorge. Das bedrückt mich. Deshalb muß ich irgendeine Qualifikation erwerben. Ich denke die ganze Zeit daran.
Alle, die in einer ähnlichen Lage sind wie ich, denken darüber nach. Wie sie irgendeine Fähigkeit erwerben könnten, die zu ihnen paßt und von der Umwelt geschätzt wird. Ich weiß noch nicht, welche Fähigkeit ich erwerben könnte und darum tue ich noch nichts Konkretes dazu. Die Herausgeberarbeit war interessant, aber ich glaube, ich brauche noch eine klarere Qualifikation. Ich spreche darüber oft mit meinen Freundinnen.
Offensichtlich ist es das größte Bedürfnis, selbstverdientes Geld nach eigenem Gutdünken auszugeben. Und wenn man nach der Erziehung der Kinder nicht irgendeinen Lebensinhalt (ikigai) hat, ist das wahrscheinlich sehr schlimm. Daher überlegen wir dieses Problem mit ziemlicher Nervosität. Ich würde gerne schreiben, einen Roman oder ein Drama. Früher habe ich auch Artikel geschrieben, das mache ich gern. Mein Mann meint aber, es sei nicht sehr vielversprechend, was ich schreibe. Ich solle mir ein realistischeres Ziel suchen. Darum ist das Schreiben für mich nur ein "Traum".

Im Mai 1991 erhielt ich von Masako S. eine Antwort auf meine Anfrage vom Jahreswechsel. Ihr erster Brief war verloren gegangen. Sie schreibt:
Was ich Ihnen in diesem Brief geschrieben habe, weiß ich nicht mehr genau. In meinem alltäglichen Leben hat sich nichts verändert, aber jetzt, wo das Kind in die Schule muß, habe ich wohl über meine Zweifel und die Mutlosigkeit angesichts des überhitzten Prüfungssystems geschrieben, und über die Sorgen, wenn ich sehe, wie mein Mann in den vergangenen zwei, drei Jahren körperlich immer erschöpfter und psychisch immer gestreßter geworden ist. Wenn ich das anders ausdrücke, so sind diese zwei Sachen zu meinem eigenen Streß geworden, und es beunruhigt mich, warum die Erziehung des Kindes und die Beziehung zwischen meinem Mann und mir ( ko-sodate ya fûfu-kankei) nicht so gut laufen wie ich möchte. Sicher habe ich in meiner ersten Antwort im Jänner darüber ziemlich gejammert, weil mich diese Dinge damals mehr belastet haben als jetzt.
Danach ist mein Sohn nämlich bei der Aufnahmsprüfung in die staatliche Volkschule durchgefallen und das hat das Konkurrenzgefühl (kyôsô-shin), von dem mein Herz gefangen war, geändert und mich davon befreit. Ich habe erkannt, daß ich mit dem Kind in dem Bewußtsein in Kontakt getreten bin: Es kann nicht sein, daß mein eigenes Kind (jibun no ko) genauso wie die anderen Kinder ist. Es kann nicht sein, daß es nicht intelligent oder nicht vernünftig ist oder nicht gut Klavier spielen kann (wenn ich ehrlich bin, ist dieses Bewußtsein auch jetzt nicht ganz verschwunden). Seit ich versuche, dieses Gefühl zu verändern, ist mir leichter zumute. Auch das Kind ist wieder lustig und besucht jetzt eine Volksschule, wo es schon fleißig Freunde macht.
Mein Mann hat während des Golfkrieges wie ein Kutschenpferd gearbeitet und obwohl er ein Monat lang täglich bis tief in die Nacht beschäftigt war, war er nicht so erschöpft wie sonst immer. Es ist unbesonnen, so etwas zu sagen, aber diese Arbeit scheint ihn herausgefordert und begeistert zu haben.
Ich selbst lese jede Woche in der Gemeindehalle Kindern Bilderbücher vor. Mit einem eigenen Einkommen hat das überhaupt nichts zu tun, aber ich hoffe, daß ich wenigstens ein bißchen etwas Nützliches für die Gesellschaft leiste.
Wie Sie sehen, habe ich mir zwar über verschiedene Dinge Sorgen gemacht, aber im großen und ganzen geht es mir gut.
Das Schulwesen ist in Japan äußerst hierarchisch gegliedert und zwar durchgängig von der Volkschule bis zur Universität. An erster Stelle stehen staatliche Schulen. In weiterer Folge reihen sich andere öffentliche Schulen und private Schulen - diese wieder nach Ansehen von oben nach unten geordnet- aneinander. Der Rang der Schulen, die man besucht hat, entscheidet bisher bei Männern über die Berufslaufbahn, bei Frauen etwas differenzierter über Berufs- und Heiratschancen. Vor allen Dingen für Männer scheint es im öffentlichen Bewußtsein derzeit noch aus diesem System kein Entfliehen zu geben. Junge Leute beginnen sich aber bereits zurückzuziehen und sich den rigiden Anforderungen dieses die Individualpersönlichkeit negierenden Systems zu verweigern - siehe das Schlagwort shinjinrui. Nicht nur für Masako S., auch für andere intellektuelle Hausfrauen in meinem Bekanntenkreis ist die "Schulhölle" der Kinder das Lebensproblem Nummer eins.

Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at