Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

Michiko Matsuo, 37, Ôsaka, 27. Juli 1988

Eine eisige Atmosphäre

Michiko Matsuo
Michiko Matsuo, 37, ist Scheidungsanwältin in Ôsaka. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist Autorin zahlreicher populärer Bücher, in denen sie für eine partnerschaftliche Ehe eintritt.
Nach meiner Ankunft im Sommer 1988 ist sie die erste Interviewpartnerin für dieses Buch. Ich fahre dementsprechend angespannt mit dem Hankyu-Superexpress von Kyôto ins nahe Ôsaka. Die Begrüßung läßt alle Aufregung schwinden. Matsuo Michiko wirkt mädchenhaft mit ihren Stirnfransen, dem Zopf und ihrer herzlichen Art. Ihre Stimme ist hell und angenehm. Es gibt keine Barriere. Ich möchte etwas wissen und sie möchte es mir erklären.
Ich arbeite jetzt zwölf Jahre als Rechtsanwältin. In den ersten fünf Jahren gab es pro Jahr ein, zwei Scheidungsfälle. In den darauffolgenden Jahren haben die Scheidungen vehement zugenommen.
Im Vorjahr hatte ich über 100 Scheidungsberatungen durchzuführen. Wirklich zum Scheidungsgericht gehen natürlich weniger. Die Frauen, die herkommen, denken aber immerhin: "Ich möchte mich scheiden lassen. Wie kann ich das ohne Nachteile für mich oder wie kann ich das mit Vorteilen für mich erreichen?"
Ich berate sie, zum Beispiel in bezug auf Geld und die Kinder. Es gibt solche, die bekommen, was sie wollen, und sich trennen, oder andere, die nicht erhalten, was sie fordern, sondern nur einen Teil und damit zufrieden sind, oder solche, die zur Schlichtungsstelle weitergehen, weil der Mann auf ihre Forderungen überhaupt nicht eingeht. Dieses Schiedsgericht ist eine Besonderheit des japanischen Scheidungsverfahrens.
Zu mir kommen zu 95 % Frauen. Männer kommen kaum zur bloßen Scheidungsberatung. Der Grund dafür liegt, glaube ich, darin, daß Männer mehr in der Gesellschaft eingebunden sind (shakaikasarete iru) und sich besser auskennen. Frauen haben viel weniger Rechtskenntnisse als Männer.
Wenn Männer kommen, ist das meist auf der nächsten Stufe, weil sie die Sache selbst nicht in Ordnung bringen können und zu Gericht gehen wollen. Ungefähr 5 % meiner Klienten sind Männer, aber es kommen immer mehr.
Ich habe den Ruf, eine Anwältin zu sein, die Scheidungen gerne behandelt... Ich habe sehr viele Scheidungsfälle. Man glaubt, daß Frauen sich bei Scheidungsproblemen mehr einsetzen. Aber es gibt sehr wenig Rechtsanwältinnen - nicht einmal 10 %. Rechtsanwalt ist noch immer für eine Frau ein ausgefallener Beruf.

Das japanische Scheidungssystem

Es gibt vier verschiedene Arten von Scheidungen im japanischen Scheidungssystem: Die einvernehmliche Scheidung (kyôgi-rikon), die Scheidung per Schlichtungsstelle (chôtei-rikon), die Scheidung per Urteil (shinpan-rikon) beim Familiengericht und die gerichtliche Scheidung (saiban-rikon).
Einvernehmliche Scheidungen sind weitaus am häufigsten: Über 90 % der Scheidungen verlaufen in Japan ohne Einschaltung von Anwälten oder Gerichten. Zwischen 7 und 8 % der Scheidungen sind sogenannte Schlichtungsscheidungen. Gerichtliche Scheidungen machen den Rest aus. Sie kommen in Japan also fast nicht vor.
Die einvernehmliche Scheidung geht ohne Gericht vor sich. Es muß keine juridische Fachkraft beigezogen werden. Die beiden Betroffenen füllen ein Formular aus, unterschreiben und geben dieses beim Gemeindeamt oder Rathaus ab. Das ist alles!
Zwei "Zeugen" (shônin) müssen unterschreiben, aber dafür ist jeder gut, Freunde, Eltern, auch ein erdichteter Name reicht. Die Angaben werden von der Behörde nicht überprüft. Dort schaut man nur, ob alles ausgefüllt ist.
Die einvernehmliche Scheidung ist dann in Ordnung, wenn Mann und Frau wirklich auf gleicher Ebene zur Einsicht kommen, daß sie nicht mehr zusammenleben wollen.
Aber wenn es irgendetwas zu entscheiden gibt, dann heißt es aufpassen. Das Wichtigste ist, wer das Elternrecht - die "Obsorge" für die Kinder übernimmt.
Wenn unmündige Kinder da sind, muß ein Elternteil die Verantwortung übernehmen. Darüber müssen sich die Ehepartner bei jeder Art von Scheidung einigen.
Weiters geht es aber bei einer Scheidung auch um die Vermögensverteilung und Zahlungen für Ehepartner oder Kinder.
Die Frau kann vom Mann eine Art "Schmerzensgeld"(isharyô) bekommen: eine Art einmaliger Abfindung, eine Entschädigung, Derjenige muß sie entrichten, der den Grund zur Scheidung gesetzt hat. Daß der Mann eine Abfindung erhält, ist aber sehr selten, zum Beispiel, wenn die Frau den Ehemann wegen eines anderen verläßt. Viel häufiger kommt vor, daß der Ehemann jemanden anderen gerne hat und daher die Trennung möchte.
Diese Entschädigung ist in Japan äußerst niedrig. Im Durchschnitt liegt sie bei 200 000 bis 300 000 Yen. Selbst bei einer gerichtlichen Scheidung und nach langer Ehe ist die Obergrenze 500 000 Yen.
Weiters gibt es die Vermögensteilung (zaisan bunyo). Das betrifft die Güter, die beide seit der Heirat erworben haben und die Ersparnisse. In Japan laufen Sparvermögen, Haus oder anderer Besitz fast immer unter dem Namen des Mannes. Im Scheidungsfall ist das ein Nachteil für die Frau. Bei der Vermögensteilung spielt es keine Rolle, wer die Scheidung verursacht. Für Ehepaare, die lange verheiratet waren, ist Vermögensteilung eine arge Sache.
Weiters gibt es noch Alimente für gemeinsame Kinder (yôikuryô). Die Höhe hängt vom Einkommen des Mannes ab. Es gibt bei Gericht alle möglichen Formen der Berechnung. Gewöhnlich entscheidet das Familiengericht für Alimente in einer Höhe zwischen 20 000 und 50 000 Yen. Das ist sehr wenig. 20 000 Yen reichen kaum zum Essen. Bei der Berechnung wird zuerst abgezogen, was der Mann zum Leben braucht und von dem, was übrig bleibt, muß er einen Teil dem Kind geben. Der Gedanke liegt zugrunde, daß die Frau dankbar zu sein hat, wenn sie wenigstens 20000 bis 50000 Yen für die Kinder bekommt. Eigentlich ist es auch sein Kind. Aber das Gefühl herrscht vor, daß es eine um Gefälligkeit des Vaters geht, und die meisten Väter zahlen unwillig.
Im Formular, das die Grundlage für die einvernehmliche Scheidung ist, kommen finanzielle Zuwendungen und Vermögensteilung nicht vor. Die Partner müssen sich nur bezüglich des Elternrechtes entscheiden. Eine Frau, die sich scheiden läßt, muß also auf jeden Fall berufstätig sein. Meiner Ansicht nach ist es ein Schwachpunkt der einvernehmlichen Scheidung, daß sie nur die Regelung des Elternrechtes und nicht auch die Alimentation enthält.
Frauen, die sich rechtlich nicht auskennen, denken, daß es das Wichtigste für sie ist, die Kinder zu behalten. Sie schicken das Formular zum Standesamt und verschieben die Gespräche über das Geld auf "nachher". Der Mann denkt, mit dem Abschicken des Scheidungsformulares sei die Sache erledigt und sucht das Weite, weil er meistens zahlen müßte. Es kommt auch sehr oft vor, daß eine Frau nur mit den Kindern das Haus verläßt. Zwischen der einvernehmlichen und der gerichtlichen Scheidung liegt die Scheidung per Schlichtungsstelle. Das ist eine japanische Spezialität. Im Schlichtungskomitee sitzen drei Mitglieder, ein Richter und zwei Laien, ein Mann und eine Frau, "normale" Menschen mit Erfahrung. Sie hören die Kontrahenten an und beraten sie. Wenn daraufhin eine Einigung zustande kommt, nennt man das "Schlichtungsscheidung". Meistens ist das eine sehr gute Lösung. Bedingungen wie Vermögensteilung, Abfindung und Alimentation werden genau festgelegt.
Vom System her haben wir vier Arten der Scheidung, in der Praxis haben wir es aber vor allem mit der einvernehmlichen und der Schlichtungsscheidung zu tun.
In Japan gehen Partner, wenn sie sich nicht einigen können, nicht gleich zum Gericht. Das Schlichtungsgremium wird auf jeden Fall eingeschaltet. Für gerichtliche Scheidungen ist ein Scheidungsgrund nötig. In Japan gibt es 5 Scheidungsgründe nach dem bürgerlichen Gesetzbuch (Familienrecht):
1. Untreue (futei kôi). Das Wort bezeichnete ursprünglich nur weibliche Untreue. Es gibt für weibliche Treue das Wort "teisô", Reinheit, Keuschheit. Das ist mir sehr zuwider.
2. Böswilliges Verlassen (akui no iki). Wenn die Frau, die verlassen wird, Arbeit hat und sich erhalten kann, spricht das Gericht nicht von böswilligem Verlassen.
3. Mehr als drei Jahre Unklarheit über Leben und Tod (sannen ijô seishi fumei). Das ist akut, wenn die Frau zum Beispiel wieder heiraten will. Diese Art von Scheidung kann ein Partner allein herbeiführen.
4. Unheilbare Geisteskrankheit (kaifuku funôna seishinbyô). Eine leichte Neurose gilt nicht als Scheidungsgrund, nur eine schwere Geisteskrankheit. Menschlich gesehen ist das sehr zweifelhaft. Wir haben ein System, das zustimmt, daß Kranke in Stich gelassen werden. Die japanischen Gerichte schauen allerdings darauf, daß die Zurückgelassenen genug Geld zum Überleben haben. Das kommt als Scheidungsgrund selten vor.
5. Wichtige Gründe, die eine Fortsetzung der Ehe unmöglich machen (konin o keizoku-shi-gatai jûdaina jiyû). Dieser Grund ist jetzt in Japan ein ziemliches Problem.
Seikaku no fuitchi - charakterliche Unvereinbarkeit - ist in Japan ein Modewort geworden. Wenn die Gründe 1 bis 4 nicht zutreffen und die Ehe doch nicht gut geht, sagt man, der Charakter von Mann und Frau hätten von Anfang an nicht zusammengepaßt, die Ansichten über die Lebensführung unterschieden sich etc., kurz, daß die beiden nicht zusammenpassen.
Häufig werden solche Argumente vorgebracht, wenn der Scheidungswunsch von der Ehefrau kommt.

Untreue

Das jetzige Zivilrecht wurde nach dem Krieg gemacht. Im alten bürgerlichen Recht von 1898 gab es sehr eigentümliche Scheidungsgründe. Frauenrechte waren nicht existent. Als Beispiel aus dem bürgerlichen Gesetzbuch der Meiji-Verfassung will ich nur die Untreue nennen: Wenn eine Frau untreu war, konnte sich der Mann sofort scheiden lassen. Umgekehrt war dies nicht der Fall. Es gab das "Verursacherprinzip". Ein Mann, der mit einer anderen Frau Beziehungen hatte, wurde nach dem Strafgesetz bestraft, wenn diese Frau die Gattin eines anderen war. Erst, wenn der Mann nach dem Strafgesetz verurteilt war, konnte sich die Frau scheiden lassen. Sonst war Untreue des Mannes kein Scheidungsgrund. Eine Frau konnte wegen Untreue eingesperrt werden, der Mann blieb straffrei, wenn die Geliebte alleinstehend war! Die Einstellung herrschte vor, daß die Untreue des Mannes in Ordnung ist. Nur, wenn er die Rechte eines anderen Mannes störte, wurde er bestraft. Nach 1945 wurde das Strafgesetz geändert. Grundlegendes Prinzip wurde die Gleichheit von Mann und Frau. Daher ist bei den fünf Gründen kein Bezug auf das Geschlecht gegeben, sondern es wird nur von Ehepartnern (haigûsha) gesprochen. Aber tatsächlich schwingt die unterschiedliche Beurteilung der Untreue von Frau und Mann bei den Schlichtungsverfahren noch immer mit. Man ist großzügig gegenüber der Untreue eines Mannes, einer Frau verzeiht man auch einen einmaligen Seitensprung nicht.
Oder - es ist wirklich zum Genieren - japanische Männer haben oft sexuelle Beziehungen einfach zum Vergnügen, und nicht, weil sie sich verliebt haben. Es gibt viele Männer, die das in Ordnung finden. Da gibt es den "turko-pool" - jetzt sagt man nicht mehr so, weil das die Türkei diskriminiert - jetzt sagt man "soap-land". Man findet nichts dabei, wenn die Männer ins "Seifenland" gehen oder nach Südostasien fahren und dort mit Prostituierten schlafen. Hält ihnen die Ehefrau das vor, sagt ein Großteil der Japaner: ,,Otoko da kara, ii de wa nai ka" - ,,Da ist doch nichts dabei, er ist doch ein Mann!"
Oder: "Wenn er nicht jemanden anderen wirklich lieb hat, macht das doch nichts!" Man verzeiht es dem Mann, wenn er es mit der anderen Frau nicht ernst meint!
Diese Einstellung, daß es nichts Besonderes ist, wenn ein Mann ab und zu eine Prostituierte aufsucht, herrscht auch bei der Schlichtungsstelle vor.

F.: Hat die Untreue der Frauen wirklich zugenommen?
Ja. Zahlenmäßig wirkt sich das nicht so aus, aber seit Frauen außer Haus arbeiten, haben sie auch mehr Gelegenheit, mit anderen Männern als den Ehemännern zu verkehren. Daher wird viel davon geredet, daß die Untreue der Frauen häufiger geworden sei. Konkret als Ursache für eine Scheidung kommt Untreue selten vor. Ich habe bisher zwei Fälle gehabt, in denen eine Frau untreu war und der Mann die Scheidung verlangte. In solchen Fällen gibt es aber fast immer Gründe, die für die Frau sprechen, daß sie zum Beispiel vom Mann kühl und gleichgültig behandelt wurde oder daß er ihr vorher untreu war. Nur - wenn eine Frau untreu ist, wird das wahnsinnig aufgebauscht.
Wenn es so etwas wie ein "Recht auf Untreue" für Männer und Frauen gibt, so werden Frauen diesbezüglich noch sehr stark diskriminiert.

F.: Welche Gründe machen "die Fortsetzung einer Ehe unmöglich"?
Zum Beispiel Gewaltanwendung, sexuelle Unzufriedenheit, auffälliges Verhalten, Krankheiten, Verlassen der Familie, Vernachlässigung der Familie. Japan ist ein Land der "Arbeitswütigen". Dieses Element trifft man auch hier an. Der Ehemann kommt erst spät in der Nacht heim, am Sonntag geht er mit Kollegen Golfspielen. Er kümmert sich überhaupt nicht um die Familie.
Auch Konflikte mit der Schwiegermutter oder anderen Mitgliedern der Familie des Mannes spielen herein. Jetzt wird in Japan von der "Kernfamilie" gesprochen. Aber auch wenn man nicht mit der Schwiegerfamilie zusammenwohnt, wird erwartet, daß man die Eltern des Mannes wichtig nimmt. Diese Dinge finden in die Urteile der Gerichte Eingang. Weiters kommt es vor, daß der Mann kein Geld für die Lebenskosten hergibt. Das ist ein häufiger Scheidungsgrund von Seiten der Frauen.
Altersmäßig lassen sich bisher viele Leute zwischen 30 und 40 scheiden. Langsam nehmen auch die Scheidungen der Älteren zu, die Zahl der Scheidungen von über 50jährigen hat sich seit Mitte der Siebzigerjahre verdoppelt.
Ich möchte aber von einer Besonderheit der japanischen Scheidung von heute unbedingt sprechen: Sowohl von meiner Beratungstätigkeit in der Kanzlei her wie auch, was ich bei der Schlichtungsstelle und bei Gericht beobachte, fällt mir ein Phänomen am meisten auf: die Scheidung der 20jährigen.

Die Scheidung der Zwanzig- bis Dreißigjährigen

Das Heiratsalter der Frauen liegt bei 25. Es gibt viele junge Leute, die zur Zeit der Eheschließung und Geburt von Kindern noch nicht erwachsen sind. Japan wird oft kritisiert, weil man hier mit materiellen Gütern verschwenderisch umgeht. Als ich ein Kind war, um 1950, nahm man diese Dinge sehr wichtig. Aber heute ist die gesamte japanische Atmosphäre so: Eher etwas Neues kaufen, als etwas Altes reparieren. Große Firmen wollen Geschäfte machen. Wenn etwas kaputt wird, wirft man es weg. Die jungen Leute, die jetzt heiraten, sind in diesem Sinne erzogen worden. Für sie ist Heirat ein "Geschäft". Braut oder Bräutigam sind "Dinge". Sie wollen eine qualitativ hochstehende Ware. Aber Braut und Bräutigam sind Menschen, die auch schlechte Eigenschaften haben. Es könnte trotzdem gut gehen, wenn die beiden aufeinander eingehen. Das Eheleben besteht daraus, daß die Partner sich bemühen, sich anzupassen und gut miteinander auszukommen. Diese jungen Leute können das überhaupt nicht. Sie beschließen sofort, daß sie nicht zusammenpassen und geben die Ehe auf. Hilfestellung dabei leisten die Eltern!
Die Eltern sagen: "O, du magst ihn nicht mehr, dann komm doch zurück!" "Komm schnell zurück zu uns. Mit so einem widerlichen Kerl brauchst du nicht zusammenbleiben."
In Wirklichkeit ist es ein langer Prozeß, sich anzupassen und das Eheleben zu gestalten. Aber diese Geduld haben sie nicht. Oft ist die Ehe schon nach einem halben Jahr zu Ende.

F.: Ist das häufig bei arrangierten Ehen?
Nein, auch bei Liebesheiraten (renai-kekkon). Unter jungen Leuten ist Liebesheirat viel häufiger. Bei arrangierten Heiraten (miai-kekkon) kommt es übrigens oft vor, daß sich Liebesgefühle einstellen.
Reine miai-Ehen sind schon sehr selten geworden. Auch wenn die Eltern das miai arrangieren, wird nicht geheiratet, soferne die Hauptpersonen das ablehnen.

F.: Sind die Eltern in den Fällen, in denen sie selbst die Ehepartner ausgesucht haben, nicht eher gegen eine Scheidung?
Die Scheidung der jungen Leute hat mit miai oder renai nichts zu tun. Oft wird eine herrliche Hochzeitszeremonie ausgerichtet. Die Eltern geben Unmengen Geld aus, und trotzdem sagen sie dann zu ihrem Kind: "Komm schnell zurück!".
Die psychologische Trennung von Kind und Eltern ist nicht durchgeführt. Die Japaner bekommen nur wenig Kinder. Die Eltern sind einsam, wenn die Kinder heiraten. Sie sind froh, wenn sie wieder nach Hause zurückkommen, alles ist wieder lebendiger.
Es gab in Japan vor einigen Jahren den ojôsama-bûmu. Ojôsama bedeutet soviel, wie "ein verwöhntes Töchterchen aus gutem Haus". Es gab die entsprechende Mode, das dauerte zirka ein Jahr. Diesen Trend ironisierend spreche ich von der ojôsama-kekkon (Heirat) und ojôsama-rikon (Scheidung). Diese jungen Frauen denken, Heirat ist in erster Linie etwas Angenehmes, Lustvolles (tanoshii). Die Eltern verwöhnen die Kinder und halten es für das Wichtigste, daß sie für die Schule lernen. Nach der Universität werden die Töchter berufstätig, arbeiten hart und kommen spät nach Hause. Die Hausarbeit machen die Mütter allein. Daher können die Töchter weder kochen noch waschen etc., obwohl sie erwachsen sind. Aus dieser Situation heraus heiraten sie dann.

F.: Gibt es eine Teilung der Hausarbeit?
Auch wenn beide Partner arbeiten, macht meistens die Frau alles allein, selbst dann, wenn sie sich das vor der Ehe anders erwartet hat. Die Männer haben diesbezüglich erst recht kein Training.
Ob sie berufstätig ist oder nicht, die Hausarbeit bleibt also bei der Frau. Wenn sie keine Übung darin hat, könnten die Ehepartner sich gemeinsam an die Sache machen oder aus Büchern lernen. Die jungen Frauen vermeiden das aber auch. Sie hängen noch stark von ihren Eltern ab. Oft wohnen sie in der Nähe der Eltern. Die Mutter kocht das Abendessen, die Frau wärmt es nur auf. Oder die junge Frau kauft das Essen im Supermarkt. Man kann alles kaufen - bis zum gekochten Reis. Das setzt sie ihrem Mann vor. Der weiß oft gar nicht, daß sie nicht kochen kann. Sie verheimlicht es vor ihm, denn auch sie trägt in sich noch stark die Vorstellung, daß Hausarbeit Frauensache ist. Teilung der Hausarbeit ist eine Idee, die im Bewußtsein noch schwach verankert ist.
Dann kommt ein Kind. Jetzt gibt es die Hausarbeit, die sie nicht kann und die Kindererziehung, die auch eine anstrengende Sache ist. Eine Art Panik-Situation entsteht. Erziehungsneurose (kosodate no noirôze) kommt bei jungen Müttern häufig vor. Viele junge Frauen waren auf der Universität, lesen Bücher über Erziehung und erfahren von den Krankenschwestern bei der Geburt, was sie machen sollen. Sie haben oft das Gefühl, diese Aufgabe nicht perfekt erfüllen zu können. Oder der Mann bemerkt jetzt zum ersten Mal, daß er eine Frau hat, die nichts kann. Wenn er das begreift, ist das für die Frau ein großer Schock. Und für ihn. Jetzt könnten sie sich vornehmen, diese Situation gemeinsam zu bewältigen. Aber das ist nicht der Fall. "Ach, meine Frau ist nichts wert!" "Ach, mein Mann hilft mir überhaupt nicht, jetzt, wo ich nicht aus noch ein weiß!" Und sie geht mit dem Kind zu den Eltern zurück. Oder - die meisten Frauen gehen zum Gebären sowieso ins Elternhaus zurück - sie bleiben bei den Eltern und kehren nicht mehr zum Mann zurück. Das ist der einfachste Weg. An die Zukunft denken sie nicht viel. Nur von Augenblick zu Augenblick.

F.: Was tun sie, wenn die Eltern sterben?
Daran denken sie nicht. Die Eltern sind ja noch verhältnismäßig jung, so um die 50. Auch das Geld für die Lebenskosten kommt vom Vater. Es handelt sich in diesen Fällen eher um junge Frauen, die nicht gearbeitet haben. Die leben nun bei den Eltern, lassen sich scheiden, arbeiten ein bißchen Teilzeit, aber nicht soviel, daß sie sich und ihr Kind selbst ernähren könnten. Sie haben nicht das Gefühl, daß sie sich selbst erhalten müßten. Für die Eltern ist das oft finanziell sehr hart und sie brauchen für ihre Kinder die Ersparnisse auf, die sie für das Alter auf die Seite gelegt haben.
Verglichen mit der Gesamtbevölkerung handelt es sich dabei sicher um wenige Fälle, aber es sind doch auffällig mehr geworden - eigentlich eine beunruhigende Situation. Ich denke mir, daß eine Frau bis zur Heirat oder zur Geburt des Kindes erwachsen sein sollte. Diese Frauen sind nicht erwachsene Erwachsene. Sie sind privilegiert, weil sie zu den Eltern zurückkönnen.
Der größere Teil kann nicht zu den Eltern zurück. Für sie bedeutet das ein großes Elend. Sie müssen den Zustand aushalten, ob sie wollen oder nicht. Viele junge Frauen hörten bei der Heirat oder bei der Geburt zu arbeiten auf. Während die Kinder noch klein sind, wird der Mann untreu oder gewalttätig. Die Frau kann sich nicht scheiden lassen, obwohl sie das gerne möchte, weil sie wirtschaftlich nicht eigenständig ist. Oder sie läßt sich scheiden und hat keine Wohnung und niemand, der auf das Kind aufpaßt. Mieten sind sehr teuer. Man muß im vorhinein eine hohe Kaution zahlen. Wenn der Mann auch mit der Scheidung einverstanden ist, verdient er doch nicht so viel, daß sie von ihm Geld bekommen könnte. So bleiben viele Frauen, obwohl Körper und Herz vom Mann entfernt sind, doch aus wirtschaftlichen Gründen bei ihm. Solche Frauen kommen zu mir.
Unlängst rief eine junge Frau an. Es gibt in Japan eine Institution, die "inochi no denwa " heißt, "Lebenstelefon", eine Art Notruftelefon auf freiwilliger Mitarbeitsbasis. Eine Freundin macht dort mit und bat mich, diese Frau anzuhören. Sie wolle mit ihrem Kind gemeinsam Selbstmord begehen (oyako shinjû), weil ihr Mann sie mit einer ihrer Freundinnen betrog. Als sie merkte, daß sie sowohl vom Mann wie auch von der Freundin verraten worden war, verlor sie jegliches Vertrauen. Das Kind war nicht einmal ein Jahr alt. Die Eltern wohnen weit weg und sind sehr altmodisch, sie würden einer Scheidung nicht zustimmen. Sie war wirklich völlig verlassen. Sie wisse keinen Ausweg als zu sterben. Ich hörte ihr eine Stunde am Telefon zu. "Sie können sich umbringen, aber Ihr Mann wird sich nur freuen. Vielleicht wird er wieder heiraten. Niemand wird traurig sein. Alle werden froh sein. Wenn Sie das wollen... Sie tun nur sich selbst etwas an, sonst niemandem!" "Was soll ich tun?" "Darüber müssen Sie selbst nachdenken!" Sie kam dann mit dem Kind her. Sie fände keine Arbeit, sagte sie. Ich meinte, sie müßte sich schon ein bißchen anstrengen, das Kind in den Hort geben. Dann wäre das Kind arm. "Aber Kinder mit einer traurigen Mutter wie Sie eine sind, sind noch ärmer. Suchen Sie schnell eine Arbeit", riet ich ihr. "Fangen Sie einmal an, dann kriegen Sie auch mehr Selbstvertrauen". Aber es war nichts zu machen. Sie setzte keinen Schritt.
Nach zirka einem Jahr kam sie wieder - mit einem zweiten Kind! Jammerte, jammerte. Sie dachte wohl, bei einem zweiten Kind würde der Mann zu ihr zurückkommen. Doch es war genau wie vorher bzw. noch schlimmer.
Es gibt auch die sogenannte kateinai rikon, Scheidung in der Familie. Das Ehepaar lebt zwar zusammen, gibt sich nach außen als Ehepaar, redet aber nichts miteinander und macht keinen Sex. Das kommt auch unter jungen Leuten vor. Aus Berechnung (dasan), weil Frauen wie diese junge Frau allein nicht überleben können. Auch beim Mann ist es Berechnung. Scheidung wird zwar nach und nach gesellschaftlich immer anerkannter, aber am Arbeitsplatz ist es doch noch ein Minus. ,,Der ist ein geschiedener Mann!" -heißt es abfällig. Der Vertrauensgrad sinkt etwas. Anderseits - wie immer die Ehe von innen her aussieht, er ernährt seine Familie ordentlich. Das allein reicht schon für das Vertrauen der Gesellschaft. Liebe oder Sex liefern ihm Frauen außerhalb der Familie. Für das Alltagsleben und das Ansehen in der Firma ist die Ehefrau vorhanden.

F.: Wo holt sich die Ehefrau Liebe und Sexualität?
Sie hat das überhaupt nicht, sie hat nur die Liebe zu den Kindern. Daher kann sie sich von den Kinder nicht trennen. Diese junge Frau, von der ich erzählt habe, wird sich vielleicht über 50 Jahre lang in so einer Situation befinden. Das ist häufig, keineswegs besonders ausgefallen.
Und Frauen mit 50, 60, die solch ein Leben geführt haben, sagen jetzt oft, sie wollen sich scheiden lassen. Die Kinder sind schon groß. Von jetzt an können sie ihr eigenes Leben (jibun no jinsei) führen. Sie haben zwar kaum Geld, aber für sich allein können sie schon sorgen, als Bedienerin oder mit ähnlichen Arbeiten. Das nennt man "Scheidung in reifen Jahren" (jukunen-rikon).Diese Leute haben Stärke entwickelt. Aber die jungen Frauen bringen das nicht zustande.
Ich denke mir oft: "Was sind das nur für unselbständige Frauen - ob sie nun zu den Eltern zurückgehen oder beim Mann bleiben, den sie nicht mögen. Wäre nicht jedes andere Leben besser, allein mit dem Kind!" Aber in Japan gibt es dieses "Mittelstandsbewußtsein". Es ist unmöglich, ohne einen gewissen Lebensstandard zu existieren. Ältere Frauen können das eher auf sich nehmen, weil sie in der Jugend Armut kennengelernt haben.

F.: Heiraten geschiedene Frauen oft noch einmal?
80 % der Frauen nehmen heute bei der Scheidung ihre Kinder mit. Diese sind unmündig. Es ist nötig, sie zu erziehen und für den Lebensunterhalt zu sorgen. Für Liebschaften (renai suru) gibt es wenig Gelegenheit oder besser, keine Zeit. Außerdem gibt es das immer noch, das abfällige: ",Eine geschiedene Frau... (wakareta onna)." Frauen wiederum haben das Gefühl, es wäre schlecht für ihr Kind, wenn sie wieder heiraten. Wenn die Kinder dagegen sind, heiraten die Frauen nicht. In Japan ist die Idee von der weiblichen Treue (teisô) noch stark verankert. Viele Frauen denken sich auch: "Einmal heiraten im Leben ist genug." Einerseits gibt es für eine Wiederverheiratung wenig Gelegenheit, anderseits sind die Frauen selbst dazu nicht bereit. Bei Männern ist die Wiederverheiratungsrate sehr hoch, bei Frauen sehr gering.
Den geschiedenen Frauen, mit denen ich verkehre, geht es gut. Einige Frauen haben eine Gruppe gebildet. Sie arbeiten, erziehen ihre Kinder und kriegen von den Männern ein bißchen Geld für sie. Sie sind gut aufgelegt, leben eigenständig und das gibt ihnen viel Kraft und Vitalität. Sie haben Liebschaften (renai wa suru), aber für eine engere Beziehung haben sie nichts mehr über. Sie sind durch Schaden klug geworden. In einer Liebesbeziehung machen sie gleichberechtigt mit dem Freund alles Mögliche, aber nach der Heirat ändern sich die Männer, denken nur mehr an die Arbeit während die Frauen berufstätig sind und für die Familie da sein müssen. Sie fürchten, daß der Liebhaber nach der Heirat wie der frühere Ehemann wird. Weil sie lieben, sind sie seelisch und sexuell zufrieden. Wirtschaftlich sind sie unabhängig. Diese Frauen halten eine Wiederverheiratung für einen Blödsinn, wo sie doch endlich die Freiheit erlangt haben! Auch auf sexuellem Gebiet haben sie jetzt die Freiheit, selbst zu wählen. Solche Frauen verdienen durchschnittlich 120 000 Yen. Das ist für eine Mutter mit zwei Kindern sehr knapp. Aber sobald ein Mann Geld hergibt, will er den Ton angeben!
Ich glaube, daß es gut ist, wenn es immer mehr Frauen mit dieser Einstellung gibt. Und ich möchte, daß die Männer darüber nachdenken. Männer heiraten großteils wieder, weil sie unselbständig sind und für die Hausarbeit und die Kindererziehung jemanden brauchen.

F.: Mit wem sprechen sich Frauen aus?
Eine normale Hausfrau hat keine engen Vertrauten. Auch wenn sie arbeiten geht, hat sie wenig Vertraute. Sie schweigt. Sie spricht nicht über den Streß, ihre Sorgen und Freuden. Mit den Ehemännern sprechen sie nicht. Daß es Freundinnen gibt, kommt selten vor. Bei der Heirat hören die Frauen oft auf, mit ihren Freundinnen zu verkehren, vor allem, wenn sie in den Haushalt gehen (ie ni haitte shimau).

F.: Bei uns ist ein Element von "Liebe" die Fähigkeit zu vertrauten Gesprächen.
Bei uns ist das nicht so. Daß Ehepartner vertraute Gespräche führen, kommt selten vor. Sehr selten. Sie haben keine Zeit. Die Männer kommen spät heim.
Ich spreche schon mit meinem Mann. Wir haben auch wenig Zeit... Anscheinend ist es doch kein Zeitproblem! Die Männer sind oft zu müde zum Reden. Die Frau weiß, daß er ihr nicht zuhört und hört auf, mit ihm zu reden. Japanische Ehepaare lassen sich gegenseitig sehr gehen (sugoi amaete iru no desu). Sobald sie einmal verheiratet sind, glauben sie, der Ehemann oder die Ehefrau wäre ihnen auf ewig sicher. Obwohl jetzt die Scheidungen häufiger werden, meinen sie trotzdem, ihre Familie sei eine Ausnahme, da könne so etwas nicht vorkommen. Der Gesichtsausdruck des Mannes oder der Frau, oder was er bzw. sie denkt, interessiert die Ehepaare überhaupt nicht. Darüber nachzudenken, ist unnötig. Eine Mutter überlegt sich bei den Kindern solche Dinge, aber der Mann bekümmert sie nicht. Der Mann bringt Geld heim, und wenn er der Frau dazu noch treu ist, hält er sich für einen guten Ehemann. Beide fühlen keine Notwendigkeit, miteinander zu reden.

F.: Fühlen sich diese Frauen nicht einsam?
Ich glaube, sie sind einsam. Aber so sind die normalen Ehepaare.
Zu mir kommen natürlich nur problematische Ehepaare. Unter meinen Freundinnen gibt es Ehepaare, die sich aussprechen und gemeinsam Dinge unternehmen. Aber ich denke doch, daß es im allgemeinen wenig solcher Paare gibt.
Im gegenwärtigen Japan gibt es keine "Modellfamilie", an der sich die Menschen orientieren können. Bis vor zehn Jahren zirka zeigte das Fernsehen in den Familiendramen Familien. Die Mutter kochte, räumte auf, der Vater ging zur Arbeit und aß mit der Familie, nachher las er... Und die Mutter lächelte immer. Der Vater lächelte nicht. Doch wenigstens die Mahlzeit aß er mit der Familie und hörte zu, was die Mutter und die Kinder miteinander sprachen.
Jetzt gibt es keine Familiendramen mehr, in denen die Familie gemeinsam ißt. Nur Mutter und Kinder. Oder die Mutter allein, schaut auf die Uhr, aha, jetzt ist der Sohn in der Nachhilfeschule, der Vater trinken. Dann kommt der Sohn nach Hause, später, um zirka zehn oder elf Uhr der Vater. Die Familie als Einheit gibt es nicht mehr. In einer solchen Atmosphäre erzogene Kinder können, wenn sie selbst heiraten, keine Familie mehr schaffen.
Die jetzt Zwanzig- bis Dreißigjährigen haben kein Vorbild gehabt. Es gab zu Hause keine Konversation der Ehepartner. Sie haben nur die Rollenverteilung der Eltern gesehen. Liebe (renai) ist etwas anderes. Darüber wissen sie Bescheid. Aber wie sie sich nach der Heirat als Ehefrau verhalten sollen, das wissen sie nicht.
Es herrscht eine eisige (tsumetai) Atmosphäre, kein Streit, kein warmes Gespräch. Zwischen den Ehepaaren existiert eine schreckliche Oberflächlichkeit.
Die Japaner kaufen ein Haus und lassen den Kindern eine gute Erziehung zukommen. Das ist das äußere Erscheinungsbild der Familie (kazoku no sugata). Egal, wie zerfallen im Innern auch alles ist, die Gesellschaft schätzt, wenn ein Haus da ist, die Kinder eine gute Schule besuchen und der Mann eine gute Stellung hat. Dann wird auch die Ehefrau geschätzt und gelobt. Wenn die Frau aus eigener Kraft etwas erreicht, wird das nicht so hoch eingeschätzt.
Es gibt heute viel mehr Frauen, die arbeiten gehen. Aber - wie soll ich das sagen - ihre Durchhaltekraft reicht nicht aus. Ich arbeite seit der Universität in einer Männergesellschaft unter ziemlich harten Bedingungen. Vielleicht sind Frauen wie ich sehr privilegiert. Wir sind Spezialistinnen, das ist beneidenswert. Die meisten Frauen sind keine Spezialistinnen, sondern Bürokräfte, heiraten, kriegen Kinder, können deswegen nicht mehr weiterarbeiten. Später, schon nahe 40, wollen sie wieder etwas Eigenes machen. Firmen nehmen Frauen dann meistens nur als Teilzeitbeschäftigte auf. Der Gehalt ist niedrig, und mit dem Inhalt der Arbeit sind sie nicht zufrieden. Außerdem anerkennen die Ehemänner diese Tätigkeit nicht als vollwertige Arbeit, nur als "Zeitvertreib" (hima-tsubushi) oder als "Taschengeld verdienen" (kozukai-kasegi). Wenn die Frauen dann sagen: "Komm früher heim, hilf bei der Hausarbeit mit!", sagen die Männer:
"Wenn du so eine Arbeit wie die Frau Matsuo machtest, würde ich dir helfen, aber du arbeitest nur Teilzeit, da brauche ich dir nicht helfen." Die Frauen arbeiten aber nicht nur zum "Zeitvertreib", sondern sie verdienen das Geld für die Nachhilfeschule der Kinder oder um die Raten für das Haus zurückzuzahlen. Das ist kein "Zeit-Totschlagen". Und trotzdem sagen die Frauen: "Mein Mann läßt mich arbeiten gehen (hatarakasete moratte iru)." Die Frau hat das Gefühl, der Mann "erlaube" ihr, arbeiten zu gehen. Es gibt noch viele sanfte Frauen, sogenannte yamato nadeshiko, "Nelken von Yamato".
Aber unter den Frauen gibt es auch viel Unzufriedenheit. Die können sie nirgends auslassen, nur an den Kindern. Für Liebe und für Unzufriedenheit, dafür haben sie nur die Kinder.

Michiko Matsuo und ihre eigene Familie

Ich wurde 1977 Rechtsanwältin, heiratete 1980 und habe zwei Buben mit sieben und neun Jahren. Mein Mann ist ein Jahr älter und auch Rechtsanwalt. Ich habe meinen Mann während des Studiums kennengelernt, 1967. Vor der Heirat betonte er die Gleichberechtigung. Während des Studiums wohnte er allein und konnte ein einfaches Essen zubereiten, Wäsche waschen, aufräumen. Für einen japanischen Mann ist das ganz super, für eine Frau wäre es höchstens Klasse D!
Bevor die Kinder auf die Welt kamen, kochte immer ich, er nie. Das machte mir Probleme. Wenn ich etwas andeutete, meinte er, wir könnten auswärts essen. Ich wollte aber, daß wir abwechselnd kochten. Wenn er wirklich einmal kochte, wusch er nicht ab, meinte, er würde morgen abwaschen. Nach drei Jahren kam das erste Kind. Ich arbeitete nach zwei Monaten weiter. Das Kind gab ich in einen Hort. Er brachte es hin, ich holte es ab. Wir konnten nun gar nicht mehr auswärts essen. Die Windeln ließen wir auswärts waschen. Ich lasse außer Haus erledigen, was möglich ist. Meistens wird es jetzt gegen sieben Uhr abends, bis wir die Kinder treffen. Die Kindererziehung habe fast nur ich gemacht. Auch ich war bei der ersten Geburt einen Monat bei meinen Eltern in Ôsaka. So hat mein Mann dieses wichtigste Monat nicht miterlebt. Beim zweiten Kind blieb ich eine Woche im Spital und ging dann sofort nach Hause. Meine Mutter war krank, so mußte er diesmal von Anfang an helfen. Er begriff, daß Kinderpflege viel Arbeit ist, und von da an half er immer mit.
Das nennt man "Erziehung des Ehemannes" (otto-kyôiku). Mein Mann ist ein guter Mensch und hat die Kinder lieb, darum lernte er das auch. Wenn er heimkommt, ist es oft neun Uhr. Die Kinder warten auf ihn. Seit heuer hat sich mein Mann auch positiv in bezug auf die Hausarbeit verändert. Wenn er früher nach Hause kommt, kocht er das Abendessen. Letztes Wochenende hatte ich außer Haus zu tun. Er machte am Sonntag O-Sushi (rohen Fisch), gedünstetes Fleisch etc. Er ist jetzt sehr positiv eingestellt. Es scheint ihm wirklich Spaß zu machen.

Als Kotaro zum Muttertag kochte...

Mein älterer Sohn ist neun Jahre alt. Am Abend vor dem Muttertag fragte er mich, was ich mir wünsche. "Koche uns was Gutes", sagte ich. Es gibt bei uns eine Menge Kochbücher. Er schaute sie an und machte mittags kalte Nudeln und am Abend Reis mit Tintenfisch. Er kaufte selbst ein und wusch auch ab. Er machte alles allein. Seit damals hat sich mein Mann verändert. Vielleicht hat er eine Art Rivalität mit dem Buben entwickelt. Es ist wirklich nötig, daß die Kinder von klein auf Erfahrung mit der Hausarbeit haben. Ich habe das Gefühl, daß in unserem Fall der Sohn den Vater beeinflußt. Die Kinder helfen mit, wir schneiden zum Beispiel zusammen das Gemüse. Der Kleine schneidet grob, der Große feiner. Die Mutter soll es zulassen, wenn ein Kind etwas machen möchte. Oft wird gesagt, das sei gefährlich. Meine Kinder haben sich noch nie weh getan. Die Mutter muß die Kinder in die Küche lassen und auch den Mann, ohne zu schimpfen, wenn sie ein bißchen schmutziger wird als sonst.

Viele kleine Explosionen

Vielleicht hat sich mein Mann so verändert, weil er beobachtete, daß ich wirklich sehr viel zu machen habe.
Japanische Frauen beklagen sich bei ihren Männern nicht, wenn es ihnen schlecht geht. Sie sagen nichts, halten durch, und auf einmal gibt es eine Explosion und sie wollen die Scheidung. Das ist der falsche Weg. Ich zeige immer meine Belastung. So gab es nicht eine große Explosion, sondern viele kleine Explosionen.

Auf meinen Neujahrsbrief 1990/91 antwortete Michiko Matsuo erst im April, weil sie sehr im Streß sei und sich in ihrem Privatleben in den vergangenen drei Jahren überhaupt nichts verändert habe. Auch die Situation in bezug auf Scheidungen in Japan sei seit 1988 im wesentlichen gleich geblieben.1) Von einer japanischen Freundin höre ich, daß Michiko Matsuo neben ihren anderen Aktivitäten jetzt auch gemeinsam mit ihrem Mann in einer auflagenstarken Frauenzeitung Scheidungsberatung gibt.
1) Nur in Bezug auf die Länge der Trennung, nach der eine Scheidung auf Verlangen des Ehepartners, der die Scheidungsursache setzt (yûseki haigûsha), ausgesprochen werden kann, ergab sich durch höchstgerichtliche Entscheidungen seit dem September 1987 eine Änderung. Lange Zeit gaben höchstgerichtliche Urteile der Forderung nach Scheidung durch den Ehegatten/Ehegattin, der die Verantwortung für die Scheidung hat, nicht statt. Nach dem Urteil vom 2.9.1987 ist dies unter den folgenden drei Voraussetzungen möglich:
(a) Der Zeitraum, während dem die Ehegatten getrennt lebten, muß der Länge des Zusammenlebens entsprechen.
(b) Das Ehepaar hat keine unmündigen (miseijuku) Kinder.
(c) Durch die Scheidung entsteht für den anderen Ehepartner keine übermäßige seelische, soziale und wirtschaftliche Härte (kakoku).
Bei dem Urteil vom 2.9.1987 hatten die Ehegatten 36 Jahre in getrennten Haushalten gelebt. Dieser Zeitraum wurde bei weiteren Urteilen bis zum Jahr 1990 auf sieben Jahre verkürzt. Aber bei einem Scheidungsantrag eines die Scheidung verursachenden Partners des Jahres 1988 anerkannte man nicht eine achtjährige Trennung. Denn, wie Michiko Matsuo schreibt, es gibt noch immer keine endgültige Festlegung der Anzahl von Jahren des getrennten Haushaltes, nach denen eine Scheidung auf Ansuchen durch den dafür verantwortlichen Ehepartner möglich ist. (Da immer öfter Frauen von sich aus die Scheidung einreichen, ist das eine für scheidungswillige Frauen wesentliche Problematik).

Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at