Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

Akiko K., 25, Tôkyô, 3. August 1988

Er soll auf keinen Fall ein Pascha sein.

Akiko K.
Im Frühjahr 1988 lernte ich in Hamamatsu Suzuko K., 52, kennen. Sie ist Mitglied der "Hamamatsu fujin konwakai" (Feministischer Salon von Hamamatsu), verheiratet und hat zwei Kinder, einen 19jährigen Sohn und eine 25jährige Tochter. Sie ist wie einige andere Frauen der Gesprächsrunde (alle zwischen 35 und 55) zu mir ins Hotel gekommen, Tee wird eingeschenkt, jede stellt sich vor, die Stimmung ist entspannt. Suzuko K. erzählt, daß sie seit drei Jahren einige Stunden in der Woche in einer Heiratsberatung (kekkon-sôdan-shitsu) arbeite. Neuerdings seien die Mädchen sehr heiratsunwillig und sehr wählerisch bei der Auswahl der Ehepartner. Frauen lehnen ab, weil die Männer zu klein sind, selbst wenn sie gute Schullaufbahnen haben.
Es gebe scheinbar kein "Heiratsalter" (tekireiki) mehr und der "Heiratswunsch" (kekkon-ganbô) bei Frauen sei kaum vorhanden. Die jungen Frauen leben "ihr eigenes Leben" (jibun no inochi). Es gebe immer mehr Frauen, die arbeiten und nur heiraten, wenn sie einen netten Mann auf ihrem Weg treffen; wenn das nicht passiert, sei es ihnen auch egal. Das berichtet Frau K. und meint, daß ihre Tochter Akiko diesbezüglich ein extremer Fall sei. Akiko ist öffentliche Bedienstete, Steuerbeamtin. Sie möchte sich auf diesem Sektor selbständig machen und braucht dazu, sagt sie, den entsprechenden Mann mit dem richtigen Beruf und den richtigen Beziehungen. Sie hat die Entscheidung zu heiraten, zum Leidwesen der Mutter, vorderhand ein Jahr aufgeschoben. Die Freundinnen kommentieren, Akiko habe wohl noch keine Lust zu heiraten. Die Tochter sei nicht "extrem", sie wolle eben keine "professionelle Hausfrau" (sengyô-shufu) werden...
Im Sommer treffe ich Akiko K. zu einem Interview in Tôkyô. Sie kommt mich vom Hotel abholen: Eine junge Frau mit erotischer Austrahlung, glänzenden großen Augen und taillenlangem offenem Haar. Sie ist schwarz gekleidet, inklusive schwarzer Aktentasche. Sie kommt direkt von der Arbeit. Wir gehen in ein Sushi-Lokal in der Nähe. Außer uns sind nur Männer hier, die nach der Arbeit Reishäppchen mit Scheiben rohen Fisch essen, sich gegenseitig Bier oder Reiswein einschenken und um sieben Uhr bereits rote Gesichter haben. Wenn das Trinken auch Verpflichtung nach der Arbeit ist, so scheint es doch eine belustigende Verpflichtung zu sein, denn der Lärmpegel des Gelächters ist hoch. Akiko antwortet bereitwillig und ausführlich auf alle meine Fragen.

Die Staatsangestellte

Ich bin in Hamamatsu geboren und habe dort die Schule besucht. Dann habe ich an der Staatlichen Universität von Kanazawa vier Jahre Wirtschaft studiert. Jetzt arbeite ich in Tôkyô. Als ich meine jetzige Arbeit im April 1985 angefangen habe, war ich 22 Jahre alt. Ich bin Staatsbeamtin (kokka-kômuin). Ich habe drei Jahre lang in Betrieben die Körperschaftssteuer überprüft. Jeden Tag tauchte ich mit meiner Aktentasche in der Hand in einer Firma auf und kam natürlich i m m e r ungelegen, weil es sich ja um eine Überprüfung handelt. Ich schaute die Geschäftsbücher der Firma durch. Derzeit besuche ich seit einem halben Jahr die sogenannte Steueruniversität, sie gehört zum Finanzministerium. Dort studiere ich das Steuersystem.
Frauen werden jetzt im öffentlichen Dienst zu den gleichen Aufnahmetests zugelassen wie Männer. Auch gehaltsmäßig mache ich die gleichen Fortschritte wie die Männer. Das gibt es erst seit kurzem, und deshalb hat sich noch kein großer Unterschied zwischen Männern und Frauen herausgestellt. Aber tatsächlich wird doch ein Unterschied gemacht bei der Arbeit. Häufig kommt es darauf heraus: Für Frauen ,,Frauenarbeit", für Männer "Männerarbeit".
Vom Grundsatz her, wie gesagt, ist alles gemeinsam.
Früher wurden Frauen auf diesem Sektor überhaupt nicht in den Staatsdienst aufgenommen. Das hat sich im Zusammenhang mit dem Gleichbehandlungsgesetz für Männer und Frauen (danjo-koyô-kikai-kintohô) geändert, das seit erstem April 1986 in Kraft ist und um das man in Japan viel Aufhebens gemacht hat. Man hat sozusagen gemeint, der Staat müsse mit gutem Beispiel vorausgehen und hat deshalb schon 1985 damit angefangen, ein paar Frauen zuzulassen. Ich war eine von diesen Frauen. Zu dem Fortbildungskurs, an dem ich jetzt teilnehme, kommen Leute aus ganz Japan, insgesamt 500. Davon sind 25 Frauen. Das ist ein sehr kleiner Prozentsatz!
Ich habe mich sehr gefreut, daß ich ebenso wie die Männer aufgenommen wurde, aber ich habe auch gemerkt, daß es für Frauen Minuspunkte gibt. Ich habe gemerkt, daß es Arbeiten gibt, die nur Männer machen können. Daß ein unvermeidlicher Unterschied gemacht wird.
Zum Beispiel meine Arbeit: die Überprüfung der Rechnungsführung einer Firma. Der Firmenchef ist ein Mann, meistens zirka so alt wie mein Vater. Mit dem muß ich auf gleicher Ebene als Vertreterin der Verwaltung verhandeln. Das ergibt eine sehr schwierige Situation. Der Firmenchef hat mir, einer sehr jungen Frau, gegenüber unangenehme Gefühle. Gefühlsmäßig denkt er: ,,So weit ist es gekommen, daß dieses junge Ding unsere Firma überprüft!"
Für einen jungen Mann wäre die Situation weniger schwierig, glaube ich.

F.: Wenn eine junge Frau kommt und auf der anderen Seite ist ein älterer Mann, könnte es in gewisser Beziehung auch leichter werden, soferne die Beziehung Frau-Mann mitspielt. Ist das in Japan nicht so?
Nein. Daß ich eine Frau bin, ist nur ein Nachteil. In Japan ist der Mann trotz allem noch ,,oben". Nur die Tatsache, daß ich eine Frau bin, ist schon eine "Unsitte", ein schwerwiegendes Minus (sugoi mainusu).
Dieses Bewußtsein ist beim Gegenüber immer vorhanden. Ich muß mir Unverschämtheiten sagen lassen. Wenn ich zwei Tage in der Firma bin, gibt es bei einer solchen Überprüfung verschiedene Sachen, die ich mir erklären lassen muß. Dabei merke ich die Geringschätzung. Sie versuchten mich für dumm zu verkaufen.

F.: Trotzdem wollen Sie diese Arbeit fortsetzen?
Das alles ist zwar schmerzhaft und ärgerlich, aber ich lerne dadurch, diesen Leuten gegenüber, die über mir stehen, nicht zu schweigen und auch nicht emotionell zu sein - das darf ich keinesfalls -, sondern kühl abzuschätzen, wer oben und wer unten ist und die eigene Haltung danach zu regulieren. Das fällt mir noch immer sehr, sehr schwer.

Lebensplanung

Ich wollte auf jeden Fall studieren. Der Ort war mir egal. Ich wollte auch versuchen, getrennt von meinen Eltern zu leben. Von den Eltern her gab es keinen Widerstand. Aber aus dem Freundeskreis kam nach dem Studium die Aufforderung: ,,Komm zurück nach Hamamatsu, such dir in Hamamatsu eine Arbeit!" Es kommt häufig vor, daß man nach Tokyô oder woanders hin zum Studium geht, Arbeit suchen die meisten im Heimatort. Viele wohnen bei den Eltern und suchen für die Ehe einen Mann aus der Umgebung, um weiterhin in der Nähe der Eltern zu wohnen. Vom Standpunkt der Eltern und vielleicht auch vom Standpunkt des Kindes ist das möglicherweise einfacher. Wenn die Eltern in der Nähe wohnen, können sie allerhand helfen.

F.: Welche Pläne haben Sie?
Ich möchte weiterarbeiten. In bezug aufs Heiraten habe ich überhaupt keine konkreten Pläne. Jetzt will ich auf jeden Fall nicht heiraten. Aber doch, bevor ich 30 werde. An sich bin ich im Heiratsalter. Nur, jetzt ist es unmöglich. Ich habe überhaupt keine Lust dazu. Ich möchte alleine alles Mögliche machen. Auch wenn ich heirate, möchte ich auf jeden Fall weiterarbeiten.
Es gibt vieles, was Frauen anscheinend nicht mehr machen können, wenn sie verheiratet sind. Verheiratet führt das Paar eben ein Leben zu zweit. Allein kann ich reisen, mich amüsieren (asobi). Jetzt lebe ich ganz nach eigenem Gutdünken. Ohne durch irgendjemanden eingeschränkt zu werden. Ich wohne in einem Heim für Staatsangestellte. Ich muß zu keiner bestimmten Zeit zurückkommen.
Das Heim ist nur für Frauen. Wir wohnen zu zweit in einer drei-Zimmer-Wohnung. Die Miete ist billig, 5000 Yen im Monat zirka. Ich verdiene netto zirka 150 000 Yen. Am Anfang verdient man 120 000 Yen und dazu kommt noch der bonus, eine Sonderzahlung, voriges Jahr hat er zusätzlich zirka 300 000 Yen ausgemacht.
Ich spare im Monat 15 000 Yen, nur für mich, für eine Reise oder ähnliches. An die Hochzeit denke ich nicht. Eigentlich müßte ich dafür sparen. Aber das hat noch Zeit.
Meine Eltern wollen, daß ich bald heirate. Sie machen sich Sorgen um mich.

F.: Warum? Sie führen doch ein selbständiges Leben.
Das finde ich auch. Aber die Eltern wünschen sich, daß ich heirate wie die anderen. In Japan gibt es für eine Frau, die allein lebt, viele Minuspunkte. Es ist einfach ungewöhnlich. Erst in meiner Generation gibt es Leute, die der Ansicht sind, daß eine Frau allein bleiben kann. Leute im Alter meiner Mutter halten es für komisch (okashii), nicht zu heiraten.
Ich habe den Eltern gesagt, daß ich irgendwann, aber noch nicht jetzt heiraten möchte. Von meinen Freundinnen sind ungefähr die Hälfte noch ledig und arbeiten.

Freizeit

Ich treibe es ein bißchen arg. Ich gehe in die Stadt, trinke, schlendere herum, zum Beispiel in Shibuya oder in Roppongi. Diese Stadtviertel, wo viel los ist, die gefallen mir. Ich gehe mit Freunden aus. Jetzt halte ich mich ein bißchen zurück, weil ich schon älter bin, früher war ich noch mehr unterwegs. Aber auch in meinen Alter gibt es dort genügend Leute. Nicht zuviel denken, mich nur amüsieren, das ist mir am liebsten.
Nach Hamamatsu fahre ich gewöhnlich zu Neujahr, an den Mai-Feiertagen und zu den O-bon-Feiertagen, dreimal im Jahr. Meine Mutter kommt ein-, zweimal im Jahr nach Tôkyô, da treffe ich sie.

Ehe und Liebe

F.: Wie soll Ihr zukünftiger Heiratspartner ausschauen?
Er soll auf keinen Fall ein Pascha (teishu-kampaku) sein.
Er soll bereit sein, die Hausarbeit zu teilen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Das sind die wichtigsten Bedingungen. Und daß er mich weiter arbeiten läßt.
Es gibt Männer, die wollen, daß die Frau nach der Heirat zu Hause bleibt. Das ist für mich unannehmbar. Zu Hause gibt es nichts zu tun. Ich muß nicht meine jetzige Arbeit weitermachen, aber ich möchte ein eigenes Ziel. Es wäre mir absolut zuwider, von einem Ehemann abzuhängen.
Der Ort, an dem ich wohne, ist mir egal.
Das Äußere ist mir wichtig. Er soll groß sein und ich mag Leute, die ein gut aussehendes Gesicht haben.

F.: Was ist mit den Gefühlen?
Gefühle? Ich möchte, daß wir alles zusammen machen wollen. Es wäre gut, wenn er einen ähnlichen Charakter hätte wie ich. Ich bin ziemlich unbedacht und nicht kleinlich. Mein Partner sollte auch so sein. Wir sollten beide vergnügt und locker leben und das tun, wozu wir beide Lust haben und zusammen alles Mögliche unternehmen. Das ist mein Ideal.

F.: Verbinden sie den Ehepartner mit "Liebe"?
Hm... Liebe... Ja, es wäre schon gut, wenn man den Mann, den man heiratet, gern hat. In Japan gibt es die arrangierte Ehe miai-kekkon und die Liebesehe renai-kekkon. Im Fall des o-miai lernen sich die Leute schon mit dem Zweck, einander zu heiraten, kennen. Bei einer Vermittlung wird sehr schnell geheiratet und unter den Bedingungen, die der Partner stellt. Das wäre zwar einfach, ist mir aber zuwider. Ich möchte jemanden heiraten, den ich schon ein paar Jahre kenne. Darum möchte ich eine Liebesheirat, aber...

F.: Heiratet man beim miai immer so schnell?
Ja, wenn sich die beiden ein-, zweimal getroffen haben, wird geheiratet. Das gibt es wirklich, wenn man sich auch darüber wundert! Es wird geheiratet, obwohl die Partner einander gar nicht gut kennen. Unter meinen Freundinnen kommt das kaum mehr vor. Aber es gibt Leute, die halten es von Haus aus für richtig, wenn die Eltern den Partner aussuchen. Die denken anscheinend: ,,Einer ist wie der andere (daredemo onaji)". Die Umgebung entscheidet. Materielle Überlegungen stehen dabei im Vordergrund. Das ist in Ordnung. Ich selbst möchte lieber jemanden heiraten, der seelisch zu mir paßt und den ich gern habe.
Mit zirka 20 Jahren war ich sehr verliebt. Als ich das hinter mir hatte, habe ich die Männer relativ kühl angeschaut und strengere Maßstäbe angelegt. Nur das Gernhaben ist zu wenig. Wenn das auch egoistisch ist!
Mit 20 war ich Studentin, und es stand gar nicht zur Diskussion, den Mann zu heiraten. Der Mann studierte wie ich. Ich hatte keine Ahnung über seine Zukunft. Aber ich hatte ihn lieb und darum dachte ich: ,,Vielleicht heirate ich ihn." - Die Eltern hatten damit nichts zu tun.- Jetzt reicht das Liebhaben nicht mehr. Ich muß ihn gern haben plus den Bedingungen, die ich vorher genannt habe plus gute Zukunftschancen. Diese drei Sachen sind wichtig.
Wenn ich mich in meinem Freundeskreis umschaue, so nehmen die jüngeren Männer die Familie wichtiger als die ältere Generation. Die Frauen verlangen das. Sie wollen mit dem Ehemann zusammen Dinge unternehmen. Das ist ein Trend, die Familie wichtig zu nehmen.

F.: Bei uns erwarten die Frauen in der Regel, daß der Mann, den sie heiraten, ein Freund ist, mit dem sie reden können.
Ich glaube, das wollen die Frauen bei uns auch, auch die Männer. Nur wird in der Wirklichkeit diese wichtigste Sache nach hinten gereiht. Jeder denkt zuerst an sich. Die Familie wird mit der Zeit nebensächlich. Das läßt sich wohl nicht ändern, denke ich. Offensichtlich kommt zuerst die Arbeit, dann die Familie.

F.: Wünschen Sie sich Kinder?
Mann brauche ich eigentlich keinen, aber Kinder ich möchte ich. Kinder wünsche ich mir mehr als einen Ehemann. Wirklich.

Ich erzähle, daß es in Österreich relativ viele alleinstehende Mütter gibt.
Ist das denn gesellschaftlich erlaubt? Gibt es viele? Treffen diese Frauen ihren Freund weiter, wenn das Kind da ist? Japan ist noch nicht so weit. Das würde in erster Linie von meinem Arbeitsplatz her unmöglich sein. Kündigen würde man mich nicht, aber es wäre auf jeden Fall ein Minuspunkt.
Die Vorgesetzten würden mich mit anderen Augen ansehen. Bei meinen Kollegen wäre ich als unverheiratete Mutter unten durch. Ich kenne keine unverheiratete Mutter, darum weiß ich nicht genau, wie es wirklich wäre.
Wenn ich ein Kind will, muß ich heiraten. Ich möchte zwei Buben. Das habe ich mir schon überlegt. Ich möchte kein Mädchen. Es ist gut möglich, daß Mädchen, wenn sie älter sind, mit der Mutter mehr reden als Buben. Aber ich habe einen jüngeren Bruder, den ich sehr sehr gerne habe, er ist sehr verwöhnt worden. Wir kommen sehr gut miteinander aus. Darum wünsche ich mir Söhne. Wenn ein Mädchen so würde wie ich, wäre das ein Malheur (komaru). Wäre ich meine Eltern, würde ich mir denken: ,,Mit so einem Kind ist es schwer!"
Ich glaube, ich habe ihnen viele Schwierigkeiten gemacht. Jetzt nicht mehr, weil ich selbständig bin und eine Arbeit habe. Jetzt sind sie beruhigt. Aber besonders mein Vater machte sich viele Sorgen um mich. Als ich studierte, weit weg von zu Hause lebte.
Um den Sohn machen sie sich keine Sorgen. Mein Bruder darf verhältnismäßig viel tun. Der darf frei leben. Ich wurde ziemlich oft kritisiert.

F.: Wegen Beziehungen zu Männern?
Was Beziehungen zu Männern angeht, so ist das anders als früher. Sowohl für Frauen wie für Männer sind Beziehungen zum anderen Geschlecht nichts mehr Besonderes. Die Eltern fragen nicht direkt danach. Aber sie wissen Bescheid. Wenn sie mich kennen, wissen sie auch, was los ist.
Man kann nicht sagen, daß das bei einer Heirat von Nachteil wäre. Eigentlich im Gegenteil: Wenn eine Frau gar keine Liebeserfahrung hat, ist man eher einer Heirat abgeneigt.

F.: Ab welchem Alter gibt es "Liebeserfahrungen"?
In Japan bleibt es bis zum Abschluß der Oberschule meistens platonisch. Aber sobald ein Mädchen auf die Uni kommt, ändern sich die Umstände. Alle wechseln viel während der Studienzeit. Auf der ist man befreit, während der Uni-Zeit ist es für alle Liebe, "wirkliche Liebe". "Wirkliche Liebe" ist nicht platonische Liebe.

F.: Was ist das Schönste an Ihrem jetzigen Leben?
Mein jetziges Leben ist beschwerlich (tsurai). Auch für mich ist die Arbeit das Wichtigste. Die Arbeit durchhalten. Ich habe ein Ziel. Um dieses Ziel zu erreichen, muß ich hart mit mir sein, lernen und verschiedenartige Schwierigkeiten durchstehen. Bis auf weiteres ist mein Ziel mit der Arbeit verbunden. Ich möchte so werden, daß ich meine Arbeit selbständig beherrsche. Ich möchte mit mir selbst zufrieden sein können, und natürlich möchte ich auch von den anderen geschätzt werden.
Nur - bis jetzt bin ich mit mir überhaupt nicht zufrieden. Es gibt zu vieles, bei dem ich mich nicht auskenne.

F.: Sobald Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden sind, wollen Sie diese aufgeben und heiraten?
Ich denke, daß ich wegen der Arbeit jemanden aus Tôkyô heiraten sollte. Ich möchte hierbleiben. Aber es zeigt sich kein konkreter Mensch...
Die Arbeit ist mir das Wichtigste und sie ist mein Mittelpunkt. Aber ich kann wahrscheinlich das Heiraten nicht vermeiden. Heiraten ist eine altersbedingte Sache. Wenn ich ein bißchen jünger wäre, würde ich bei der Frage nach dem Lebensziel überhaupt nicht an Heirat denken und nur an die Arbeit und nur von dem sprechen, was ich selbst tun möchte. Aber altersmäßig kommt die Zeit der Heirat heran, und weil ich Kinder haben möchte und diese Gelegenheit später nicht mehr besteht, muß ich langsam die Heirat einbeziehen.

F.: Welcher Mann ist Ihrer Meinung nach für die Liebe geeignet?
Wenn er gleich denkt wie ich und die gleiche Art zu leben hat wie ich. Aber ein Liebespartner und ein Ehepartner sind etwas anderes. Derzeit habe ich am liebsten "Unterhaltungspartner", Freunde, mit denen ich ausgehen und mich aussprechen kann (asobi-tomodachi). Eine Frau im Heiratsalter tut sich schwer mit bloßen "Liebespartnern". Als junges Mädchen war jeder gut, mit dem ich mich schnell vergnügen konnte, aber jetzt gehe ich nicht mehr so weit, das ist nichtssagend geworden (tsumaranai). Jetzt habe ich keine Liebesbeziehungen. Ich ziehe Freunde vor, mit denen ich ausgehen kann, mich aussprechen, die zuhören. Ich höre auch zu, wenn sie mir ihre Geschichten erzählen. Das ist leichter. Wenn sexuelle Dinge ins Spiel kommen, geht die Freundschaft kaputt. Deshalb ist es im Augenblick für mich am leichtesten, wenn nichts Sexuelles dabei ist.
Als ich jung war, war es selbstverständlich, daß die sexuelle Komponente dazukam, wenn ich mich verliebt habe. Jetzt ist mir das zu verwickelt. Dieses Gefühl steht bei mir im Vordergrund.
Liebesgefühle beunruhigen ziemlich. Es geht dabei ja nicht nur um die eigenen Gefühle, sondern auch um die des Partners. Ich bin diesbezüglich ein bißchen negativ, passiv geworden. Ich bin vorsichtig geworden. Wenn der Mann diese sexuellen Dinge mißversteht... Wenn ich sie vermeide, ist es leichter, auch später.
Die Art, wie Männer und Frauen miteinander verkehren, ist anders als in der Generation meiner Mutter.

F.: Welche Art von Empfängnisverhütung verwendet man?
A.K.: Junge Leute verwenden das Kondom. Oder My Ruler, das ist etwas, das sich Frauen einführen. Die Pille müßte ich jeden Tag nehmen. Man bekommt sie beim Arzt verschrieben. Aber sie ist in Japan noch nicht allgemein üblich. Sie ist nur als Medikament erlaubt.
Zur Abtreibung denke ich, daß es ein großes Verbrechen ist, ein Kind zu gebären, das ich nicht aufziehen kann. Es gibt natürlich dazu die verschiedensten Einstellungen. Viele Kinder werden ohne Absicht gemacht. Obwohl man kein Kind aufziehen will, ein Kind zu gebären, bedeutet für dieses Kind Unglück, denke ich. Darum erscheint es mir besser, dieses Kind gar nicht auf die Welt zu bringen.
In Japan können Frauen verhältnismäßig einfach abtreiben lassen. Das Bewußtsein: "Im Notfall kann ich abtreiben", ist wahrscheinlich stärker als in Ihrem Land.
Zu heiraten, weil ein Kind kommt, finde ich unsinnig.

F.: Welche Hobbies haben Sie?
Ich habe nicht sehr viele Hobbies, weil ich nicht sehr viele Interessen habe. Ich gehe gern ins Kino. Nichts denken, mich unterhalten, ausgelassen sein (sawagu), alles vergessen, das ist das Allerbeste!
Ich gehe auch mit Leuten aus der Firma trinken, das ist eigentlich kein Vergnügen, das gehört zur Arbeit. Freitag oder Samstag abends gehe ich mit ganz anderen Leuten aus, mit Freunden aus der Studienzeit, anderen Freunden. Ich bin ein typisches Beispiel für eine junge Frau von heute. Ich denke nicht tief nach. Ich möchte mich nach der Arbeit entspannen.
Ich rede gern mit ganz anderen Leuten. Dabei lerne ich viel. Es ist gut für mich, von ihrem Standpunkt aus meine Arbeit zu betrachten. So werde ich gelassener. Ich merke dann, daß ich an dieses oder jenes auch anders herangehen kann.
Für den Augenblick bin ich zufrieden. Wenn ich nach oben sehe, sehe ich kein Ende. Aber ich will vor allen Dingen jetzt einmal durchhalten (ganbaru).
Ich glaube, mein Zustand trifft für viele zu. Sie sind alle mit ihrer momentanen Situation nicht völlig zufrieden. Aber sie denken: ,,Nach oben, nach oben, bis dorthin durchhalten. Weiter gehen."

F.: "Nach oben" - beziehen Sie das auf Ihre Arbeit?
Ja. Auch privat... Privat bin ich vorläufig zufrieden, aber ich sehe nichts, wenn ich nach oben, nach vorne schaue.
In der Arbeit wird ziemlich viel von mir erwartet, glaube ich. Die Frage ist, wie ich darauf reagieren soll, wie ich diese Chance, die mir gegeben worden ist, nütze. Das ist meine Situation.
Die Japaner arbeiten zu viel. Die Männer arbeiten zu viel. Frauen arbeiten vielleicht noch mehr. Nur wenn ich allein bin, kann ich das als Frau schaffen...
Allzu arbeitsame Leute mag ich aber auch nicht, "Arbeitsmenschen" (shigoto ningen), Menschen, die nur für die Arbeit leben.
Wie das weitergehen wird, ob das so weitergeht, daran habe ich meine Zweifel.
Ich möchte die Arbeit wichtig nehmen, aber nicht nur für die Arbeit leben. Leute, die nur die Arbeit wichtig nehmen, haben keine Muße. Ohne Muße zu leben ist schwierig. Solche Leute sterben früh.

Akiko K. hat im Jänner 1991 folgenden Brief geschrieben:
Seit dem Interview mit Ihnen sind mir nichts dir nichts zweieinhalb Jahre vergangen. Ich arbeite seit Juli 1990 im Regionalen Steueramt von Tôkyô. Davor war ich nach dem Abschluß meiner Ausbildung ein Jahr im Bezirkssteueramt Setagaya.
Ich wollte zwar diesen Posten, den ich jetzt habe, aber die Arbeit dort ist langweilig. Ich habe mit der Besteuerung von Einfuhrwaren zu tun, und bekomme nicht die Arbeit, die ich mir vorstelle.
Was das Privatleben betrifft - ich bin nicht verheiratet.
Derzeit gibt es unter den Japanerinnen Ende 20 eine Gruppe, die "vielleicht nicht heiratet". Der Heiratswunsch (kekkon-ganbô) ist schwächer geworden, gegen das Gefühl der Unsicherheit (fuan) gibt es aber kein Mittel. Nicht an den Ast namens "Ehe" gebunden zu sein, frei zu lieben, die Gegenwart zu genießen... So geht es nicht immer weiter. Ich möchte Sicherheit für die Zukunft (shôrai no anshin)... Ich bin genau in dieser Situation: Wie ich in der Zukunft leben werde, ist mir völlig unklar, aber mit meiner gegenwärtigen Lage gebe ich mich keinesfalls zufrieden (amanjite wa inai).

Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at