Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

Fukuko I., 50, Tôkyô, 2. August 1988

Und bei der Arbeit singe ich nicht...

Fukuko I.
Die Sozialwissenschaftlerin Itsuko Teruoka hat mir den Kontakt mit Frau I. vermittelt und begleitet mich. Fukuko I. wohnt in einem neuen Einfamilienhaus. Sie zeigt uns den mit Reisstrohmatten (tatami) ausgelegten Arbeitsraum: viele Nähmaschinen, Berge verschiedenfarbiger Samtvorhänge, die sie stolz hochhält. Ein Auftrag von einem gaijin-san, einem Ausländer!
Im Kellergeschoß ist eine Art Büro. Hier führen wir das Interview. Dabei sind ihr Enkelkind und ein kleiner Hund. Ich übergebe Frau I. wie allen Interviewpartnerinnen meine Visitenkarte und auch sie gibt mir eine Visitenkarte - mit dem Namen des Ehemannes.
Die Firma läuft unter seinem Namen...
Frau I. hat zwei Kinder. Die Tochter ist verheiratet, zur Geburt ihres zweiten Kindes aber ins Elternhaus zurückgekommen. Der Sohn ist 24, hat die Universität abgeschlossen und ist jetzt Angestellter. Er ist ledig und wohnt hier.
Wenn viel zu tun ist, stehe ich in der Früh um zwei oder drei Uhr auf. Ich setze mich sofort an die Nähmaschine. Wir schicken die Waren weit weg, nach Chiba, Gumma oder sogar nach Hokkaidô. Die Spedition holt die fertigen Waren zwischen sechs und sieben Uhr früh ab. Ich muß so früh aufstehen, damit ich rechtzeitig fertig bin. Wir verschicken fast jeden Tag fertige Aufträge. Wir arbeiten als Zulieferbetrieb für größere Firmen. Die bestellen bei uns, wir nähen die Waren und sie werden zurückgeliefert. So läuft das ab. Die Fristen sind bestimmt. Da läßt sich nichts verschieben.
Es ist nicht das ganze Jahr so viel zu tun. Das halbe vielleicht. Aber wenn ich drei Stunden schlafe, so ist das doppelt soviel wie bei einem normalen Menschen. Aus Gewohnheit. Als ich jung war, war ich beim Theater. Dort ist die Arbeitszeit ungeregelt. Da heißt es, die ganze Nacht wach zu bleiben. Weil ich das von damals kenne, macht mir das frühe Aufstehen nichts aus (lacht).
Bevor die anderen aufstehen, wasche ich die Wäsche und gehe mit dem Hund spazieren. Der Sohn steht um sieben Uhr auf. Mein Mann trinkt nur Kaffee zum Frühstück, mein Sohn ißt auch nichts. Nur ich frühstücke, von acht Uhr bis 8.15. Nachdem ich schon sechs Stunden gearbeitet habe. Zwischen zwei und sechs Uhr nähe ich Vorhänge. Damit niemand aufwacht, lasse ich die Maschine langsamer laufen. In den Monaten, in denen dieses Geschäft ausfällt, ist der Ertrag völlig anders.
Derzeit arbeite ich in der Nacht bis ein Uhr und stehe in der Früh um vier Uhr auf. Drei Stunden Schlaf. Ich merke den Schlafmangel. Um neun Uhr kommen die paato-san, die Teilzeitarbeiterinnen. Derzeit drei. Der Mann fährt zur Arbeitsstelle. Jetzt ist er in Chiba. Er fährt um ½7 Uhr weg. Untertags bis sieben Uhr abends ist viel zu tun. Ich und die Teilzeitfrauen arbeiten an den Nähmaschinen. Momentan ist die Tochter da und kocht. Sonst läuft es so ab, daß ich um sieben oder ½8 Uhr, wenn alle zurück sind, das Abendessen zubereite, und wir essen alle zusammen.
Mittags um zwölf Uhr gibt es auch ein Essen, das bereite ich zu. Die Teizeitfrauen gehen heim, wenn sie in der Nähe wohnen. So leben wir.

F.: Haben Sie keine Hilfskraft, die Ihnen im Haushalt oder bei der Büroarbeit hilft?
Eine Hilfe ist nicht billig. Darum mache ich alles selbst. In meinem Kopf geht es dauernd: "Das, das, das und dann das,das,das... ist zu tun." Es gibt kein Ende.
Am Abend nach dem Essen mache ich es mir ein bißchen bequem, schaue fern, räume auf. Am Abend bin ich nicht gut in Form. Gegen elf, zwölf Uhr gehe ich schlafen. Und stehe um zwei oder drei Uhr wieder auf.
Wenn ich aufwache, auf die Uhr schaue und mir vorgenommen habe, früh aufzustehen, kann ich sowieso nicht mehr schlafen. Ich kann mich nie gedanklich von der Arbeit entfernen, darum ist es besser, ich stehe auf und arbeite.
In diesen Stunden bin ich ganz allein. Mein Mann ist noch kein einziges Mal so früh aufgestanden. So verläuft die Woche von Montag bis Samstag.

F.: Wann arbeiten Sie nicht?
Sonntags. Wenn es keine dringende Arbeit gibt, mache ich es mir am Sonntag gemütlich. Aber wenn viel zu tun ist, arbeite ich und mein Mann und die Teilzeitfrauen helfen mir.

F.: Wann machen Sie Urlaub?
Die Arbeit kommt ziemlich periodisch. Vor den O-bon-Feiertagen, von Mitte Juli bis 10. August, ist immer sehr viel zu tun. Dann wieder im Oktober.

F.: Können Sie auch manchmal Urlaub machen?
Sommerferien machen wir heuer vom 13. bis 16. August. Da schalte ich ganz ab. Ich möchte fortfahren, aber noch lieber bleibe ich zu Hause und tue nichts.

F.: Bei uns heißt es, zu Hause kann man nicht richtig abschalten.
Ja, das stimmt. Dann fällt mir alles ein, wozu ich sonst nicht komme. Kochen und waschen muß ich auch. Wirklich entspannen kann ich mich in einer onsen, einem Thermalbald. Da waren wir voriges Jahr. Aber heuer möchte ich lieber daheim bleiben. Wir waren mit Freunden. Mit meinem Mann zu zweit bin ich noch nie fortgefahren.
(Frau Teruoka meint, weil jemand auf das Haus aufpassen müsse.)
Das auch. Und zu zweit ist es fad. Dem Mann... Daher laden wir jemanden ein. Das ist wieder anstrengend, ich komme immer sehr müde zurück, denn ich muß mich dauernd um die Gäste kümmern.

F.: Möchten Sie denn mit Ihrem Mann allein fahren?
Ich möchte schon ab und zu mit meinem Mann zusammen verreisen, aber dazu ist es noch nie gekommen. Für ihn ist es unterhaltsamer, wenn Freunde dabei sind. Weil wir sowieso immer beisammen sind.
(Frau Teruoka wirft ein, daß eine Frau sich gemeinsam mit dem Mann nicht entspannen könne: Japaner schaffen auch auf einer Reise ihrer Frau dauernd etwas an - wie zu Hause. Die Frau muß dauernd Dienstleistungen erbringen. "Es ist wirklich nicht angenehm, immer für den Mann da zu sein. Es wäre schön, wenn sich mein Mann auch einmal um mich kümmerte. Aber in Japan ist das nur umgekehrt." Frau I. lacht heftig).
Ja, so ist es.
Es gibt wenig Ruhetage im Jahr. Zu Neujahr wird eine Woche nicht gearbeitet. Da kommen viele Gäste. Wenn man ein Geschäft hat, kommen viele Neujahr wünschen. Kunden, Kollegen meines Mannes. Sie haben fast alle mit dem Geschäft zu tun. Bis spät in die Nacht wird getrunken. Danach muß ich aufräumen. Ich habe wirklich keine Ruhe. Ausrasten kann ich nur am ersten Jänner.

F.: Kommen Ihre Freunde auch?
Ja, und die Familie. Die kommt meistens, wenn die erste Jännerwoche vorbei ist.
(Das Enkelkind sitzt auf dem Schoß von Frau I. und drängt, wir sollten uns mit dem Interview beeilen).

F.: Seit wann führen Sie dieses Leben?
Seit ich meinen Mann kenne, seit 27 Jahren.
Anfangs war mein Mann angestellt und ich auch. Ich wurde krank, von seinem Gehalt allein konnten wir nicht leben. Ich begann Heimarbeit zu machen. Damals hatte ich eine kleine, wirklich nur für den Haushalt geeignete Nähmaschine, einen Tischapparat. Manchesmal habe ich mit dieser Heimarbeit mehr verdient als mein Mann. Da meinte er: "Das mache ich auch". Er war immer in dieser Branche.
Ich komme aus der Präfektur Niigata. Ging in die Mittelschule. Wir hatten zu Hause eine Landwirtschaft. Der Vater wurde in die Dorfversammlung geschickt. Er wollte, daß ich die Oberschule mache. Aber weil ich eine Frau war (onna da kara), war es nicht wichtig, daß ich etwas lerne. Das war die Meinung der Umgebung. Darum ging ich nach dem Abschluß der Mittelschule nach Tôkyô und arbeitete bei einem Theater. Dort lernte ich nähen. Im Alter zwischen 15 und 22.
Mit 22 heiratete ich. Mein Mann war bei einer Firma beschäftigt, die mit dem Theater ab und zu zu tun hatte.
Mein Vater war sehr gegen diese Heirat. Ich habe ihm meinen Mann vorgestellt, aber er lehnte ihn völlig ab. Warum? Wenn man mit einem Menschen nicht verkehrt, kennt man seinen Charakter nicht. ,,Wenn alle dagegen sind, wenn niemand uns den Segen gibt, leben wir eben so zusammen", sagten wir. Ich fuhr dann eine Weile nicht mehr nach Hause. Mein Mann ist drei Jahre älter als ich.
Wir haben keine Hochzeitsfeier gemacht.
(Frau Teruoka erzählt, daß die Japaner beruhigt seien, wenn die Eltern geeignete Partner für sie aussuchten. Da junge Leute sich noch kein Urteil bilden könnten, seien Eltern besorgt, wenn die Kinder sich selbst einen Partner suchten.)
Wir konnten dieselbe Arbeit, das war ein Verbindungspunkt zwischen uns. Ich dachte: "Was uns die Zukunft auch bringt, es wird schon gehen; ob wir angestellt sind oder nicht, wir werden schon arbeiten können".
Aber wir hatten nicht genug Geld, um eine Nähmaschine zu kaufen. Mein Mann bekam damals 11 000 Yen Gehalt, die Miete für ein Zimmer mit sechs tatami (Reisstrohmatten) kostete zirka 4500 Yen, dazu kamen noch Strom, Gas etc. Wir hatten nicht einmal genug Geld, um Zwirn zu kaufen. Jahrelang haben wir uns mit dem Minimum durchgeschlagen. Mein Mann sagte: "Fangen wir etwas an!" Und so habe ich mit dem Geschäft angefangen, in dem Jahr, als meine Tochter auf die Welt kam. Es gab anfangs sehr große Schwierigkeiten. Irgendwie überlebten wir. Arbeiten kostete Geld, wegen des Materials. Anfangs wohnten wir in einer kleinen Wohnung, und auch mein Mann bediente die Nähmaschine.
Dann übersiedelten wir in eine größere Wohnung und nahmen drei Hilfskräfte. Von da an ging es Stück für Stück aufwärts. Diese schwierige Zeit dauerte sieben oder acht Jahre, bis die Kinder in der Volkschule waren. Ich arbeitete mit den kleinen Kindern auf dem Rücken. Mein Mann tat für den Haushalt und die Kindererziehung überhaupt nichts. Aber er arbeitete sonst sehr viel.
Jetzt geht es uns finanziell gut. Wir müssen das Haus abzahlen. Wir wursteln uns von Monat zu Monat durch. Wir haben drei Autos, für die Arbeit.

F.: Wieviele Leute arbeiten hier?
Normalerweise vier Teilzeitfrauen und ein junger Mann, mein Mann und ich, sieben Leute. Die Teilzeitfrauen sind von neun Uhr bis fünf Uhr da; wenn viel zu tun ist auch länger. Sie arbeiten nicht wirklich Teilzeit, man sagt in Japan nur so. Sie werden stundenweise bezahlt, zirka 620 Yen pro Stunde.
(Frau Teruoka meint, dies sei viel, normal werde zwischen 500 und 600 Yen pro Stunde bezahlt).

F.: Als "japanisches Ehepaar" stellt man sich einen Angestellten und seine Frau vor. Sie fallen nicht in dieses Bild.
Nein, wir sind von früh bis abends beisammen.

F.: Da wird man wahrscheinlich sehr vertraut miteinander?
Eher streitet man viel! Ich mache fast alles im Haus, mein Mann kennt sich überhaupt nicht aus. Wenn jemand anruft, müßte er mir den Telefonhörer weitergeben, darum hebt er gar nicht ab. Er hilft mir beim Nähen, aber er hat dafür nicht die Verantwortung. Wenn dringende Arbeit ist, bleibe ich die Nacht über auf. Darauf habe ich mich schon eingestellt. Es würde auch nichts nützen, wenn ich mich bei ihm beklagte.
(Frau Teruoka meint, das sei typisch japanisch, das Management hätten überall die Frauen, auch in den Familien der Angestellten. Aber als Selbständige durchkommen könnten nur Ehepaare, die sich gut vertragen).
Ja, das stimmt. Auch wenn wir aufeinander böse sind, gibt sich das bald. Ich entschuldige mich, und wir sind wieder gut.

F.: Was macht Ihr Mann in der Firma?
Er ist Repräsentant unseres Geschäftes. Die Firma gehört uns beiden. Wir haben neulich unsere beiden Namen als Besitzer eintragen lassen. Gesetzlich wäre das schon früher möglich gewesen. Aber seit neuestem wird dafür stark Propaganda gemacht, zum Beispiel in Zeitungsannoncen. Für den Fall einer Scheidung ist das wichtig. Da ist es für die Frauen von großem Nachteil, wenn sie nicht eingetragen sind. Ich wußte das gar nicht, aber die Bank informierte uns. Es ist auch steuerlich mit einem Vorteil verbunden. Darum machen das jetzt alle.

F.: Wie teilen Sie die Arbeit auf?
Die Vorhänge übernehme ich zu 100%. Das macht 80-90% des Einkommens aus. Die restlichen zehn Prozent kommen von den Teppichen. Die machen der Mann und der Arbeiter. Mein Mann ist sehr viel an der Arbeitsstelle. Ich erledige die Büroarbeit, die Bestellungen und die Korrespondenz.
(Frau Teruoka kommentiert: "In Wirklichkeit machen in Japan alles die Frauen". Aber im Vergleich zu einer nicht berufstätigen Frau eines Angestellten hätte Frau I. einen Lebensinhalt, wenn ihr Leben auch sehr anstrengend sei. Es mache glücklich, die eigene Kraft entfalten zu können).
Ja, das ist wahr. Ich wollte nie mit einem Angestellten verheiratet sein. Es ist nicht so, daß ich mit dem Mann immer einer Meinung bin. Bei Meinungsverschiedenheiten tue ich eher so, als ob ich nichts merkte.
Wenn ich krank wäre, könnten wir nicht weitermachen, aber ich bin sehr gesund. Nur in letzter Zeit merke ich langsam mein Alter, ich bin oft müde.

F.: Haben Sie eine Altersversorgung?
Wir sind einbezogen in die Volkspension, und außerdem haben wir bei der Bank eine Art freiwillige Pensionsversicherung abgeschlossen. Wenn wir alt sind, haben wir keinerlei Sicherheit. Ab und zu fällt mir das ein. Wir werden bis 60 arbeiten, nicht viel länger. Dann soll der Sohn den Betrieb übernehmen. Jetzt ist er Angestellter, aber in drei Jahren soll er in die Firma eintreten. Das hat er uns versprochen. Wenn er kommt, wird das eine Entlastung sein.
Er soll hier einheiraten. Es wäre gut, wenn er jemanden fände, der dazu bereit ist. Aber unsere Arbeit ist hart. Der Sohn hat Wirtschaft studiert und arbeitet jetzt in einer Computerfirma. Er macht etwas völlig anderes. Ich hätte gerne gehabt, daß er etwas arbeitet, das mit diesem Geschäft zu tun hat. Wenn er zu uns kommt, muß er ganz neu eingeschult werden. Die Tochter hilft, auch nach der Heirat. Vor der Heirat hat sie woanders gearbeitet. Sie hat die Oberschule abgeschlossen. Mit 20 hat sie geheiratet, eine Liebesheirat. Ihr Mann ist Angestellter. Sie bleibt bis Ende August bei uns, dann geht sie wieder in ihre Wohnung zurück. Die Eltern seiner Familie sind jung, darum wohnen sie in einer eigenen Wohnung. Früher ist sie mit dem Enkelkind jeden Tag zu uns arbeiten gekommen. Sie ist eine sehr gute Näherin.
(Frau Teruoka wirft ein, ob nicht sie das Geschäft übernehmen könne.)
Sie würde das gerne machen, aber das geht wohl nicht...

F.: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Es gibt viele Menschen, mit denen ich reden kann. Am Abend ausgehen kann ich höchstens ein -, zweimal im Monat. Meine Bekannten sind alle selbständig und haben am Abend wenig Zeit. Wir reden kaum über Probleme, sondern richtigen Tratsch, Alltagsgeplauder, wenig über das Geschäft. Wir treffen einander im karaoke-Cafe. Einmal in der Woche lerne ich karaoke singen. Der Unterricht ist gleich in der Nähe. Ein Lehrer kommt hin, wir sind fünf oder sechs Leute, nur ein Mann, sonst alles Frauen. Mein Mann haßt karaoke.
Zu Hause üben? Zu Hause gibt es nur Arbeit. Und bei der Arbeit singe ich nicht.
Das Singen tut mir sehr gut, ich kann durchatmen. Wenn ich mich vorher geärgert habe - dort vergesse ich alles. Die modernen Hits kenne ich nicht, ich liebe die alten Schlager.
Andere Hobbies habe ich nicht. Es gibt sehr vieles, das ich tun möchte. Aber ich kann mir dafür die Zeit nicht nehmen. Dann gibt es auch noch die Genossenschaft, dort finden Schulungsveranstaltungen statt. Da bin ich immer dabei. Mein Mann macht überhaupt nichts, gar nichts!
Er hat keine Hobbies. Am Abend geht er nicht aus, er trinkt zu Hause und schaut fern. Wenn ich Probleme habe, berate ich mich mit der Rechnungsprüferin.
(Frau Teruoka macht aufmerksam, daß Frauen in diesem Bereich eine Ausnahme seien).
Mit meinem Mann berate ich mich nie. Ich arbeite und gebe ihm Geld. Die Kinder haben das früher nie verstanden. Die glaubten, Papa arbeitet und ich helfe nur. "Das ist ein Mißverständnis", sagte ich. Erst jetzt scheinen sie zu begreifen, daß ich berufstätig bin - ein Mensch, der in der Gesellschaft steht (shakaijin).
Vom Mann wünsche ich mir nichts. Wir sprechen nicht viel miteinander. Ich gebe meinem Mann monatlich 50 000 Yen Taschengeld. Das andere Geld verwalte ich. Mit dem Taschengeld geht mein Mann ab und zu pachinko (Spielautomaten) spielen. Er hat kein Hobby. Aber er gibt viel Geld für Autos aus.

F: Womit sind Sie zufrieden oder unzufrieden?
An Wünschen gibt es kein Ende, aber im großen und ganzen bin ich zufrieden. Die Arbeit hört einfach nicht mehr auf. Es gibt Zeiten, wo ich mich frage: "Wozu?" Ich könnte Arbeit ablehnen, das wäre einfach. Aber ich habe noch nie ,,Nein" gesagt. Ich kann das nicht, wenn mir die Kunden ihr Vertrauen schenken. Ich gerate dann in enormen Zeitdruck. Auch für die Teilzeitfrauen ist das arg, aber sie müssen kommen. Wenn ich die Arbeit nicht nähme, würde ich wahrscheinlich keine mehr kriegen. Denke ich mir.
Zufrieden bin ich damit, daß wir eine ordentliche Wohnung haben. Daß es der Familie im großen und ganzen gut geht. Daß es nichts besonders Schlimmes gibt. Wenn unser Leben so weiterginge, wäre es mir schon recht.
Früher träumte ich von einem eigenen Haus mit einem eigenen Geschäft mit Interieur-Waren neben dem Betrieb. Aber mein Mann gibt das ganze Geld für Autos aus, egal, welche Träume ich habe. Jedes Jahr gibt es ein neues Modell, und er tauscht die Autos fortwährend aus.

F.: Aber wenn Sie noch ein eigenes Geschäft dazu hätten, müßten Sie noch mehr arbeiten als bisher!
Ich könnte nebenbei Polsterbezüge und ähnliche Sachen machen. Das wäre mein Traum. So arbeiten wir immer nur auf Bestellung. Aber ich glaube, es ist nichts mehr drin. Ich bin müde und wir müssen den Kredit für das Haus zurückzahlen. Alles, was ich in Zukunft arbeite, geht dafür auf. Ich möchte schnell die Schulden zurückzahlen, damit ich entspannt leben kann. Und Reisen machen. Aber solange man arbeitet, kommt man zu keinen Ferien. Ich möchte gern einmal eine Woche weg, aber das bleibt nur ein Wunsch.

1991 informiert mich Frau I. knapp über das Neueste:
Seit dem Sommer 1988 hat sich nichts Wesentliches geändert. Letztenendes wiederholt sich immer das Gleiche. Ich beiße die Zähne zusammen und arbeite vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. (Weil wir zuwenig Leute sind). Auch die Arbeit meines Mannes geht irgendwie weiter. Mein Sohn hat voriges Jahr geheiratet und bewährt sich (ganbatte imasu) als Vater.
Im Büro habe ich jetzt einen Computer. Ich tue mich noch schwer damit. Mit diesem Brief übe ich. Zum Streß-Abbau mache ich weiter karaoke und dance.
Es gibt viele Sorgen wegen der verschiedensten Sachen, aber ich denke mir, ich möchte weiterhin mit dem Einsatz aller meiner Kräfte durchhalten (isshokenmei ganbatte ikitai).

Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at