Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

Tomoko O., 26, und ihre Mutter, Masae T., 52, Kyôto, 9. August 1988

Vor Unsicherheit habe ich wenig Angst.

Tomoko O., 26, und ihre Mutter, Masae T., 52, Kyôto
Eigentlich sollten Großmutter, Mutter und Tochter, 3 Generationen von Kyôto-Frauen, zum Interview erscheinen. Nur Mutter und Tochter kommen. Die Mutter spricht den typischen schleifenden weichen Kyôto-Akzent, ist sehr lebhaft und geht ganz aus sich heraus. Sie fühlt sich offensichtlich in der Interview-Situation wohl. Die Tochter ist sehr hübsch und viel zurückhaltender als die Mutter.

Mutter:
Ich bin 1936 in Kyoto geboren. Während des Krieges1) war ich kurze Zeit in Ôsaka im Kindergarten. Sonst habe ich immer in Kyôto gelebt. Ich habe die Mittelschule und die Oberschule besucht, und keine Ausbildung darüber hinaus. Ich war Angestellte solange, bis dieses Kind (die anwesende Tochter) acht Monate alt war. Dann habe ich wegen ihr zu arbeiten aufgehört und bin seither durchwegs zu Hause.
Mein Mann ist nicht angestellt, sondern betreibt einen Kuchen-Großhandel. Ich führe die Buchhaltung und kümmere mich um die Bestellungen. Ich bin nicht nur Hausfrau, sondern helfe bei der Arbeit.
Vor der Heirat arbeitete ich in Nishijin2), wo man Seide, Brokat etc. webt, fünf, sechs Jahre in einem Büro. Ich habe mit 24 Jahren geheiratet. Meine jüngere Tochter ist noch zu Hause. Sie ist 23 und arbeitet. Studiert hat sie an der Musikuniversität von Ôsaka. Am Abend gibt sie kleinen Kindern Klavierunterricht und setzt ihr Gesang- und Klavierstudium fort. Am Tag arbeitet sie in einem Büro, wo sie mit Musik gar nichts zu tun hat. Darunter hat sie anfangs ziemlich gelitten. Aber zum Musikprofi hatte sie nicht genug Talent und mit dem Musikunterricht kann sie auch weitermachen, wenn sie verheiratet ist. Sie wohnt bei uns und hat noch überhaupt keine Heiratspläne. Sie genießt noch ihr Leben (asonde imasu).
Tochter:
Ich bin 1966 geboren und aus Kyôto noch nicht hinausgekommen. Nach der Oberschule fand ich eine Anstellung in einer Buchhandlung. Aber ich habe dort aufgehört und arbeite jetzt als Zahnarzthilfe. Außerdem mache ich im Fernstudium Soziologie. Voriges Jahr im November habe ich geheiratet.
Ich arbeite voll, vom Morgen bis zum Abend. Kinder möchte ich nicht, bevor ich nicht die Universität abgeschlossen habe.
Mein Mann ist Assistent an der Technischen Fakultät der Universität von Kyôto.

F.: Wie schaut Ihr Alltag aus?
Mutter:
Ich schäme mich fast, aber es wird abends immer sehr spät und darum wird es auch in der Früh spät. Das jüngere Kind geht nach neun Uhr aus dem Haus, danach richten wir die Zeit ein. Mein Mann hat ja, anders als ein Angestellter, keine Zeitbegrenzungen. Wir stehen erst um zirka acht Uhr auf. Wir wohnen am Rand von Nishijin. Dort arbeiten viele Weber, schon um sieben arbeiten alle. Und bis spät in die Nacht.
Wenn das Kind aus dem Haus ist, beginne ich mit der Arbeit, nehme Bestellungen entgegen und mache Heimarbeit für Nishijin. Ich wickle Fäden auf Spulen.
Wir leben nur zu dritt, ohne Eltern. Mein Mann ist der zweite Sohn. "Den Dienst an der Schwiegermutter", wie man in Japan sagt, habe ich nicht gemacht. Ich weiß nicht, ob das ein Glück oder ein Unglück ist. Wenn ich mit der Schwiegermutter gelebt hätte, hätte ich allerhand lernen können im Haushalt. So habe ich gelebt, wie ich wollte, und das freut mich auf jeden Fall. Heimarbeit mache ich seit zirka zehn Jahren, seit mich die Kinder nicht mehr so in Anspruch nehmen. Ich bekomme pro Spule bezahlt. Es gibt in Japan ziemlich viele Frauen, die Heimarbeit machen. Ich glaube, ich verdiene vergleichsweise viel. Über 100 000 Yen. Ich bin diesbezüglich auch ziemlich frei in meiner Einteilung.
Mein Mann liefert die Kuchen aus. Mittags kommt er zurück, wir essen zusammen, auch am Abend. Abends wird es spät, zwölf Uhr. In den letzten Jahren sind alle lang auf, auch die Angestellten kommen oft spät nach Hause. Dann schaut man noch fern und so geht man spät ins Bett.
Tochter:
Ich stehe auch spät auf, zirka um ½ 8 Uhr. Wir essen schnell ein Frühstück und gehen um zirka ½ 9 Uhr aus dem Haus. Ich arbeite von neun bis fünf Uhr. In der Nähe. Wenn ich heimkomme, koche ich. Anschließend studiere ich bis zum Schlafengehen. Ich habe wirklich sehr viel zu tun: Berufsarbeit, Hausarbeit und das Studium.

F.: Hat Ihr Studium für Ihre Arbeit einen Nutzen?
Tochter:
Soziologie bringt derzeit nicht sehr viel. Direkt wird es mir nichts nützen. Ich möchte nach Studienabschluß die Qualifikation als Bibliothekarin erwerben. Ich möchte gerne in einer Bibliothek arbeiten, auch wenn ich Kinder habe. Dafür studiere ich.
Kinder möchte ich erst in zwei, drei Jahren, wenn ich mit dem Studium fertig bin.

F.: Dann sind Sie schon dreißig!
Ja, das macht mir Sorgen! Man hört immer, es ist besser, die Kinder früher zu bekommen. Mit dreißig das erste Kind , das ist schon spät.

F.: Ist Ihr Mann mit Ihren Plänen einverstanden?
Tochter:
Er will nicht unbedingt jetzt Kinder. Es gibt immer mehr kinderlose Ehepaare, aber die finde ich irgendwie einsam. Darum möchte ich das Studium schnell fertig machen und dann ein Kind kriegen.

F.: Möchte Sie gerne Enkelkinder?
Mutter:
Ja, schon, Wenn ich die anderen Babies sehe, denke ich: "Sind die herzig!" Und ich möchte schnell eins. Aber es ist auch viel Mühe, in meinem Alter ein Enkelkind. Es sind komplizierte Gefühle. Doch ich wäre sicher froh, wenn eins käme. Mit fünfzig ist es schon an der Zeit für Enkelkinder.

F.: Passen in Japan Großmütter oft auf die Enkelkinder auf?
Mutter:
Jetzt ist es sehr üblich geworden, daß beide Ehepartner arbeiten (tomobataraki). Die Kinder kommen in den Hort. Weil ihnen die Kinder leid tun, wenn sie so klein schon in den Hort kommen, passen die Großeltern auf.

F.: Können Sie sich das vorstellen?
Tochter:
Ich bitte schon jetzt darum.
Mutter:
Ja, aber...Jeden Tag auf kleine Kinder aufzupassen, das wäre schrecklich (taihen). Da ist es wahrscheinlich einfacher, zu arbeiten. Beide arbeiten, weil das Leben finanziell leichter ist und wenn Kinder kommen, wissen sie nicht, was tun. Der Hort kostet viel, zirka 50 000 Yen. Man weiß dann gar nicht mehr, wofür man arbeiten geht. Die Kinder sind die Opfer, wenn die Mutter arbeiten geht. Ich finde es nicht richtig, wenn ein Kind so früh in den Hort kommt.
Tochter:
Ich möchte schon arbeiten. Ich möchte mich nicht zu sehr im Haus einschließen. Und ich möchte meine Mutter bitten, daß sie auf das Kind aufpaßt, wenn es möglich ist. (Mutter und Tochter schauen einander nicht an).
Die Eltern meines Mannes leben mit der jüngsten Tochter in Nara, die kann ich nicht bitten.

F.: Wie haben Sie Ihre Männer kennengelernt?
Mutter:
Jetzt machen wir aber von den Enkeln weg einen großen Sprung in die Vergangenheit!
Ich habe meinen Mann in einem Freizeitklub kennengelernt. Dort war eine Art Gesprächsrunde, wo man sich mit jungen Leuten am Abend traf und über Probleme und Familiendinge sprach. Wir haben uns zirka sechs Jahre gekannt, als wir heirateten. Es war keine arrangierte Ehe, sondern eine sogenannte Liebesheirat.
Bei meiner Mutter war es so: Mein Vater war im Kaufhaus Mitsukoshi angestellt. Er war ein Freund des älteren Bruders meiner Mutter. Dieser Bruder fragte den Freund: "Möchtest du nicht meine jüngere Schwester bekommen?" Es war eine arragierte - eine sogenannte "Vorstellungs"-Ehe (shôkai-kekkon). Meine Mutter ist jetzt 77 Jahre alt.
Tochter:
In meinem Fall war das so: Meine jüngere Schwester hat ein Jahr bis zur Aufnahmsprüfung auf die Universität warten müssen, in dieser Zeit lernte ich mit meiner Schwester zusammen Englisch. Sie hatte eine Art Nachhilfelehrer, er war Universitätsassistent, und der wurde mein Mann. Anfangs gingen wir zu dritt aus und dann immer zu zweit. So lernten wir uns kennen. Es war eine Liebesheirat.

F.: Erzählen Sie bitte ein wenig über die Hochzeitsfeier.
Tochter:
Die Feier hat vorigen November im Hirano-Schrein3). stattgefunden. Das Banquet war im Royal-Hotel.
Mutter:
Zuerst gibt es das Verlobungsgeschenk (yuinô). Als nächstes wird die Austeuer mit einem Lastwagen weggeführt. Dann ist die Hochzeitsfeier. So ist die Reihenfolge.
Der Heiratspartner kommt also und bringt einen Diamantring als Verlobungsgeschenk oder etwas Ähnliches. In Fall dieser Tochter brachte er einen Ring, und seine Mutter schickte einen schönen Kimono in einer schönen Schachtel und dazu gab es noch Geld. Das haben wir erhalten. Das war im Mai des Vorjahres.
Zur Aussteuer gehören westliche Kleider und Kimonos und Möbel. Dafür ist erspartes Geld nötig. Der Kleiderschrank allein kostete 100 000 Yen. Der Kimono mehr als 100 000. Elektrogeräte, futon und alles Mögliche - wieder 100 000 Yen. Alles in allem zirka 400 000 Yen. Die Kosten für die Feier und für die Hochzeitkleider kommen noch dazu. Von der Seite des Bräutigams kamen 30 Gäste, von unserer Seite 20. Jeder zahlt für die Gäste seiner Seite. Das kostete für uns wieder zirka 100 000 Yen. Der Kimono für die Braut kostete 65 000 Yen, das Hochzeitskleid 28 000 Yen. Dabei haben wir noch Preisnachlaß gekriegt.
Wer das zahlt, das hängt von der Familie ab. Die Töchter selbst arbeiten und sparen fleißig für die Hochzeit.
Der Bräutigam finanziert das Verlobungsgeschenk. Das ist wohl ziemlich in allen Familien so. Das ist das Mindeste.

F.: Helfen Ihre Ehemänner im Haushalt mit?
Mutter:
In meinem Fall hat der Mann nicht bei der Hausarbeit und Kindererziehung geholfen. Er hat nie auch nur eine einzige Teetasse abgewaschen. Aber er hat mit uns viele Autoausflüge gemacht. Und er hat mich zum Beispiel mit dem Auto zum Supermarkt gebracht.
Tochter:
Meine Arbeit hört immer früher auf als seine und daher macht er zu Hause überhaupt nichts. Ich mache fast alles allein. Es gibt keine Arbeitsteilung. Er kommt immer zu verschiedenen Zeit nach Hause, zirka um acht, neun Uhr herum. Und dann ist er müde und macht nichts, etwa Einkaufen oder Wäsche.

F.: Also gibt es bei Ihnen keinen Unterschied zwischen den Generationen?
Tochter:
Mein Mann denkt modern über die Gleichheit von Mann und Frau. Er wollte eine "neue Familie". Aber in der Realität verhält er sich wie die Eltern und rührt keinen Finger. Mir scheint, Denken und Handeln stimmen nicht überein. Die Japaner sind fast alle so, sie helfen kaum zu Hause. Im Ausland scheint das anders zu sein. Wenn man sie darum bittet, helfen die Männer doch, oder?

F.: Was ist für Sie nötig als Voraussetzung für eine Heirat, zum Beispiel "Liebe" oder "Zärtlichkeit" oder "Verständnis"?
Mutter:
Es ist heute ziemlich häufig geworden, daß man Liebe mit Ehe verbindet. Aber das ist neu.
Was ist nötig? Das Allerwichtigste für das Leben ist wohl die wirtschaftliche Seite. Das ist Nummer eins. Dann wohl auch Einfühlsamkeit (omoiyari), Sanftmut (yasashisa). Wenn das fehlt, gibt es Streit. Es ist wichtig, daß er gutmütig (yasashii) ist, ein eigensinniger Mann ist schwierig.
Wenn ich zurückblicke, muß ich sagen, daß mein Mann sanft ist. Mein Gott, in all diesen Jahrzehnten ist natürlich alles mögliche vorgekommen. Aber im Grunde ist mein Mann ein sehr gutmütiger Mensch. Ich glaube, es ist gut, daß ich ihn geheiratet habe (lacht).
Er ist ein Jahr älter als ich. Als wir heirateten, ist er mir in manchen Punkten kindisch vorgekommen. Aber das hat sich gegeben und jetzt bin ich froh, daß er noch nicht so alt ist.
Tochter:
Für mich ist wichtig, daß er gesund ist und dieselben Träume hat wie ich. Träume in bezug aufs Leben.
Das Äußere ist eigentlich nicht so wichtig. Die wirtschaftlichen Dinge sind das Fundament, aber ich glaube, es ist schöner, wenn man für die Erfüllung dieses Lebenstraumes arbeitet statt für mehr Geld.
Mutter:
Ich glaube, es ist besser für die wirtschaftliche Sicherheit durchzuhalten als für einen Traum. Wir sind selbständig, darum haben wir nicht Monat für Monat ein gesichertes Einkommen. Der Kuchenverkauf ändert sich je nach der Zeit. Ein Angestellter hat es besser, denke ich oft. Ich habe mir gewünscht, daß meine Kinder auf jeden Fall einen Angestellten heiraten. Sicherheit ist das Allerwichtigste.
Tochter:
Mein Mann ist Beamter, also hat er ein sicheres Einkommen. Ich habe vor Unsicherheit wenig Angst, vielleicht, weil ich die Unsicherheit der Selständigen von zu Hause her kenne. Ich habe auch gesehen, daß meine Mutter arbeitet und habe deshalb keine Angst davor, selbst zu arbeiten.
Mutter:
Mein Mann arbeitet immer dasselbe, seit wir geheiratet haben. Ich selbst habe, bis die Kinder ziemlich groß waren, die Heimarbeit nicht gemacht, sondern nur die telefonischen Bestellungen. Ich denke mir, daß es wichtig ist, daß die Mutter im Haus ist und die Kinder erzieht.
Ich halte es nicht für richtig, wenn die Frau nur die Arbeit im Kopf hat und die Kinder allzu früh den Eltern anvertraut. Damit bin ich nicht einverstanden. Aber es ist heute sehr häufig geworden. Denn nur vom Gehalt des Mannes kann man sich nicht kaufen, was man haben möchte. Die Ärmsten dabei sind die Kinder. Es gibt Dinge, die man für Geld nicht kaufen kann.

F.: Noch einmal zur Sanftheit (yasashisa): Was halten Sie davon?
Tochter:
Yasashisa ist wichtig. Es wird oft gesagt, daß die Männer zu gutmütig geworden sind und daß das schlecht sei, aber letztenendes bedeutet das doch, daß ein Mann Frau und Kinder wichtig nimmt. Die traditionellen feudalistischen Männer waren Tyrannen. Es ist sehr wichtig, daß sich diesbezüglich etwas ändert. Ich halte das nicht für eine Degenerationserscheinung.
Mutter:
Ich kenne kaum Männer außerhalb meiner Familie. Im Fernsehen sieht man Männer, die am Sonntag die Familie mitnehmen, die in den Botanischen Garten gehen und die Taschen mit dem Picknick tragen. Dann denke ich mir: "Sind diese jungen Männer doch gutmütig!"
Verglichen mit meinem Vater ist mein Mann außerordentlich gutmütig. Und die nächste Generation ist wahrscheinlich noch gutmütiger. Mein Vater ist so selten mit uns fortgegangen, daß ich mich noch genau an jedes Mal erinnere. Jetzt sind die Zeiten gut geworden und die Familien vergnügen sich viel.

F.: Wem vertrauen Sie sich an?
Mutter:
Wem ich mein Herz ausschütte, wenn etwas los ist? So jemanden hatte ich nicht. Den Eltern konnte ich nichts sagen. Die waren mit meiner Heirat nicht ganz einverstanden, mit dieser Liebesheirat. Wenn ich mich beklagt hätte, hätte ich höchstes Böses über meinen Mann gehört. So habe ich im Gegenteil Probleme verdeckt und nur Gutes gesagt.
Ich hatte überhaupt niemandem, dem ich mich anvertrauen konnte. Darum bin ich auch schon öfters in der Brust krank geworden (lacht).
Die jungen Leute heute sagen gleich alles direkt, aber zu meiner Zeit ertrug man alles (shinbô). Ich konnte mich auch bei meinem Mann nicht aussprechen. In letzter Zeit, jetzt, wo wir schon 27 oder 28 Jahre verheiratet sind, kommt es manchmal vor, daß ich zu meinem Erstaunen mit ihm Dinge besprechen kann.
Wenn die Kinder groß werden, ist es auch leichter, weil man mit ihnen sprechen kann. Wie es mit Söhnen ist, weiß ich nicht, man sagt, daß die Söhne ungeduldig und zornig werden, wenn die Mütter reden. Bei Mädchen ist das anders. Alle loben, wie angenehm Töchter sind. Töchter vertrauen sich den Eltern auch noch an, wenn sie verheiratet sind. Söhne nicht.
Aber auf die Söhne kann man sich verlassen.
Tochter:
Es war die Mutter, mit der ich überlegt habe, ob ich heiraten soll oder nicht. Manchmal erzähle ich auch den Freundinnen meine Sorgen, aber die verstehen mich oft nicht ganz. Jetzt, wo ich verheiratet bin, führe ich ein Leben, an das ich mich schwer gewöhnen kann. Es gibt Streit. Ich erzähle alles der Mutter. Ihr sage ich alles, auch unangenehme Dinge.

F.: Sie können sich also Ihrer Mutter eher anvertrauen als Ihrem Mann?
Tochter:
Ja, so ist es. Mit meinem Mann ist die Beziehung noch sehr dünn. Die Mutter lebt in der Nähe. Ich gehe oft zu ihr.

F.: Wie ist das mit den Freundinnen?
Tochter:
Ich plaudere viel mit ihnen und verkehre auch jetzt noch mit ihnen. Meine Umgebung hat sich durch die Heirat wenig verändert. Ich arbeite, studiere, habe Freundinnen. Nur jetzt ist mehr Hausarbeit zu machen.
Mutter:

Ich habe fünf Freundinnen. Wir sind eine Gruppe. Wir machen jedes Jahr eine Reise zusammen. Dazwischen treffen wir uns einmal alle drei Monate und plaudern. Ich telefoniere wenig mit ihnen. Zuhause arbeite ich und komme selten hinaus. Ich kann mich nicht oft mit meinen Freundinnen treffen, obwohl ich das natürlich gerne tun würde. Wirklich Freude macht mir aber, mit meinem Mann am Sonntag auf dem Feld zu arbeiten Wir ziehen dort Gemüse. Das ist ein gemeinsames Vergnügen.

F.: Erzählen Sie bitte über Ihre Hobbies und Freizeitvergnügungen.
Mutter:
Das Feld ist unser Hobby. Wir arbeiten dort den ganzen Tag, es ist ruhig, wir essen zusammen o-nigiri. Das Feld haben wir schon acht Jahre. Es ist 100 Tsubo (330qm) groß. Wir können es nur einmal in der Woche gießen, drum haben wir Erdäpfel, Zwiebel, Süßkartoffel, Kürbis, Tomaten und Paprika gepflanzt. Das essen wir alles selbst und verschenken es an die Umgebung. Wenn man Samen setzt und nach einer Woche sprießt es schon, das berührt mich.
Ich bin aus Kyôto und hatte nie etwas mit Erde zu tun. Mein Mann ist aus Shiga und kennt sich diesbezüglich aus. Durch ihn habe ich gelernt, mich darüber zu freuen, wenn etwas aus der Erde wächst.
Tochter:
Ich habe zehn Jahre Blumenstecken betrieben. Jetzt bin ich mit dem Studium zu sehr beschäftigt und habe damit aufgehört. Auch für Tennis und Schwimmen habe ich wenig Zeit. Aber ich fahre oft allein mit dem Rad, weil ich mir das zeitlich selbst einteilen kann. Mit meinem Mann bin ich früher oft schwimmen gegangen, am Abend. Ins Schwimmbad. Aber auch dafür ist jetzt selten Zeit. Momentan vergnüge ich mich wenig. Und mit meinem Mann komme ich sehr wenig zusammen, darum gehen wir auch nicht mehr schwimmen.Ich habe am Samstag frei, aber er arbeitet am Samstag und oft auch am Sonntag. Er hat fast überhaupt nie frei. Nur Arbeit, Arbeit. Zusammen sind wir eigentlich nur, wenn wir ab und zu eine Reise machen. Abends schauen wir zusammen Videos an.

F.: Wieviel verdienen Sie?
Tochter:
Ich verdiene 140 000 Yen, mein Mann zirka 200 000 Yen. Das Haus haben wir mit einem 25 Jahre laufenden Kredit gekauft. Wir zahlen monatlich zirka 50 000 Yen. Solange ich arbeite, geht es finanziell...

F.: Mit welchen Punkten Ihres Familienlebens sind Sie besonders zufrieden oder unzufrieden?
Mutter:
Ich werde jetzt langsam zufrieden. Bisher gab es allerhand Unzufriedenheiten. Vor allem deshalb, weil das Leben als Selbständige keine Sicherheit bietet. Die Situation hat sich diesbezüglich nicht geändert, aber gefühlsmäßig bin ich ruhiger. Als ich jung war, hatte ich diese und jene Träume, die sich in Unzufriedenheit umwandelten. Aber jetzt haben wir unser Haus, unser Feld, eine Tochter ist verheiratet, die andere ist schon aus der Universität. Das Wichtigste ist jetzt die Gesundheit.
Tochter:
Vor der Heirat glaubte ich, mein Mann habe viele neue Ansichten. Daher arbeiten wir beide, aber, wie ich schon gesagt habe, er hilft mir nicht. Diesbezüglich bin ich unzufrieden. Wahrscheinlich gibt es auch für ihn Punkte, mit denen er unzufrieden ist.

F.: Gibt es auch gute Punkte?
Tochter:
Ja, sicher (denkt nach). Wenn ich höre, was die Mutter über die Ehe erzählt, so sind die Frauen früher nach der Heirat mehr gebunden gewesen, vom Ehemann her. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich bin ziemlich frei. Ich kann fortgehen wie ich will, mich vergnügen und die eigene Zeit wichtig nehmen. Damit bin ich zufrieden, aber...

F.: Welche Empfängnisverhütung betreiben Sie?
(Länger andauernde Mißverständnisse, was ich meine, Lachen).
Tochter:
Ich mache gar nichts. Die Pille ist noch nicht erlaubt.
Mutter:
In Japan verwenden 80 oder 90% Kondome. Es gibt auch andere Sachen, aber Kondom scheint das Häufigste zu sein. Auch unter jungen Leuten.

F.: Wenn man mit jungen Frauen spricht, so hat man öfters das Gefühl, Heirat ist das Lebensziel und dann ist das Leben zu Ende.
Tochter:
Das ist häufig so, aber nicht bei mir.Ich bin diesbezüglich ziemlich von meinem Mann beeinflußt. Auch eine Frau muß etwas haben, das sie tun möchte, und das durchhalten (ganbaru). Wenn ich sehe, wie Frauen als Hausfrau enden, ist das irgendwie traurig. Darüber haben wir viel geredet. Vielleicht könnte ich auch zu Hause Blumenstecken unterrichten...

F.: In Japan leben viele Eltern mit den Kindern zusammen. Kommt das noch immer oft vor?
Mutter:
Früher war das normal. Heute ist die Kernfamilie üblich. Jetzt gibt es viele Altersheime. Die baut das Land. Man muß viel Geld hergeben und kann dann in ein Altersheim einziehen, das wie ein Hotel ist.

F.: Denken Sie schon an diese Zeit?
Mutter:
Ja. Wir haben keinen Sohn, daher hat niemand die Verantwortung für unsere Betreuung. Der Familienname wechselt von T. zu O. Wenn wir auch bitten: "Kümmert euch um uns", so sind da immer noch die Eltern von Herrn O., für die er der älteste Sohn ist. Wie das werden soll, weiß ich nicht. Aber wenn man allzu sehr voraus denkt, taucht die Unsicherheit wieder auf und die Lebensfreude erlischt. Wir müssen uns von jetzt an zu zweit, ohne Kinder, durchschlagen. Als wir heirateten, war es das Schönste, daß wir endlich zu zweit waren. Wenn dann die Kinder erwachsen sind und wir wieder zu zweit sind, ist das ein ganz neues "zu zweit", etwas ganz anderes als früher, denke ich mir in letzter Zeit oft.

F.: Haben Sie als Selbständige eine Pensionsversicherung?
Mutter:
Es gibt die pflichtgemäße Volkspension, und dann haben wir noch eine Lebensversicherung. Ernähren kann man sich von dieser Pension alleine nicht! Aber bei uns gibt es keine Altersbeschränkung wie bei den Angestellten. Solange der Vater Autofahren kann, kann er auch arbeiten. Es gibt keine Sicherheit, wenn er zusammenbricht. Eine Zukunftssicherung gibt es nicht. Aber im Vergleich zu früher ist es jetzt leichter, weil wir getan haben, was unbedingt zu tun ist. Jetzt muß nur noch die jüngere Tochter heiraten.
Tochter:
Ich habe viel über meine Eltern nachgedacht und auch mit meinem Mann besprochen, daß wir uns um beide Eltern gemeinsam kümmern werden. Schon vor der Heirat. Mit den Eltern selbst haben wir diesbezüglich nicht gesprochen.
Mutter:
In Japan ist dieses Familien-Bewußtsein noch sehr stark vorhanden. Wir haben zwei Töchter und so ist T. Daiichiro der letzte seiner Familie. Außer die jüngere Tochter findet einen Mann, der zu uns in die Familie kommt, aber das ist heute sehr selten geworden. Wenn der Familienname ausstirbt, ist das sehr traurig, auch für mich. In Japan ist das ein sehr wichtiges, vielleicht das wichtigste Problem. Bei der jüngeren Tochter spielt das keine solche Rolle, aber beim Heiratsentschluß der erstgeborenen Tochter sehr wohl.

F.: Und Ihre Zukunftsträume?
Mutter:
Mein Traum? Mein Mann sagt immer: "Ich möchte einen Wohnwagen und dann setze ich dich hinein und wir machen eine Reise. Durch ganz Japan". Das sagt er, und ich wäre dankbar, wenn er mich mitnähme. Aber jetzt ist mein Traum unser Feld, wo wir am Samstag hinfahren und am Sonntag früh arbeiten anfangen. Und daß meine Töchter und Enkel zu Besuch kommen und dort Blumen und Gemüse pflücken können. Das schwebt mir vor. Früher wollte ich dort auch ein Haus aufstellen. Aber diesen Traum habe ich aufgegeben, denn es würde ein sehr einsames Leben sein. So ist es besser, wenn wir, solange Papa noch Autofahren kann, am Wochenende aufs Feld fahren.
Tochter:
Ich möchte zwei oder drei Kinder. Und ich möchte eine helle Atmosphäre zu Hause haben. Und daß sowohl mein Mann wie auch ich etwas haben, das wir Tag für Tag tun möchten, das uns in Spannung versetzt, das wäre mein Ideal.

F.: Was meinen Sie mit "Spannung"?
Hausfrau sein, Kinder erziehen, das ist auch spannend, aber es bleibt dann keine Zeit mehr für sich selbst. Ich möchte auch für mich Zeit aufbringen. Die Kindererziehung dauert nicht ewig. Ich möchte etwas durchgängig betreiben. Eine Arbeit oder ein Hobby. Als Großmutter danach zu suchen, ist zu spät.


1) Pazifischer Krieg, 1941-1945, endete mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
2) Viertel von Kyôto, traditionelle japanische Lebensweise ist stark erhalten, bekannt für Seiden-und Brokatweberei.
3) Es ist üblich, die Hochzeitszeremonie nach nach shintôistischem Ritus zu begehen.

Tomoko O. schrieb im Jänner 1991,
daß sich im Leben ihrer Mutter nichts verändert habe. Sie selbst habe im November 1989 die Stelle als Zahnarzthelferin aufgegeben und arbeite seither in einem Obstgeschäft.
Ihre Pläne:
März 1991: Abschluß des Soziologiestudiums, dann Suche einer regulären Anstellung.
Kein Kind.

Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at